Wirtschaftliche Waldgeheimnisse
30. Juli 2018Etwa 20 Manager stehen mitten im Wald und betrachten einen verrotteten, mit Moos bewachsenen Baum. Kaum ein Laut ist zu hören, nur das Rascheln von Laub unter Managerfüßen und das Zwitschern der Vögel in den umstehenden Bäumen.
Die Männer und Frauen genießen den friedlichen Moment ganz offensichtlich, aber sie sind nicht nur hier, um mit der Natur zu kommunizieren. Sie wollen etwas lernen. Der Wald soll ihnen beibringen, wie ihre Unternehmen den wachsenden Wettbewerb und die Globalisierung überstehen können. Und wie es ihnen gelingen kann, keine natürlichen Ressourcen zu verschwenden.
Die meisten der Manager leiten mittelständische Unternehmen in der Gegend. Sie hoffen darauf, dass ihnen der mehrere Jahrzehnte alte Wald im süddeutschen München Antworten geben kann.
Der Gang durch den Wald ist Teil eines Seminars, das der Wirtschaftsphilosoph Friedrich Glauner und der Diplom-Forstwirt Rainer Kant erdacht und organisiert haben. Die Bäume und der Wald sollen eine Art Lehrer sein, die die Erfolgsgeheimnisse des Ökosystems Wald auf die Wirtschaft anwenden.
Konsumieren, konkurrieren und zusammenbrechen
Am Morgen, bevor es in den Wald geht, sitzen die Seminarteilnehmer in einem traditionellen bayerischen Restaurant zusammen. Bei Brezeln und Kaffee lernen sie das neue Wirtschaftsmodell kennen, das es dringend geben muss, wie Glauner sagt. Wenn sie wie bisher weitermachen würden, würden die Menschen gemeinschaftlich wie Lemminge, sehenden Auges in den Abgrund rennen, warnt er.
"Während Gewinnmaximierung auf individueller, rationaler Ebene Sinn ergibt, hat es zerstörerische Auswirkungen auf die Gesellschaft", sagt er. "Es führt zu Raubbau an natürlichen Ressourcen und zu wachsender Ungleichheit. In der Vergangenheit sind Gesellschaften aus diesen zwei Gründen kollabiert."
Mehr zum Thema: Das große Waldsterben: Immer mehr Bäume werden gerodet
Mehr zum Thema: Erklärfilm: Was ist eigentlich Wald und wozu ist er da?
Eine apokalyptische Botschaft wie diese ist beim Morgenkaffee am schweren Holztisch sicher nicht leicht zu verdauen. Einige sehen skeptisch zum Vortragenden, andere nicken zustimmend. Die Gruppe ist bunt zusammengewürfelt. Ihre Geschäftsmodelle schließen Naturkosmetik genauso ein wie 3D-Druck oder das Verzinken von Metall-Bauteilen. Gemeinsam ist allen der Wunsch nach einem nachhaltigen Geschäftsmodell.
"Wir arbeiten mit Kleinbauern und nutzen natürliche Ressourcen aus der ganzen Welt", sagt Pölt. "Ich möchte herausfinden, wie wir unsere Prozesse verbessern können — nicht nur für die Natur, sondern auch für unsere Mitarbeiter."
Der Philosoph möchte ein neues Bewusstsein schaffen. Anstatt nur Gewinnen nachzujagen, sollten Unternehmen lieber verstehen, dass sie Teil eines größeren Gefüges sind. Sie sollten sich darauf konzentrieren, Produkte und Dienstleistungen anzubieten, von denen Kunden, Mitarbeiter und alle, die an der Lieferkette beteiligt sind, so profitieren können, dass auch die Ressourcenbasis wächst.
Handelsbeziehungen zwischen Pilz und Baum
Auf die Theorie in der Gaststube folgt die Praxis im Wald. Auf einer kleinen Lichtung, umgeben von Fichten, Tannen und Birken, liefert der Waldexperte Kant praktische Beispiele für Glauners theoretische Ansätze.
Kapitalismus lebe durch Wettbewerb, so Kant. Das gebe es zwar auch in der Natur, aber hier seien Zusammenarbeit und Kommunikation viel wichtiger, sagt er und deutet auf den Waldboden. Das ist keine neue Idee — schon zu Darwins Zeiten gingen gegensätzliche Evolutionstheorien davon aus, dass Kooperation wichtiger sei als Konkurrenz.
Kant zeigt auf den Boden: Hier könne man Mykorrhiza sehen, das symbiotische Zusammenspiel von Pilz und Pflanze.
Dabei wächst der Pilz wie ein Spinnennetz um die Wurzeln eines Baumes und versorgt ihn mit Wasser und Nährstoffen aus dem Boden. Als Gegenleistung wandelt der Baum Sonnenlicht in Zucker um und gibt ihn an den Pilz weiter.
Es gehe also ums Geben und Nehmen. Wenn aber einer der Partner nicht mitspiele, könne es mitunter zu harten Verhandlungen kommen.
"Ein Baum kann mit mehreren Mykorrhiza zusammenarbeiten, und wenn ein Pilz nicht genügend Wasser und Nährstoffe liefert, gibt der Baum dem Pilz weniger Zucker und hält ihn so an, das Angebot zu erhöhen", erklärt der Waldexperte von B.A.U.M, einem Netzwerk für Nachhaltiges Management.
Mehr zum Thema: Wie ich im Spessart lernte, den Wald zu lieben
Mehr zum Thema: Sommerurlaub war gestern, heute ist Klimaaktivismus
Mehr zum Thema: Irlands Wälder: Rückkehr einer verschwundenen Welt
Dabei sei der Baum darauf bedacht, den Pilz nicht umzubringen, indem er ihm die Nahrung komplett entziehe. Es gehe ihm vielmehr darum, das Verhältnis, von dem beide etwas haben, zu erhalten, so Kant. "Das ist eine ausgeglichene Handelsbeziehung."
Philosophisch gesehen können sich Unternehmen diese Symbiose zum Vorbild nehmen. Mitarbeiter, Kunden und Lieferanten seien Teil des Ökosystems eines Unternehmens, erklärt Glauner. Sie sollten nicht als bloße Kosten- und Ertragsfaktoren betrachtet werden, sondern als lebenswichtige Mitglieder einer symbiotischen Beziehung. Jeder trage etwas dazu bei.
Totes Holz und Verwesung
Etwas tiefer im Wald, wieder auf einer Lichtung, diesmal nur von Fichten umgeben. 47 Prozent der Wälder in Deutschland sind verwaltete Ökosysteme in denen nur Kiefern und Fichten wachsen, sagt Kant. Das mache die Gebiete anfälliger für Krankheiten und Infektionen. Wo dagegen auch Birken und Tannen stehen, seien Infektionen weniger häufig.
Vielfalt mache Wälder widerstandsfähig, so Kant. Er deutet auf ein Stück Totholz am Boden. Das sei auch im Kleinen wichtig, sagt er. Ein abgestorbener Baum brauche zwischen 50 und 80 Jahren, bis er vollständig zersetzt sei. In dieser Zeit sei er das Zuhause für Millionen von Organismen, er speichert Wasser und Nährstoffe. Diesen Schatz lasse er nur langsam in die Umwelt entweichen.
"Natur ist kleinteilig und jedes kleine Teil spielt eine wichtige Rolle. Wachstum hat in der Natur keinen Wert an sich", so Kant. "Es gibt Stillstand und Zerstörung, Phasen der Erholung und Pausen."
Genauso sollten Unternehmen sich erlauben, von Zeit zu Zeit Pausen einzulegen, um sich darauf zu besinnen, was sie am besten können, wirft Glauner ein. Der Ratschlag kommt bei den Managern gut an, besonders bei Josef Obeser.
Er hat bei einem Unternehmen gearbeitet, dass innerhalb von zehn Jahren von 50 auf 2500 Mitarbeiter gewachsen ist.
"Ich komme von einer Firma, die haben alles abgerockt, was am Markt abzurocken war. Als die Gewinne runter gingen, wurde die Firma verkauft", sagt er. "Wir hätten vielleicht bei 500 Leuten aufhören sollen und hätten uns auf die guten Geschäfte konzentrieren sollen."
Gesundes Umfeld
Am Ende der Wanderung scheint es, als ob Kant und Glauner die Manager von ihrem Ansatz überzeugen konnten, die düsteren Aussichten vom Frühstückstisch in etwas Positives zu wandeln.
"Ich als Buche, die gerade voll im Saft steht", sagt ein Teilnehmer. "Ich behalte so viel Energie, dass ich wachsen kann, aber was ich übrig habe, behalte ich nicht in meinem Speicher, sondern verteile es an diejenigen, die um mich herum sind, damit die mitwachsen und wir als gemeinsames System stark sind."
Auch wenn es idyllisch klingt, alle Anwesenden sind sich durchaus bewusst, in welchem System sie arbeiten. Die Weltwirtschaft folgt anderen Regeln.
Da geht es um Gewinne und Wachstum. Eine Antwort darauf, wie es große Unternehmen schaffen könnten, ihre Aktionäre von Systemen zu überzeugen, bei denen es nicht um Profit geht, sondern darum, dass alle profitieren, die an der Schaffung eines Produkts oder einer Dienstleistung beteiligt sind, gibt es bislang nicht.
Für jedes Unternehmen bietet sein Modell etwas, sagt Glauner. Er geht allerdings davon aus, dass es sich am besten für kleine oder Familienbetriebe eignet, in denen die Eigentümer noch entscheiden können, wie die Dinge laufen. Deshalb solle es deutschlandweit noch weitere Workshops geben, bei denen er seine Botschaft weiter verbreiten werde.
"Wenn wir unser Wirtschaften ändern, bin ich überzeugt, dass wir die Kurve nochmal bekommen können."