Verliert Venedig jetzt seinen Welterbetitel?
16. November 2019Seit 32 Jahren genießt die Lagunenstadt den besonderen Schutz der Weltkulturorganisation. Das könnte sich bald ändern. "Venedig läuft Gefahr, seinen Status zu verlieren", mahnte Mechtild Rössler, "Venedig muss aufpassen!" Zwar entscheidet nicht das Welterbezentrum, das die deutsche Wissenschaftlerin seit 2015 als Direktorin leitet, über die Aberkennung, sondern das Welterbekomitee der UNESCO. Doch das beobachtet die Lage in der norditalienischen Hafenstadt schon länger sehr aufmerksam. "Wir warten jetzt auf den Bericht Italiens", so Rössler, "danach werden wir dem Komitee unsere Analyse vorlegen."
Dass diese negativ ausfallen könnte, schwante Venedigs Bürgermeister Luigi Brugnaro bereits vor der jüngsten Hochwasserkatastrophe. Rössler: "Wir haben dem Komitee bereits 2015 vorgeschlagen, Venedig auf die "Rote Liste" zu setzen. Wir haben gesagt, wenn das und das nicht erfüllt wird, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass die Stadt auf die Gefahrenliste kommt." Noch im September diesen Jahres wurde Brugnaro mit einer großen Delegation in Paris vorstellig. "Unsere Message ist in Venedig angekommen", glaubt Rössler, "sonst wären sie nicht hier in der UNESCO aufgetaucht, das ist absolut klar."
Venedig versinkt in Touristenströmen
Klar sind auch die Kritikpunkte, die eine sogenannte "Monitoring Mission" der UNESCO bereits 2015 in Venedig zutage förderte. Bemängelt wird allem voran das Tourismusmanagement. Insgesamt kommen jährlich über 22 Millionen Besucher nach Venedig. Ein Verdrängungsprozess mit Folgen. In der Innenstadt leben nur noch etwa 55.000 Einwohner, 1951 waren es noch 175.000. "Wir wollen keine Museumsstadt", so Mechtild Rössler im DW-Interview, "sondern eine lebendige Stadt, in der die Menschen auch leben können." Zugleich lebt Venedig vom internationalen Tourismus. Ein schwer lösbarer Konflikt, den auch die UNESCO-Expertin sieht.
Neben dem sogenannten "Overtourism" sind der UNESCO auch die riesigen Kreuzfahrtschiffe ein Dorn im Auge, die regelmäßig durch den Canale Grande schippern, besetzt mit bis zu 6000 Passagieren. "Die Schiffe lösen Erosion aus. Ihre Wellen beschädigen die Bausubstanz." Seit Jahren ist ein Flutwellenschutz mit beweglichen Barrieren im Bau. Doch kommt die Fertigstellung des milliardenschweren Schleusensystems M.O.S..E– auch wegen eines Korruptionsskandals - nicht voran. Bei Hochwasser soll Mose die Flutwellen des Mittelmeeres bändigen. Den Klimawandel aber kann auch die Technik nicht aufhalten.
Klimawandel bedroht die Lagunenstadt
Dessen Folgen für die Welterbestätten des Mittelmeerraumes führt die UNESCO in einer neuen Studie auf. Danach sind Starkregenfälle und steigende Meeresspiegel nur die sichtbarsten Effekte. Aber beides könnte, in Kombination mit starken Winden, die unentwegt Wasser in die Lagune drückten, die extremen Wasserstände des jüngsten Acqua Alta begünstigt haben. Der Pegel erreichte in der Nacht zum Mittwoch (13.11.) besorgniserregende 1,87 Meter über dem normalen Meeresspiegel, der höchste seit 53 Jahren und der zweithöchste in den vergangenen 100 Jahren. Der Markusdom stand im Wasser, die Krypta der Basilika aus dem 9. Jahrhundert wurde geflutet. Erwartet werden immense Schäden an der Bausubstanz vieler historischer Gebäude.
Das ist längst nicht das Ende der Fahnenstange: "Wir haben Klimaphänomene, die wir vor zehn Jahren noch so klar nicht gesehen haben", warnt Mechtild Rössler, die sich als gelernte Geographin zuletzt viel mit Ökologie beschäftigt hat. Eine massive Gefahr für die Lagunenstadt sieht sie etwa in fremdartigen Würmern, die Norditalien aus wärmeren Gewässern erreichten: "Die greifen das Holz an, auf dem Venedig steht."
Hochwasserlage weiter angespannt
Klar ist jetzt schon: Venedig ist vom Klimawandel besonders betroffen. Sein Welterbe-Titel, der die Stadt auf Pfählen seit 1987 schützen soll, könnte sich wegen des ungebremsten Touristenansturms als Bumerang erweisen. Und gibt die UNESCO die Lagunenstadt am Ende ihren Problemen preis, wenn sie ihr den Welterbetitel entzieht? "Soweit sollte es nicht kommen", sagt Rössler. "Dass wir heute noch nicht in der Lage sind, Venedig umfassend zu schützen, ist ein Armutszeugnis." Dazu seien nicht nur die Venezianer aufgerufen, sondern auch die italienischen Behörden und die internationale Gemeinschaft. "Wir sitzen alle in einem Boot!"
Unterdessen blieb die Lage in Venedig angespannt. Noch am späten Freitag-Vormittag (15.11. 2019) betrug der Wasserstand 160 Zentimeter über Normal, wie die Kommune mitteilte. "Ein weiterer Tag des Alarms", schrieb Bürgermeister Luigi Brugnaro auf Twitter.Er rief die Einwohner zur Vorsicht auf. Vor allem der Wind sei wieder sehr stark. Den überschwemmten Markusplatz ließ Brugnaro schließen, auch Schulen, der Dogenpalast und viele Kultureinrichtungen blieben geschlossen. Aus Paris bot Rössler denn auch Expertenhilfe der Weltkulturorganisation an: "Wenn Venedig uns anfragt, stehen wir bereit."