Nigeria zwischen Hoffen und Bangen
30. März 2015Ging bei der Stimmauszählung zur nigerianischen Präsidentschafts- und Parlamentswahl alles mit rechten Dingen zu? Deutliche Zweifel daran äußerten US-Außenminister John Kerry und sein britischer Amtskollege Philip Hammond am Montag am Rande der Atomverhandlungen mit dem Iran. Es gebe "beunruhigende Hinweise" auf "politische Einmischung" bei der Auszählung. Die nigerianische Wahlkommission weist die Vorwürfe als "haltlos" zurück. Die Kommission und ihr Vorsitzender Attahiru Jega genießen in der nigerianischen Bevölkerung hohes Ansehen.
Das National Democratic Institute (NDI), hinter dem die US-Regierung steht, hatte die Wahlen in Nigeria zuvor sogar noch gelobt - trotz technischer Probleme und vereinzelter Anschläge der Islamistengruppe Boko Haram. "Die nigerianischen Wähler haben sich friedlich und geordnet verhalten", sagte ein Sprecher des NDI auf einer Pressekonferenz am Montag. Die Beobachterkommission der Europäischen Union beschrieb den Wahlablauf zwar als "ungeordnet" und "langwierig". Beweise für eine systematische Manipulation habe sie jedoch nicht festgestellt.
Unregelmäßigkeiten gab es offenbar im ölreichen Bundesstaat Rivers im Süden Nigerias. Beobachter werfen Präsident Goodluck Jonathans Regierungspartei People's Democratic Party (PDP) vor, die Wahlen mit Gewalt beeinflusst und die Auszählungen manipuliert zu haben. "Sie haben Leute verprügelt, Wahlurnen zerstört und Ergebnisse gefälscht", berichtet Ibrahim Zikrullah im Gespräch mit der DW. Er ist Vorsitzender der Transitional Monitoring Group (TMG), die 4000 Wahlbeobachter im ganzen Land eingesetzt hatte.
Demonstrationen gegen mutmaßlichen Wahlbetrug
Bereits kurz nach der Stimmabgabe hatten Anhänger der Oppositionspartei All Progressive Congress (APC) die Gültigkeit der Wahlen in Rivers angezweifelt und zu Protesten aufgerufen. Der Grund: Oppositionsvertretern war der Zugang zu den Auszählungen verwehrt worden. Die Polizei ging mit Tränengas gegen die überwiegend weiblichen Demonstrantinnen vor. "Das war keine Wahl in Rivers", sagte Achinike William-Wobodo, Sprecher der Partei APC, der Nachrichtenagentur Reuters. Er fordert Neuwahlen. Die staatliche Wahlkommission will die Vorwürfe nun untersuchen.
Der Bundesstaat Rivers ist ein sogenannter "battleground state": Hier wird ein knappes Ergebnis zwischen beiden Präsidentschaftskandidaten erwartet. Früher war der Teilstaat fest in der Hand der Regierungspartei PDP, dann wechselte der Gouverneur zum Bündnis des Oppositionskandidaten Buhari. Seitdem ist die Wählerschaft gespalten, die Lage gespannt.
Ibrahim Zikrullah von der Beobachtergruppe sieht die Wahlen insgesamt jedoch nicht gefährdet. "Wenn es Unregelmäßigkeiten in vier bis fünf Prozent der Wahlkreise gab, dann genügt das nicht, um die Wahlen als unrechtmäßig einzuschätzen." Auf einer Skala von eins für 'absolut unglaubwürdig' bis zehn für 'sehr glaubwürdig' bescheinigt er den Wahlen am vergangenen Wochenende insgesamt eine acht.
Buhari auf der Siegerstraße
Nach Auszählung der Wahl in drei Viertel der Bundestaaten zeichnet sich ein Sieg des muslimischen Oppositionskandidaten Muhammadu Buhari ab. Gewinnt Buhari, wäre es der erste Sieg der Opposition seit der Rückkehr des Landes zur Demokratie im Jahr 1999. Buhari stand bereits einmal an der Spitze des Landes: Er hatte sich 1984 an die Macht geputscht. In seiner einjährigen Amtszeit führte er das Land mit harter Hand, ließ Oppositionelle verfolgen und exekutieren. Aber er gilt den Nigerianern gleichzeitig auch als unbestechlich und ernsthafter Bekämpfer von Korruption - einem der wichtigsten Themen bei dieser Wahl.
Die Auszählung aller Stimmzettel dürfte sich bis in den Dienstag hineinziehen. Der Sieger benötigt die absolute Mehrheit und mindestens 25 Prozent der Stimmen in zwei Dritteln der Bundesstaaten. Sollten dies weder Buhari noch Jonathan erreichen, müssen sie zur Stichwahl antreten.
AU: Konflikt nicht auf der Straße austragen
Die Spannungen im Bundesstaat Rivers geben Anlass zur Sorge: Sie könnten sich ausdehnen und den Konflikt zwischen den Lagern der beiden Präsidentschaftskandidaten verschärfen. Auch nach den Wahlen 2011 war es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen gekommen, bei denen rund 800 Menschen ums Leben kamen und Zehntausende vertrieben wurden.
Die Afrikanische Union (AU) appellierte an die Betroffenen, den Streit vor Gericht zu klären und die Kämpfe nicht auf der Straße auszutragen. Insgesamt äußerte sich die AU, die mit einer eigenen Beobachtermission vor Ort war, aber positiv über den weitgehend friedlichen Verlauf der Abstimmung. Trotz einiger Unregelmäßigkeiten hätten sie den "kontinentalen und regionalen Prinzipien demokratischer Wahlen" entsprochen.
Nigeria ist mit 173 Millionen Einwohnern das bevölkerungsreichste Land Afrikas. Rund 70 Millionen Wahlberechtigte waren am Wochenende aufgerufen, ihre Stimme abzugeben. Die Wahlbeteiligung soll sehr hoch ausgefallen sein - konkrete Zahlen gibt es aber noch nicht. Pannen mit den elektrischen Registrierungsscannern hatten für Schlagzeilen gesorgt, nachdem sogar der amtierende Präsident Goodluck Jonathan erst nach 20 Minuten seine Stimme abgeben konnte, weil das Gerät nicht funktionierte. Wegen ähnlicher Probleme mussten am Sonntag 300 der insgesamt 120.000 Wahlbüros noch einmal öffnen.
Einige Wahlbüros veröffentlichten die Ergebnisse bereits vorab, zum Beispiel im Bundesstaat Ekiti. Der Vorsitzende der Nationalen Wahlkommission Attahiru Jega findet das grundsätzlich unbedenklich. "Daraus wird erst ein Problem, wenn man versucht, auf Grundlage dieser Zahlen den Sieger festzumachen," so Jega. "Man muss sehr, sehr vorsichtig sein."
Im Radio lief am Montag ein Lied mit dem Vers "Vote not fight, election no be war", zu deutsch: "Wählt statt zu kämpfen, Wahlen sind keine Kriege". Es spricht das aus, was sich die meisten Nigerianer jetzt wünschen: einen friedlichen Ausgang der Wahlen. Doch die Angst bleibt.
Wie DW-Korrespondent Ibrahima Yakubu berichtet, blieben am Montag im Bundesstaat Kaduna im Norden Nigerias viele Straßen und Marktplätze leer. Hier sind die Menschen bereits vorsichtig: In Kaduna gab es 2011 die schwersten Ausschreitungen.
Mitarbeit: Abu-Bakarr Jalloh, Ubale Musa und Mohammad Awal