Namibia benennt um
19. August 2013Lüderitz, Schuckmannsburg, Steinhausen - Orte mit deutsch klingenden Namen in Namibia und Zeugen für die kurze Kolonialgeschichte des Deutschen Kaiserreichs in Afrika. Nach dem Willen der namibischen Regierung sollen die alten Ortsnamen von den Karten des Landes getilgt werden - ebenso wie die Bezeichnung Caprivi für einen schmalen Landzipfel im äußersten Nordosten des Staates.
Die Region, deren Bezeichnung zurückgeht auf Georg Leo Graf von Caprivi, den Nachfolger Otto Graf Bismarcks als deutscher Reichkanzler zwischen 1890 und 1894, soll künftig "Sambesi" heißen - und damit genauso wie der Fluss, der die natürliche Grenze dieses Landesteils zu Sambia markiert. Per Dekret verfügte die Regierung unter Präsident Hifikepunye Pohamba außerdem die Umbenennung des im Caprivi-Zipfel gelegenen Schuckmannsburg in Luhonono sowie von Steinhausen in Okarukambe.
Die Küstenstadt Lüderitz im Südwesten des Landes heißt jetzt !Nami=Nüs - die Zeichen im neuen Ortsnamen stehen für die Klicklaute in der Sprache der indigenen Bevölkerung der Nama. "Das ist eine Nama-Region und eine Nama-Stadt. Deshalb bin ich stolz auf die Namensänderung" schrieb eine Nutzerin unter dem Namen Driesie als Kommentar auf der Webseite der Zeitung "The Namibian", wo die Entscheidung kontrovers diskutiert wird.
Widerstand gegen die neuen Namen
Die Umbenennungen sind Teil einer Neuordnung von Verwaltungsgebieten und Wahlkreisen im Hinblick auf die Parlaments- und Präsidentschaftswahlen in einem halben Jahr und gehen auf Empfehlungen der nationalen Wahlkampfkommission zurück. Seit ihrer Bekanntgabe reißen die Diskussionen um die überraschende Entscheidung der Regierung nicht ab. "Es geht eine Trennungslinie durch die Bevölkerung", sagt Eberhard Hofmann, stellvertretender Chefredakteur der deutschsprachigen "Allgemeinen Zeitung" mit Sitz in Namibias Hauptstadt Windhoek. "Manchen ist das völlig gleichgültig, manche begrüßen das sehr, aber es gibt auch einen sehr großen Widerstand unter den Capriviern und der Einwohnern von Lüderitz."
So organisierten die "Buchter", wie sich die Bevölkerung von Lüderitz selbst bezeichnet, eine SMS-Kampagne und einen Protestmarsch gegen die Umbenennung ihrer Stadt, die Facebook-Gruppe "Luderitz not Naminus" hat inzwischen mehr als 2000 Likes. Getragen wird der Widerstand jedoch nicht von der deutschsprachigen Minderheit, die etwa 20.000 der rund 2,1 Millionen Einwohner des Landes ausmacht. "In Caprivi gibt es gar keine Deutschsprachigen und in Lüderitz ist die rein deutschsprachige Bevölkerung über die Jahre drastisch zurückgegangen", erklärt Hofmann gegenüber der DW. Doch die Einwohner der betroffenen Orte seien ebenso wie der Caprivi-Zipfel nun mal mit den alten Namen vertraut, die aus der nur knapp 30 Jahre währenden deutschen Herrschaft über Südwest-Afrika stammen.
Ortsnamen erzählen die Geschichte des Landes
Lüderitz verdankt seinen Namen dem Bremer Tabakhändler Adolf Lüderitz, der 1883 einem Nama-Häuptling das Land rund um die von den Portugiesen "Angra Pequena" getaufte Bucht abkaufte und diesen dabei durch einen Rechentrick betrog. Anschließend drängte Lüderitz Reichkanzler Bismarck, seinen Grund und Boden durch das Kaiserreich militärisch absichern zu lassen - der Beginn des deutschen Kolonial-Abenteuers in Afrika.
Knapp zehn Jahre später erweiterte Bismarcks Nachfolger Caprivi durch einen Landtausch mit Großbritannien, in dessen Rahmen Helgoland an Deutschland fiel und die Tansania vorgelagerte Insel Sansibar unter britische Herrschaft kam, Deutsch Südwest-Afrika um einen knapp 450 Kilometer langen und nur rund 30 Kilometer breiten Landstreifen, der aus der trockenen Küstenregion tief in den afrikanischen Kontinent hineinragt - den Caprivi-Zipfel. Von ihm erhofften sich die deutschen Kolonialherren über den Sambesi-Fluss einen direkteren Zugang zu ihren Besitztümern an der afrikanischen Ostküste. Die Pläne scheiterten wenige Kilometer flussabwärts an den Viktoria-Fällen, von denen die Deutschen offenbar nichts wussten.
Was steckt hinter der "Entkolonisierung"?
Die von der Regierungspartei und ehemaligen Befreiungsbewegung SWAPO betriebene Entkolonialisierung von Orts- und Regionennamen - 23 Jahre nach der Unabhängigkeit des Landes vom Nachbarn Südafrika - kommt für die Namibier überraschend und wirft Fragen auf. Zumal weitere Orte wie Mariental, Helmeringshausen oder Maltahöhe ihre deutschen Namen behalten dürfen. "Es stellt sich auch die Frage, warum die SWAPO ihren Parteinamen nicht entkolonisiert, denn der bedeutet Southwest Africa People Organisation", merkt Eberhard Hofmann von der "Allgemeinen Zeitung" an. "Das wird natürlich beanstandet: Dass die Partei eine Entkolonisierung in der Namensgebung verlangt, aber selbst ist sie nicht imstande, diesen Schritt zu vollziehen." Gleichwohl befürchtet Eberhard Hofmann, dass die jetzt beschlossenen Umbenennungen nur ein erster Schritt auf dem Weg zur Tilgung aller deutschen Ortsnamen sein könnte.
Für den namibischen Kulturhistoriker Andreas Vogt sind die Namensänderungen schon jetzt "kultureller Raubbau". Er befürchtet, dass die Regierung "auf Kosten der Deutschen Politik betreibt", auch wenn schwer einzuschätzen sei, was tatsächlich hinter den Umbenennungen steckt. "Wir haben hier sehr viel Hinterzimmerpolitik, so dass man überhaupt nicht weiß, wo die eigentlichen Weichen gestellt werden", sagt Vogt. Denkbar sei beispielsweise, dass die SWAPO versuche, mit der Namensänderung von Caprivi den separatistischen Tendenzen in dieser Region die Kraft zu nehmen. Die Umbenennung von Lüderitz wiederum nähre den Verdacht, dass es sich hierbei um ein Zugeständnis der regierenden SWAPO an die im Südwesten lebende, regelmäßig benachteiligte Volksgruppe der Nama handelt.
Zudem gebe es immer wieder die Tendenz, ethnische oder auch rassische Differenzen für politische Interessen zu instrumentalisieren. "Doch die Mehrheit der Namibier will das gar nicht", glaubt Vogt. Vielmehr sehne sich die Mehrheit nach wirtschaftlichem und persönlichem Fortschritt - und dafür seien ethnische oder rassische Konflikte hinderlich.
Namibia hat andere Probleme
Eine Online-Umfrage der Tageszeitung "The Namibian" zu den Namensänderungen stützt die Thesen Vogts: 55 Prozent derjenigen, die an der Umfrage teilgenommen haben, sind der Meinung, dass es wichtigere Probleme im Land gibt. Nur 19 Prozent halten die Umbenennungen für überfällig. 20 Prozent bezeichnen sie dagegen als Geldverschwendung, die möglicherweise sogar weitere negative wirtschaftliche Folgen haben könnte. Vertreter des Tourismusverbandes befürchten Einbußen – zumindest für das weit abgelegene Lüderitz. Denn wer wird hinter !Nami=Nüs eine von deutscher Kolonialarchitektur geprägte Stadt vermuten? Ganz zu schweigen davon, dass der neue Name wohl nur schwer zu googeln sein wird.
Der Caprivi-Zipfel wird mit seiner Natur und reichhaltigen Tierwelt dagegen wohl auch als Sambesi-Streifen weiter problemlos Safari-Touristen anlocken. Mit der Tilgung des Namens verliert jedoch auch diese Region ihr historisches Gedächtnis und den Hinweis auf eines der skurrilsten Tauschgeschäfte der neueren Geschichte.