Myanmar wegen Rohingya vor Gericht
10. Dezember 2019Gambia hatte Anfang November 2019 beim Internationalen Gerichtshof (IGH), dem höchsten UN-Gericht, ein Verfahren gegen Myanmar wegen Völkermords angestrengt. Das westafrikanische Land ist überzeugt, dass sich die Regierung und die Sicherheitskräfte des Landes eines Genozids an den Rohingya, einer muslimischen Minderheit in Myanmar, schuldig gemacht haben. Das mehrheitlich muslimische westafrikanische Land Gambia wird dabei von der Organisation für Islamische Zusammenarbeit (OIC) unterstützt. Der Organisation gehören 56 Staaten an. Sie beansprucht, den Islam weltweit zu vertreten.
Der Prozess gegen Myanmar besteht aus zwei verschiedenen Verfahren. Zum einen aus einem sogenannten Eilverfahren, wie Christian J. Tams, Professor für Völkerrecht an der Universität Glasgow, im Gespräch mit der Deutschen Welle erklärt. Dieses Eilverfahren begann am Dienstag (10.12.19) mit der Anhörung in Den Haag. Es endet mit einem Beschluss, der die aktuelle Bedrohungslage der Rohingya berücksichtigt und feststellt, ob während des Hauptverfahrens Maßnahmen zum Schutz der Rohingya ergriffen werden müssen. Abzuwarten bleibt, wie Myanmar auf den Beschluss reagiert. Bisher hat es fast jede Kooperation mit der internationalen Staatengemeinschaft im Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise abgelehnt.
Langjähriges Hauptverfahren
Parallel zur Anhörung beginnt das eigentliche Hauptverfahren, das sich über mehrere Jahre hinziehen kann. Das Verfahren endet mit einem Urteil darüber, ob sich Myanmar des Völkermords schuldig gemacht hat oder nicht.
Dabei ist zu bedenken, dass Völkermord ein spezieller Tatbestand ist, wie Tams erläutert: "Völkermord ist nämlich ganz ungewöhnlich definiert. Das zentrale Element des Völkermords ist die Absicht. Die Angriffe oder Tötungen müssen in der Absicht begangen worden sein, eine Gruppe in ihrer Gesamtheit oder in Teilen zu vernichten."
Den Nachweis der Absicht muss der klagende Staat, in diesem Fall Gambia, erbringen. Das ist, wie vergangene Prozesse am IGH gezeigt haben, schwierig. Denn anders als im Falle Deutschlands unter NS-Herrschaft, wo etwa die Protokolle der Wannseekonferenz in Nazi-Deutschland von 1942 belegen, dass Deutschlands Führung die Absicht hatte, die Juden zu vernichten, fehlt es an derartigen offiziellen Dokumenten zumeist. Soweit bekannt, ist das auch in Myanmar der Fall.
Indirekter Nachweis
Statt eines direkten Beweises ist auch eine indirekte Beweisführung möglich. Wenn die Taten Myanmars keinen anderen Schluss zulassen, als dass der Staat die Absicht hatte, die Rohingya zu vernichten, ist eine Verurteilung möglich. Gambia verweist deswegen im Antrag an den IGH vielfach auf den Bericht der "Independent International Fact-Finding Mission on Myanmar" der Vereinten Nationen. Deren Bericht wurde im September 2019 vorgelegt. Er kommt zu dem Schluss, dass sich Myanmars Regierung sehr wahrscheinlich des Völkermords schuldig gemacht bzw. diesen nicht verhindert hat.
Eine weitere Studie des US-Außenministeriums bestätigt zwar auch, dass es zu "extremer, groß angelegter und weit verbreiteter Gewalt kam, die darauf abzielte, die Bevölkerung zu terrorisieren und die Rohingya zu vertreiben", verwendet den Begriff Genozid aber nicht. Angesichts dieser Ausgangslage fasst Tams zusammen: "Man muss sagen, Gambia hat es schwer. Aber es ist im Bereich des Möglichen, dass die Ereignisse als Völkermord eingeschätzt werden."
Internationale Aufmerksamkeit
Die Schwierigkeit, einen Völkermord nachzuweisen, kollidiert nicht selten mit der Erwartung der öffentlichen Meinung. Für viele Nichtregierungsorganisationen wie Amnesty International oder Human Rights Watch, für Aktivisten und Beobachter ist es eine ausgemachte Sache, dass Myanmar sich eines Genozids schuldig gemacht hat.
Nach Ansicht von Tams ist diese Form der Vorverurteilung allerdings ein Riesenproblem für die öffentliche Debatte und für das Gericht. Der Begriff Völkermord werde in den Medien und von NGOs oft in einem weiten Sinne und zur Stigmatisierung eingesetzt. Es gehe dabei darum, den Druck zu erhöhen, damit auf internationaler Ebene etwas passiere. Sobald es dann aber ein juristisches Verfahren gibt, ändern sich die Maßstäbe. "Der IGH hat immer betont, dass Völkermord ein eng definiertes höchstes Verbrechen ist und dass man für die juristische Aufarbeitung nach juristischen Kriterien vorgehen und sich von der öffentlichen Debatte befreien muss."
Andere Verfahren könnten folgen
Die Folge: Der Begriff Völkermord bedeutet im öffentlichen Diskurs etwas anderes als im juristischen Verständnis. Bekanntestes Beispiel aus Asien ist Kambodscha. Die Roten Khmer ermordeten bei politischen Massensäuberungen etwa zwei Millionen Menschen. Die Ermordung der Kambodschaner wurde entgegen der allgemeinen Auffassung juristisch vom Roten-Khmer-Tribunal der UN nicht als Völkermord verhandelt, da die "Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes" der Vereinten Nationen (CPPCG) von 1948 nur bestimmte Gruppen schützt, nämlich ethnische, religiöse oder nationale. Nicht geschützt sind politische Gegner, wie beispielsweise Kommunisten oder Royalisten.
Sollte Myanmar am Ende nicht wegen Völkermordes im juristischen Sinne verurteilt werden, kann das auf allgemeines Unverständnis stoßen. Aber ein solches Urteil bedeutet, wie Völkerrechtler Tams betont, eben nicht, dass sich der Staat nicht anderer fürchterlicher Verbrechen schuldig gemacht hätte. Weil die Zuständigkeit des IGH aber auf Fragen des Völkermordes beschränkt ist, müssten diese anderen Verbrechen von anderen internationalen Gerichten wie dem Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) aufgearbeitet werden. Der IStGH klärt Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen auf. Er kündigte am 14. November 2019 auch an, gegen Myanmars Militär (Tatmadaw), die Polizei (MPF), den Grenzschutz (BGP) und Zivilisten wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Deportation und Verfolgung aufgrund der ethnischen Zugehörigkeit und/oder Religion zu ermitteln.