Bush ohne Konzept
13. Oktober 2006"Terror ist ein Kriegsakt. Terroristen führen ihren Krieg nicht allein gegen Amerika, sondern gegen die Zivilisation. Sie achten weder das Leben noch demokratische Werte." - Wer glaubt, diese Äußerung stamme von US-Präsident George W. Bush, der irrt. Es war Ronald Reagan, einer seiner Vorgänger, der zu Beginn der achtziger Jahre den Terrorismus zum Weltproblem erklärte und die nationale Anti-Terror-Politik der USA ins Leben rief.
Verblüffende Erkenntnisse
Die jahrelang hochgeheimen Unterlagen der US-Regierung aus dieser Zeit sind heute zugänglich. Der Arabist und Nahost-Historiker Wolfgang G. Schwanitz hat sie untersucht und kommt in seiner neuen Studie zu einem erstaunlichen Ergebnis: Die US-Regierung sei bis zu den Anschlägen vom 11. September 2001 blind gewesen für jeden möglichen Zusammenhang zwischen Terrorismus und radikalem Islamismus. Und das, obwohl die Ursprungsregionen des anti-amerikanischen Terrors meist in islamischen Ländern liegen.
"Akut besteht das Problem seit Ende der 60er Jahre", sagt Schwanitz im Gespräch mit der Deutschen Welle. "In der Zeit ist in Nahost das Entführen von Flugzeugen Mode geworden - Geiselnahmen und Botschaftsbesetzungen. Hier hätte man beginnen müssen, systematisch zu erkunden: Was sind die Hintergründe? Warum sind die Leute veranlasst, solche Anschläge auszuführen? Welche Geisteshaltung bewegt sie, welche Ideologie?"
Desinteresse
Eine wirkliche Auseinandersetzung mit dem Islam und den Ideologien, die sich auf ihn berufen, sei in den USA bis heute nicht erfolgt, so Schwanitz. Der Historiker, der seit sechs Jahren in Amerika lebt und arbeitet, spricht von einem regelrechten Tabu der US-Regierung gegenüber dem Islam und seiner zunehmenden Politisierung. Es sei auffällig bei der amerikanischen Nah- und Mittelostpolitik, dass in den vergangenen 25 Jahren keine Islampolitik formuliert worden sei. "Ansonsten wird über jeden Bereich von nationaler Bedeutung ein Papier formuliert, eine Präsidialdirektive - es muss ja eine ganze Administration angeleitet werden. Das ist beim Islam nicht der Fall."
Schwanitz nennt mehrere Gründe, warum es keine klare amerikanische Richtlinie gibt, die den Umgang mit dem politischen Islam und seinen unterschiedlichen Strömungen betrifft. So sei die US-Regierung bis 2001 von den Denkmustern des Kalten Krieges beherrscht gewesen. Die arabisch-islamischen Länder seien zum Teil bekämpft, zum Teil unterstützt worden - je nachdem, wie sehr man sie für eigene Zwecke instrumentalisieren konnte.
Rückblick in die Geschichte
Einen weiteren Grund sieht Schwanitz in der Geschichte und Verfassung Amerikas. Zum einen seien die USA die am meisten säkularisierte Demokratie, in der die Religion in den Privatbereich verwiesen worden sei. Zum anderen gibt es wenig Berührung mit dem Islam innerhalb des Landes. Die Folge sei, dass eine große Wahrnehmungs- und Wissenslücke gegenüber dem Islam bestehe.
Schwanitz ist der Ansicht, das Interesse der US-Regierung an den islamischen Staaten des Nahen und Mittleren Ostens sei noch zu Beginn des Jahres 2001 gering gewesen. Der 11. September, seine Ursachen und Folgen, hätten Bush daher völlig überrumpelt. "Auch heute hat das Land keine Islampolitik, sondern nur eine Islam-Praxis." Damit meint der Historiker die unmittelbare Erfahrung der Amerikaner bei ihren militärischen Einsätzen in Afghanistan und im Irak - zwei Ländern, in denen der Islam das Leben und Denken vieler Menschen bestimmt.
Religiöser Tunnelblick
Die vielen vermeidbaren Fehler der USA insbesondere in der Nachkriegszeit im Irak interpretiert Schwanitz so, dass die USA bis heute die Natur des Islam nicht verstanden hätten - und das, obwohl für George W. Bush nach seinen Worten Religion eine sehr große Rolle spielt. Jedenfalls seine eigene.