Neonazi-Hooligans und Corona-Proteste
26. Dezember 2020Fußballspiele finden in Deutschland seit März bis auf einige Ausnahmen hinter verschlossenen Türen statt. Viele Fans haben die freie Zeit genutzt, indem sie sich karitativ oder sozial engagieren, indem sie Konzepte zu einer finanziellen Neuordnung des Profifußballs entwarfen.
Doch es gab auch Negativ-Beispiele: Hooligans, die sich den "Querdenkern" anschlossen, einer Bewegung, die gegen staatliche Maßnahmen zur Bekämpfung der Ausbreitung des Coronavirus protestiert. Als am 7. November in Leipzig eine "Querdenken"-Demonstration außer Kontrolle geriet, waren Fußball-Hooligans an vorderster Front dabei.
Nachdem die Polizei die Demonstration offiziell aufgelöst hatte, weil die Teilnehmer den vorgeschriebenen Abstand nicht einhielten oder keine Gesichtsmasken trugen, wehrten sich Hooligans gewaltsam mit Waffen, Pfefferspray, Pyrotechnik und Fäusten.
Es war nicht das erste Mal, dass Fußball-Hooligans in den vergangenen Jahren als Katalysator für politisch motivierte Gewalt fungierten. In Chemnitz führten 2018 rechtsextreme Hooligans nach einer tödlichen Messerstecherei in der Stadt gewalttätige Proteste an. Und im Vorfeld einer weiteren, für Dezember geplanten "Querdenken"-Veranstaltung in Dresden kursierten auf rechtsextremen Social-Media-Kanälen Aufrufe an Hooligans, Nationalisten und Ultras, um sich in der sächsischen Landeshauptstadt zu versammeln. Die Dresdner Veranstaltung wurde schließlich von den Behörden verboten.
'Ideologisch motivierte Neonazi-Hooligans'
"Diese Hooligans sind militante Neonazis, die die Muskeln für diese Aufmärsche spielen lassen", erklärt Robert Claus, ein auf Rechtsextremismus spezialisierter Forscher und Autor, der die Ereignisse in Leipzig hautnah miterlebt hat. "Sie schreiben keine Reden, sie stehen nicht an den Infoständen. Sie sind da, um den Demonstranten zu helfen, die Polizeisperren zu durchbrechen."
Claus schätzt, dass bis zu 400 Hooligans in Leipzig anwesend waren. Viele trugen Abzeichen, die sie mit verschiedenen deutschen Fußballvereinen verbinden. Wichtiger als die angebliche Fußballverbindungen sind laut Claus aber die Kampfsportzentren, in denen die Hooligans trainieren.
"Wenn wir von 'Hooligans' sprechen, denken die Leute oft, dass wir über Fußballfans reden. Aber ich glaube nicht, dass das hier so wichtig ist", sagt Claus. "Worüber wir reden, ist ein sehr spezifisches Crossover zwischen militanten Neonazis und der Hooligan-Szene.
"Die Leute machen Kampfsport aus allen möglichen Gründen: Sport, Gewichtsverlust, Aggressionsabbau, Fitness. Aber für militante Neonazis geht es um das Training für politische Gewalt und Straßenschlachten. Das ist es, was wir in Leipzig gesehen haben: mehrere hundert gut organisierte, gut trainierte, erfahrene Kämpfer."
Von der Tribüne in den Ring
Unter den in Leipzig anwesenden Hooligans befanden sich beispielsweise mutmaßliche Mitglieder des "Imperium Fight Teams" (IFT), einem Mixed Martial Arts (MMA)-Team und Fitnessstudio, das als Knotenpunkt der Leipziger Neonazi-Szene fungiert. IFT-Mitgliedern wird vorgeworfen, 2016 an einem Neonazi-Angriff im linksalternativen Leipziger Stadtteil Connewitz beteiligt gewesen zu sein. Ein Mitglied soll für einen rassistisch motivierten Angriff auf einen Türsteher vor einer Bar auf Mallorca im Jahr 2019 verantwortlich sein.
"Es gibt eine etablierte, faschistische Kampfsportszene in Deutschland und Europa, mit eigenen Veranstaltungen und Modelabels", sagt ein Sprecher von "Runter von der Matte" (RvdM), einer Initiative, die für das Thema Rechtsextremismus im Kampfsport sensibilisieren will. "Seit Jahren organisieren sich Neonazis in professionellen Strukturen und veranstalten eigene Kampfsportveranstaltungen, bei denen sie Menschen für ihre Sache rekrutieren."
Laut RvdM ist es wichtiger denn je, dass Fitnessstudios, Sportvereine und Verbände eine klare Haltung zu Rassismus und Faschismus einnehmen: "Kampfsport findet in einem sozialen Umfeld statt, in dem junge Menschen ihre Werte entwickeln. Die Verbände stehen daher in der Verantwortung, aufzuklären, warum Rassismus und andere menschenverachtende Ideologien im Ring nichts zu suchen haben, und sich aktiv an der Diskussion zu beteiligen."
Die German Mixed Martial Arts Federation (GEMMAF), die den Sport in Deutschland reguliert, distanziert sich von Extremismus und Diskriminierung und besteht darauf, dass Extremisten nur einen kleinen Teil derjenigen ausmachen, die den Sport ausüben.
Sie arbeitet mit dem Projekt "Vollkontakt: Demokratie und Kampfsport" zusammen, um die Ausbreitung extremistischer Ideologien im Sport zu erkennen und zu bekämpfen. Sie schließt Sportler, die sich extremistisch geäußert haben, von ihren Veranstaltungen aus. Dennoch muss sich die GEMMAF eingestehen, dass Kampfsportarten eine gewisse Anziehungskraft auf Rechtsextremisten ausüben.
"Wir sind natürlich entsetzt, dass es Menschen gibt, die Kampfsportarten missbrauchen. Aber der Missbrauch von Kampfsportarten und den damit verbundenen Werten lässt sich leider nicht immer ganz ausschließen", sagte ein Sprecher in einer Stellungnahme gegenüber der DW. "Die Anwendung von Gewalt ist ein wesentliches Element extremistischer Weltanschauungen. Kampfsportarten und deren Anwendung außerhalb des Sports sind daher für solche Menschen interessant."
Neonazis und "Querdenken": eine unheilige Allianz
Während die Anziehungskraft des Kampfsports auf militante Neonazi-Hooligans klar sein mag, scheinen sie mit den "Querdenkern" vordergründig wenig gemeinsam zu haben. Aber beide Bewegungen eint ein Weltbild, das auf das Überleben des Stärkeren setzt und den Schutz vulnerabler Minderheiten vernachlässigt.
"Rechtsextremisten träumen vom Zusammenbruch der liberalen Demokratie", erklärt Robert Claus. "Sie wissen aber, dass sie das nicht allein erreichen können, also klinken sie sich in Bewegungen ein, die ihre sozialdarwinistische Ideologie teilen. Sie versuchen, diese Bewegungen weiter zu radikalisieren und soziale Konflikte zu schüren, um eine Situation herbeizuführen, in der der Staat nicht mehr in der Lage ist, Minderheiten zu schützen."
Das sei im Wesentlichen das, was im November in Leipzig passiert ist. Im Nachhinein wurde die Polizei dafür kritisiert, dass sie sich angesichts der Hooligans zurückgezogen hat. Hätte sie besser vorbereitet sein müssen?
"Die Hooligans nehmen seit August an diesen Protesten teil und es war durch die sozialen Medien vorhersehbar, dass sie in Leipzig wieder zusammenkommen würden", sagt Claus. "Man konnte sie schon früh am Tag sehen und sie identifizieren. Aber die Polizei hat keine strategischen Maßnahmen ergriffen, um sie zu einzukesseln."
Ein Paradoxon für die Polizei
Die Behörden stehen vor einem schwierigen Balanceakt. Paradoxerweise haben sie es mit einer Bewegung zu tun, die sich grundlegende Bürgerrechte wie Versammlungs- und Meinungsfreiheit zunutze macht, um genau das System anzugreifen, das diese Rechte garantiert. Gleichzeitig werfen sie dem System vor, ihnen diese Rechte wegzunehmen.
"Diese Demonstrationen stellen eine neue Art von Versammlungen dar, die neue Herausforderungen mit sich bringen", sagte Jörg Radek, stellvertretender Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP), in einem Interview mit dem Fachmagazin Journalist.
"Die Polizei hätte den Durchbruch in Leipzig wahrscheinlich verhindern können, wenn sie sich in drei Reihen aufgestellt hätte, aber was für ein Bild hätte das ergeben? Ausgerechnet an dem Ort, an dem sich vor 31 Jahren Menschen gegen eine Diktatur auflehnten? Diese Bilder wären benutzt worden, um die Polizei als Gerichtsvollzieher einer Gesundheitsdiktatur darzustellen."
Radek fügte allerdings hinzu, dass die Polizei "lernfähig" sei - und so schien es auch, als die nächste "Querdenken"-Demonstration am 12. Dezember in Dresden offiziell verboten wurde.
Dennoch nahm die Polizei 72 Personen fest, erteilte über 160 Platzverweise und erstattete gegen fast 300 Personen Strafanzeige wegen Ordnungswidrigkeiten. Darunter auch bekannte Fußball-Hooligans, die versuchten, mit dem Zug nach Dresden zu reisen.
Adaption: Tobias Oelmaier