Ein zweiter US-Spion aufgeflogen?
9. Juli 2014Die Spionageaffäre mit den USA weitet sich aus. Regierungssprecher Steffen Seibert bestätigte auf der Bundespressekonferenz in Berlin, dass der Generalbundesanwalt auch in einem weiteren Fall ermittelt. Seit Mittwochmorgen durchsuchten Beamte des Bundeskriminalamtes und der Bundesanwaltschaft Wohnung und Büro eines Beschuldigten im Großraum Berlin, hieß es dazu aus Sicherheitskreisen, die damit einen Bericht von "Süddeutscher Zeitung", NDR und WDR bestätigten.
Es bestehe der Anfangsverdacht der geheimdienstlichen Tätigkeit für einen amerikanischen Nachrichtendienst. Der Verdächtige soll im militärischen Bereich gearbeitet haben. Wegen des mutmaßlichen zweiten Spionagefalls wird nun auch im Bundesverteidigungsministerium ermittelt. Der Sprecher des Verteidigungsministeriums Uwe Roth betonte, man nehme den Fall sehr ernst. Eine Festnahme gab es zunächst nicht.
Der amerikanische Botschafter in Berlin, John B. Emerson, fand sich nach Angaben des Auswärtigen Amts am Mittwoch zu einem erneuten Gespräch im Außenministerium ein. Bereits am vergangenen Freitag hatte das Außenministerium den US-Diplomaten zu einem Gespräch geladen und um schnelle Aufklärung des ersten Spionageverdachtfalles gebeten.
Bundeskanzlerin Angela Merkel wollte den neuen Spionageverdacht gegen die USA zunächst nicht bewerten. Dazu müsse der Generalbundesanwalt Stellung nehmen, "das kann ich nicht von hier aus machen", sagte sie in Berlin. Die Bundesregierung werde ihre Informationen zeitnah dem zuständigen Kontrollgremium des Bundestags mitteilen. Am Donnerstag findet eine Sondersitzung des Parlamentarischen Kontrollgremiums statt. Das Gremium ist für die Kontrolle der Geheimdienste zuständig.
Merkel bestätigt Kontaktaufnahme des CIA-Chefs
Merkel bestätigte, dass sich CIA-Chef John Brennan wegen der Spionageaffäre um den BND-Mitarbeiter in der deutschen Regierungszentrale gemeldet habe. Auf die Frage, ob Brennan Kontakt zum Kanzleramt gesucht habe, sagte die Kanzlerin: "Ich kann bestätigen, dass es dazu Gespräche durchaus gibt, aber über Ergebnisse kann ich nichts sagen." Zuvor hatte "Spiegel Online" berichtet, der US-Geheimdienstchef habe mit Geheimdienstkoordinator Klaus-Peter Fritsche telefoniert, um den Schaden in der Affäre um Spionage beim Bundesnachrichtendienst (BND) zu begrenzen.
Eine offizielle Stellungnahme aus Washington zum Skandal um den mutmaßlichen Doppelagenten beim BND gibt es bisher nicht. Das Weiße Haus bekräftigte am Dienstag lediglich, dass es sich um eine "angemessene" Lösung des Problems mit Deutschland bemühe. Dazu habe "einige Kommunikation" über diplomatische Kanäle und über die Strafverfolgungsbehörden stattgefunden, sagte der Sprecher von Präsident Barack Obama, Josh Earnest, lapidar. Mehr könne er nicht sagen. Earnest betonte erneut, dass Washington der "starken Partnerschaft" mit Deutschland einen hohen Wert beimesse.
US-Senator McCain äußert als Erster sein Bedauern
Als erstes hochrangiges Mitglied des US-Kongresses meldete sich der republikanische US-Senator John McCain zu Wort. Der frühere republikanische Präsidentschaftskandidat bezeichnete den Skandal als "sehr bedauerlich" und erklärte: "Das ist offenkundig etwas, an dem die Deutschen stark Anstoß nehmen. Und es wird unseren Beziehungen schaden."
Angesichts der zögerlichen Haltung der USA drängt Außenminister Frank-Walter Steinmeier auf eine schnelle Aufklärung des Falles. "Es wäre höchst beunruhigend, wenn es munter mit dem Bespitzeln weiter ginge, während wir gerade dabei sind, die NSA-Abhöraktivitäten aufzuarbeiten, und dafür im Bundestag einen Untersuchungsausschuss eingerichtet haben", sagte er der "Saarbrücker Zeitung". Ein solcher Versuch, "mit konspirativen Methoden etwas über die Haltung Deutschlands zu erfahren, gehört sich nicht nur nicht, es ist auch völlig überflüssig".
Die Affäre hat auch die Gespräche einer zurzeit in den USA weilenden Delegation des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags überschattet. Der Ausschuss-Vorsitzende, Norbert Röttgen (CDU), erklärte im ZDF, die Mitglieder hätten "hier deutlich gemacht, dass durch diese Dummheiten, die stattfinden in den US-Geheimdiensten, ein wirklicher außenpolitischer Schaden angerichtet" werde. Er warnte jedoch zugleich, dies dürfe nicht zu einer dauerhaften Beschädigung des deutsch-amerikanischen Verhältnisses führen.
Die stellvertretende Vorsitzende der Partei Die Linke, Sahra Wagenknecht, warf der Bundesregierung Tatenlosigkeit gegenüber "dem Unwesen der US-Geheimdienste" vor. Die von Regierungsmitgliedern zur Schau gestellte Naivität, Ahnungslosigkeit und Empörung ist als Reaktion auf die ausufernde Spionageaffäre ungenügend und an Hilflosigkeit nicht zu überbieten, heißt es in einer Pressemittelung. Die Linkspartei fordert die Auflösung der deutschen Geheimdienste.
Am vergangenen Freitag war bekannt geworden, dass ein Mitarbeiter des Bundesnachrichtendiensts im Verdacht steht, für die USA unter anderem den NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestags bespitzelt zu haben. Er soll innerhalb von zwei Jahren 218 Dokumente für 25.000 Euro an US-Geheimdienste verkauft haben. Nach Angaben des US-Senders CBS war auch der US-Dienst CIA beteiligt gewesen. Die Bundesanwaltschaft ermittelt gegen den in Untersuchungshaft sitzenden Mann.
Snowden will Vernehmung nur in Deutschland
Röttgen sprach sich im Deutschlandfunk gegen jegliche Racheakte oder eine Gegenspionage aus. Zudem lehnte er eine Vernehmung des früheren US-Geheimdienstmitarbeiters Edward Snowden in Deutschland ausdrücklich ab.
Snowden dagegen verweigert eine Video-Vernehmung durch den NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestags. Der Ausschussvorsitzende Patrick Sensburg (CDU) berichtete dem ARD-Hauptstadtstudio über ein entsprechendes Schreiben von Snowdens deutschem Rechtsanwalt. Auch eine informelle Reise des Ausschusses zu ihm an seinen Asylort Moskau lehnt der Ex-US-Geheimdienstler ab. Er beharrt auf einer Befragung in Deutschland.
kis/uh/sp (dpa, rtr, afp)