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Pferdekraft statt Maschine 4.0

7. Mai 2019

Bei der Waldarbeit werden immer leistungsfähigere Maschinen eingesetzt, die zunehmend digital vernetzt sind. Sie sollen mehr Effizienz bringen und die Kosten senken. Nachhaltiger aber sind altertümliche Methoden.

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Forstwirt Elmar Stertenbrink, im Forstbotanischen Garten in Köln
Bild: DW/I. Wrede

Neun Uhr morgens am Stadtrand von Köln. Wie an jedem Wochentag wälzt sich der Berufsverkehr über die Autobahnen dem Alltag entgegen. Glücklich dürfen sich diejenigen schätzen, die nur zwei-dreimal abbiegen und im Forstbotanischen Garten landen. Es sind nicht viele, die es so früh in das kleine Waldstück verschlägt. Ein paar Fußgänger mit Hunden, wenige Radfahrer. Auf einer Wiese bereiten sich bei kühlen zehn Grad Kinder auf den Tag im Waldkindergarten vor.

Der Lärm der Autos ist zu einem leisen Hintergrundrauschen geschrumpft. Wer hierherkommt, freut sich am frischen Grün der Bäume, am Zwitschern der Vögel, an der frischen Luft. Weniger beachtet wird der Boden und das zu Unrecht, wie Elmar Stertenbrink findet. "Der Boden ist eines der wichtigsten Güter, die man im Wald hat", sagt der gelernte Forstwirt. "Ohne einen gesunden Waldboden funktioniert ein Wald nicht, denn der Boden zersetzt alles, was die Bäume an Laub oder trockenen Ästen abwerfen." Außerdem muss er Samen eine geeignete Basis zum Keimen liefern,  damit eine immer wiederkehrende Verjüngung des Waldes stattfinden kann.

Forstwirt Elmar Stertenbrink, im Forstbotanischen Garten in Köln
Forstwirt Elmar StertenbrinkBild: DW/I. Wrede

Stertenbrinks Forstbetrieb fällt im Auftrag der Waldbesitzer Bäume, zersägt sie und sorgt für den Abtransport. Das Besondere dabei: Sein Betrieb arbeitet mit Pferden. Heute Morgen sind die beiden Kaltblüter Pit und Carlos per Lastwagen in den Forstbotanischen Garten der Stadt Köln gebracht worden. Die schweren Pferde werden über die zerbeulte Laderampe geführt, geputzt und angeschirrt. Ihre Aufgabe: Sie sollen die bereits gefällten Baumstämme durch den Wald zu einer sogenannten Rückegasse ziehen, wo sie später per Maschine verladen werden.

Forstwirtschaft 4.0 nicht unbedingt nachhaltig

"Der Kölner Wald ist kein alter Wald", erklärt Stadt-Förster Michael Hundt. Viele Bäume seien erst in den 50er und 60er Jahren gepflanzt worden. Daher lichte man den Wald regelmäßig, damit die verbleibenden Bäume sich entfalten könnten. "Das Holz, das bei der Durchforstung anfällt, muss irgendwie heraus geschafft werden. Und weil wir nicht so viele Schneisen in den Wald schlagen wollen, um jeden Stamm mit der Maschine erreichen können, mussten wir uns etwas einfallen lassen. Da gab es eigentlich nur zwei Alternativen: Entweder Männer, die das Holz kurz schneiden und raustragen oder eben die Pferde."   

Forstwirt Elmar Stertenbrink, im Forstbotanischen Garten in Köln
Rückepferd Pit zieht die gefällten Baumstämme bis zur Rückegasse vorBild: DW/I. Wrede

In Köln hat man sich für Pferde entschieden. Und das hört sich zunächst wie ein Rückschritt an, denn der Einsatz von Maschinen und die Digitalisierung sind inzwischen auch im Wald angekommen. Bäume werden digital erfasst, Drohnen mit Kameras sorgen für Waldinventuren. Riesige Waldmaschinen, sogenannte Harvester, erledigen die Holzernte, fällen die Bäume, entasten und zersägen sie und bereiten sie auf den Abtransport vor. Zudem senden sie gleich noch Informationen über Holzmenge, -art und -qualität an den Forstbetrieb und das nächste Sägewerk.

Waldschaden Harvester
Und so sieht es aus, wenn ein Harvester an die Arbeit gehtBild: picture-alliance/dpa/A.Litzlbauer

Mehr Effizienz, aber toter Boden

Von der höheren Effizienz versprechen sich die Waldbesitzer eine höhere Ernte. Dabei schädigt der Einsatz von Maschinen den Wald, sagt Elmar Stertenbrink. Man solle sich den Waldboden nicht als  feste Materie vorstellen, sondern eher wie eine Tiefgarage, die durchlöchert sei. "In diesen freien Lufträumen bilden sich Gase. Die Wurzeln der Bäume und Pflanzen wachsen in Richtung dieser Gas-Strömungen. Wenn wir jetzt mit schweren Geräten über diesen Waldboden fahren, dann zerbricht das alles, dann fällt es wie ein Kartenhaus zusammen." Wachstum finde in einem verdichteten Boden nicht mehr statt.

Verstehen fast ganz ohne Worte

Während Stertenbrink erzählt, sind seine zwei Mitarbeiter mit den Pferden Carlos und Pit in den Wald aufgebrochen und haben mit der Arbeit begonnen. Die Forstarbeiter haben die Pferde nur an einer langen Leine, die sie manchmal auch ganz loslassen. Man hört nur wenige und leise Kommandos. Wenn die mehrere Meter langen Baumstämme mit Ketten an das Pferdegeschirr befestigt werden, warten die Pferde geduldig. Erst auf kaum hörbare Befehle ziehen sie den Stamm bis zur Rückegasse vor, wo sie dann später von Maschinen abtransportiert werden.

Forstwirt Elmar Stertenbrink, im Forstbotanischen Garten in Köln
Pit zieht bis zur Rückegasse und bleibt dort von alleine stehen, um auf den Forstarbeiter zu wartenBild: DW/I. Wrede

Den Weg zur Rückegasse hat sich Pit selbst gesucht, er übersteigt dabei im Weg liegende Stämme und bleibt ohne  Aufforderung von alleine an der Gasse stehen, bis der Forstarbeiter nachgekommen ist und sich zum Stamm herunterbeugt. Würde das riesige Pferd jetzt loslaufen, könnte der Forstarbeiter durch den Baumstamm schwer verletzt werden. Aber man vertraut einander.

Forstwirt Elmar Stertenbrink, im Forstbotanischen Garten in Köln
Pit wartet geduldig, bis der Baum am Geschirr festgebunden ist. Ohne gegenseitiges Vertrauen geht es nichtBild: DW/I. Wrede

Sobald sich der Forstarbeiter aufrichtet und ansetzt, wieder in den Wald zu gehen, dreht sich auch Pit unaufgefordert um und trottet gutmütig nebenher zum nächsten Stamm.

Flächenverluste durch Vollerntemaschinen

Durch den Einsatz der Pferde können die ungefähr einen Meter breiten Rückegassen in einem Abstand von vierzig Metern angelegt werden. Das sieht in Wäldern, die mit Harvestern bewirtschaftet werden, anders aus, sagt Stertenbrink. "Dort muss der Wald alle 20 Meter mit einer viereinhalb Meter breiten Gasse durchzogen sein, auf der diese große Maschinen fahren. Der Förster verliert damit tatsächlich 20 bis 25 Prozent seiner Waldfläche, weil die ja nun stark befahren wird."

Hinzu kommt, dass bei Pferdeeinsatz die Äste, die von den Bäumen abgesägt wurden, im Wald zurückbleiben und dort den Boden düngen. Auch beim Einsatz von Harvestern werden die Bäume abgeastet, allerdings erst auf der Rückegasse. Diese Äste polstern dann das schwere Gefährt ein bisschen ab. "Das heißt aber: Sämtliche Nährstoffe werden dort gesammelt, wo sowieso kein Baum mehr wachsen wird, weil es eine Rückegasse ist". Auch als Dünger würden die Äste auf der Rückegasse nichts mehr nutzen, da der Boden dort nicht mehr vital sei, so Stertenbrink.

Dagegen belasten die Pferdehufe und die nachgeschleiften Baumstämme den empfindlichen Waldboden wesentlich weniger als vollautomatische Holzerntemaschinen.

Forstwirt Elmar Stertenbrink, im Forstbotanischen Garten in Köln
So eine geringe Spur würde ein Harvester nicht hinterlassenBild: DW/I. Wrede

Die Nachfragen nach Einsätzen von Rückepferden steigt

Die Holzernte mit Maschinen ist etwa ein Drittel günstiger, als es Stertenbrink mit seinen Pferden sein kann. Die kurzfristige Kostenersparnis geht aber auf die langfristigen Erträge. Das scheint auch immer mehr Waldbesitzern klar zu werden, meint Stertenbrink. In den letzten dreißig Jahren sei die Nachfrage nach Arbeiten mit Rückepferden deutlich gestiegen. Nicht nur städtische, auch immer mehr private Waldbesitzer würden langfristige Bewirtschaftungsformen vorziehen, damit auch ihre Kinder noch Erträge aus dem Wald ziehen könnten.

Für Pit und Carlos nähert sich die Mittagpause. Die rund 800 Kilo schweren Pferde haben seit fast drei Stunden bis zu 200 Kilo schwere Baumstämme durch das Unterholz geschleppt. Kommt es hart auf hart, können sie auch bis zu einer Tonne ziehen. Trotz des kühlen Vormittags fängt das Fell der Kraftprotze inzwischen an zu dampfen. Am Nachmittag steht ihnen nochmal ein Arbeitsblock von drei Stunden bevor.  Rund ein Drittel Deutschlands ist mit Wäldern bedeckt. Es ist ein großer Schatz, denn Holz wird als nachwachsender Rohstoff immer begehrter - als Brenn- und Baustoff und auch beispielsweise als Grundlage für neue Werkstoffe. Außerdem sind Wälder wichtig für unser Klima und den Erhalt der Biodiversität. So hat die Bundesregierung beschlossen, dass bis zum Jahr 2020 fünf Prozent der deutschen Wälder einer natürlichen Entwicklung überlassen werden. Der Rest soll nachhaltig bewirtschaftet werden. In Köln ist man auf gutem Wege dahin. 

Forstwirt Elmar Stertenbrink, im Forstbotanischen Garten in Köln
Am Ende des Arbeitstages liegen die Stämme säuberlich aufgereiht am Rande der Rückegasse - bereit für den AbtransportBild: DW/I. Wrede
Forstwirt Elmar Stertenbrink, im Forstbotanischen Garten in Köln
Bei den schweren Stämmen muss sich Pit schon mächtig ins Zeug legenBild: DW/I. Wrede
Insa Wrede, DW-Mitarbeiterin
Insa Wrede Redakteurin in der Wirtschaftsredaktion