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Neue Spaltung der Ukraine droht

Roman Goncharenko 10. April 2015

Das ukrainische Parlament hat das kommunistische Regime als verbrecherisch eingestuft und alle geehrt, die für die Unabhängigkeit gekämpft haben. Kritiker warnen vor einer weiteren Gefahr für die Einheit des Landes.

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Ein Graffitti mit den kommunistischen Symbolen Hammer und Sichel (Foto: Savenko Tatyana)
Ein neues Gesetz stellt die Verwendung kommunistische Symbole unter StrafeBild: Fotolia/Savenko Tatyana

Nach dem Machtwechsel in Kiew im Februar 2014 kassierte die neue Mehrheit im Parlament ein umstrittenes Sprachgesetz, das unter anderem die Nutzung der russischen Sprache in Behörden erlaubt hatte. Das wirkte wie ein Brandbeschleuniger. Die prorussischen Separatisten nutzten das Gesetz als Argument gegen die Regierung in Kiew. Die Spaltung der Gesellschaft in ein proukrainisches und ein prorussisches Lager wurde tiefer. Eine ähnliche Wirkung könnten auch die drei neuen Gesetze haben, die am Donnerstag von der Werchowna Rada, dem ukrainischen Parlament, verabschiedet wurden.

Hammer und Sichel unter Strafe

Eines der Gesetze verurteilt "das kommunistische totalitäre Regime", das zwischen 1917 und 1991 in der Ukraine herrschte. Die kommunistische Symbolik wie Hammer und Sichel sowie auch die "kommunistische Propaganda" sind nun unter Strafe gestellt.

In einem zweiten Gesetz werden alle Personen und Organisationen geehrt, die sich im 20. Jahrhundert für eine unabhängige Ukraine eingesetzt haben, politisch oder auch mit Waffengewalt. Das gilt auch für ukrainische Nationalisten, die während des Zweiten Weltkriegs gegen die Sowjetunion kämpften, teilweise aber auch mit Nazi-Deutschland kollaborierten. Die noch lebenden Kämpfer könnten künftig vom Staat finanzielle Hilfe und sonstige Vergünstigungen erhalten.

Schließlich wird in einem dritten Gesetz der 8. Mai als Tag der Erinnerung und Versöhnung im Gedenken an die Opfer des Zweiten Weltkriegs eingeführt. Das Datum soll die Ukraine näher an die westliche Tradition der Erinnerung bringen. Der noch zu Sowjetzeiten eingeführte Tag des Sieges über Nazi-Deutschland am 9. Mai wird jedoch nicht abgeschafft und bleibt als Staatsfeiertag bestehen.

Warnung vor drohender Spaltung

Die Kritik an den Beschlüssen ließ nicht lange auf sich warten. Vor allem die prorussischen Separatisten in der Ostukraine griffen die neuen Kiewer Gesetze scharf an. Olexander Sachartschenko, Anführer der selbsternannten "Donezker Volksrepublik", sprach von einer "Farce". Die ukrainische Regierung habe "unumkehrbare Prozesse in Gang gesetzt, die zu einem völligen Zerfall des Landes führen werden", zitiert eine Donezker Nachrichtenagentur Sachartschenko. Auch der "Oppositionelle Block" im ukrainischen Parlament, dessen Wähler vor allem aus dem Osten und Süden der Ukraine stammen, warnte vor "einer Spaltung der ukrainischen Gesellschaft". Russische Politiker verurteilten die Gleichsetzung kommunistischer und nazistischer Symbolik als "zynisch".

Applaus bekamen die neuen Gesetze dagegen von ukrainischen Rechtspopulisten. "Bravo", schrieb Irina Farion von der Partei "Swoboda" (Freiheit) in ihrem Blog. Sie freue sich über die "Entkommunisierung" der Ukraine, die "Swoboda" angestoßen habe, so Farion. Ihre Partei ist inzwischen nicht mehr als Fraktion im Parlament vertreten.

Lenin-Statue in Charkiv wird abgerissen (Foto: AP)
Aktivisten stürzten schon im September 2014 eine Lenin-Statue in CharkivBild: picture alliance/AP Photo/Igor Chekachkov

Goodbye, Lenin!

Unter Beobachtern in der Ukraine gehen die Meinungen über die neuen Gesetze weit auseinander. Manche, wie der Kiewer Journalist Serhij Rudenko, begrüßen sie. "Das, was in der Ukraine am 9. April 2015 geschah, hätte 1991 geschehen sollen", sagte Rudenko im Gespräch mit der DW. Die Kommunistische Partei habe die Ukraine in den vergangenen zwei Jahrzehnten zurück in Sowjetzeiten und näher an Russland heran geführt. Vor dem Hintergrund der jüngsten Ereignisse auf der Krim und in der Ostukraine sei es absurd, dies weiterhin zu tolerieren. Rudenko findet es richtig, dass nun auch die zahlreichen "Leninstraßen" oder auch nach sowjetischen Kommunisten benannte Städte und Dörfer umbenannt werden sollen.

Kritiker verweisen darauf, dass es keine öffentliche Debatte über die betroffenen sensiblen Themen gegeben habe. Der ukrainische Rechtsextremismus-Forscher Anton Schechowzow beschreibt die neuen Gesetze als "populistisch und sinnlos". Er bezieht sich auf Umfragen, wonach die Ehrung von ukrainischen Nationalisten aus dem Zweiten Weltkrieg das Land in zwei Teile spalte: 2013 sprachen sich 52 Prozent der befragten Ukrainer gegen eine Anerkennung der ukrainischen Nationalisten als Freiheitskämpfer aus. Nur fast ein Drittel waren dafür. Der Abstand dürfte heute geringer sein, doch die Trennlinie verläuft offenbar nach wie vor zwischen der Ost- und der Westukraine.

Ukraine folgt dem Beispiel Lettlands und Litauens

Das neue Gesetz wirke wie eine Bombe und bedrohe die Einheit der Nation, die angesichts einer militärischen Gefahr notwendig sei, warnt Schechowzow.

Ganz neu ist der Weg, den die Ukraine eingeschlagen hat, allerdings nicht. Die baltischen Staaten Lettland und Litauen, zwei ehemalige Sowjetrepubliken und heutige EU- und NATO-Mitglieder, haben die sowjetische Symbolik vor Jahren verboten. In der Ukraine selbst ehrte 2010 der prowestliche Präsident Viktor Juschtschenko die Anführer der ukrainischen Nationalisten aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs, Stepan Bandera und Roman Schuchewytsch, als "Helden der Ukraine". Sein Nachfolger, der prorussische Staatschef Viktor Janukowitsch, nahm diese posthumen Ehrungen jedoch wieder zurück.