Neuer Stresstest für den Welthandel
14. August 2021Chinas Staats- und Parteiführung demonstriert Entschlossenheit, wenn es um die Eindämmung von lokalen Corona-Ausbrüchen geht: Mit Massentestungen, Quarantänen und neuen Lockdowns greifen die Behörden im Reich der Mitte durch und halten damit an der bisher ziemlich erfolgreichen Zero-Covid-Strategie Pekings fest. Die Folgen für die heimische Wirtschaft und die internationalen Handelspartner sind dabei aber gewaltig.
Immer wieder kam es in den vergangenen anderthalb Jahren zu erheblichen Einschränkungen im internationalen Warenverkehr, wenn China Pandemie-bedingt ganze Regionen in den Lockdown schickte. Und immer wieder waren zentrale Ausfuhrhäfen betroffen, zuletzt Yantian, der Hafen der Hightech-Metropole Shenzhen. Ein Monat wurde Chinas zentraler Ausfuhrhafen für Hightech-Produkte dicht gemacht. In der Folge gingen vielen Unternehmen in den USA und Europa Chips und andere digitale Komponenten aus.
Jetzt hat es Ningbo Zhoushan (Artikelbild) getroffen, Chinas zweitgrößter Containerhafen, der vor Jahren durch die Fusion der Häfen von Ningbo und Zhoushan entstand, in direkter Nachbarschaft zum weltweit größten Containerhafen in Shanghai. Mittlerweile sind die Hafenanlagen so stark ausgebaut worden, dass die drei Mega-Häfen immer näher aneinander rücken.
Nach übereinstimmenden Meldungen ist in Ningbo bisher nur ein Terminal durch einen einzigen positiv getesteten Hafenarbeiter betroffen. Das Problem ist damit zwar lokal begrenzt, die Auswirkungen durch den Rückstau von Schiffen auf andere Hafen-Bereiche in Ningbo und dem benachbarten Shanghai haben es aber in sich.
Kleine Ursache, große Wirkung
"Terminalschließungen wirken sich schnell überregional aus. Als der Hafen Yantian geschlossen wurde, begannen sich Containerschiffe schnell vor dem mehr als 1000 Kilometer entfernten Ningbo zu stauen. Es ist also zu erwarten, dass sich eine Terminalschließung in Ningbo nun auch andersherum auf andere chinesische Häfen auswirkt und dort Zeitpläne durcheinander bringt", sagt Vincent Stamer, Handelsexperte beim Institut für Weltwirtschaft (IfW) in Kiel im Interview mit der DW.
Die aktuelle Lage in China gibt ihm Recht: Nach den Daten des Informationsanbieters Refinitiv warteten in Ningbo Zhoushan am Donnerstag bereits 40 Containerschiffe an äußeren Ankerplätzen des Hafens. Am Mittwoch waren es erst 28 Schiffe.
China kämpft gegen die Delta-Variante
Die Lage in den Häfen Shanghai und Ningbo Zhoushan verschärft sich, seit das Ningbo Meishan Island International Container Terminal (MSICT) am Mittwoch das Beladen und Löschen von Containern "bis auf Weiteres" eingestellt hatte, wie das dänische Containerlogistik-Unternehmen Maersk seinen Kunden mitteilte. Und zwar wegen eines einzigen positiv getesteten Hafenarbeiters, der sich trotz vollständiger Impfung mit einem chinesischen Vakzin mit der in Asien grassierenden Delta-Variante infiziert hatte.
Die Ereignisse in Ningbo lassen nichts Gutes ahnen, denn schärfere Beschränkungen zur Eindämmung der jüngsten Corona-Ausbrüche erfassen inzwischen immer mehr Bereiche der chinesischen Wirtschaft. Die hochansteckende Delta-Variante wurde seit Ende Juli bereits in mehr als zwölf Städten nachgewiesen. Und niemand weiß genau, wie wirksam die chinesischen Impfstoffe gegen die Delta-Variante schützen.
Dass die Staats- und Parteiführung auch kleine, lokale Corona-Ausbrüche mit Massen-Testungen und -Quarantänen bekämpft, steigert den ohnehin schon hohen Stress-Level in den internationalen Lieferketten.
"In der Tat klagen immer mehr deutsche Firmen über Lieferengpässe und -verzögerungen, die teilweise durch Turbulenzen im Containerschiffnetzwerk verursacht wurden. Eine erneute Schließung könnte die Situation für Lieferketten also noch verschärfen. Vielleicht kann mit dem stringenten Vorgehen aber auch einer Schließung anderer Terminals vorgebeugt werden", hofft IfW-Experte Stamer.
Enttäuschte Hoffnungen
Noch vor wenigen Monaten hatte die Logistikbranche gehofft, dass sich die Lage in Sachen Corona beruhigt. "Und jetzt haben wir Delta-Verzögerungen", beklagte Emmanouil Xidias von der Nord-Amerika-Tochter das Schweizer Schiffsmaklers Ifchor im Gespräch mit der Nachrichtenagentur Bloomberg. "Wir werden wohl einen zweiten Tiefschlag abbekommen."
Was aber würde es für die internationalen Warenströme bedeuten, wenn China mit seiner Zero-Covid-Strategie und seinem bisherigen Impfprogramm wegen der Delta-Variante nicht den von Peking verkündeten Erfolg hat?
"Im schlimmsten Fall würden in China überregionale Lockdowns verhängt. Das hätte enorme Konsequenzen für die globalen Warenströme. Nicht nur exportiert China Produkte wie Textilien, Unterhaltungselektronik und Möbel für den Endkonsum. China exportiert auch wichtige Zwischenprodukte für die Weiterverarbeitung in Deutschland. Beispielsweise importiert auch die deutsche Automobilindustrie Elektronikteile aus China. Nicht zuletzt wird China auch als Destination für deutsche Exporte immer wichtiger - ein Lockdown in China würde also Deutschland und globale Warenströme doppelt treffen", unterstreicht Vincent Stamer vom IfW.
Auswirkungen auf Finanzmärkte drohen
Die teilweise Schließung von Ningbo sei tatsächlich ein weiterer Schlag gegen die immer wieder unterbrochenen Lieferketten, unterstreicht Jeffrey Halley, Marktanalyst für den asiatisch-pazifischen Raum beim Devisen-Händler Oanda. Die Lage in Asien werde wohl zunehmend "von den kleinen, aber ziemlich weit verbreiteten Virusausbrüchen in Festlandchina und den teilweisen Hafenschließungen und deren Auswirkungen auf den globalen Handel dominiert werden. Nichts davon dürfte sich positiv auf regionale Aktien, Währungen oder Energiepreise auswirken", warnt Halley.
Harte Gegenmaßnahmen
Die chinesischen Behörden versuchen unterdessen, die Lage in den Griff zu bekommen. Der Hafen Ningbo Zhoushan teilte am späten Donnerstag in einer Erklärung mit, dass alle anderen Terminals außer Meishan normal arbeiten. Der Hafen sei in Kontakt mit betroffenen Reedereien, um deren Schiffe an andere Terminals weiterzuleiten und stelle aktuelle Informationen auf einer Datenplattform in Echtzeit zur Verfügung.
Um die Auswirkungen so gering wie möglich zu halten, würden die Betriebszeiten anderer Terminals ausgeweitet, um sicherzustellen, dass die Kunden ihre Ladungen abfertigen können. Wie nervös die Behörden vor Ort sind, zeigen die aktuellen Reisebeschränkungen. Obwohl die Stadt Ningbo nach Angaben der städtischen Gesundheitsbehörde nach wie vor als Gebiet mit geringem Virusrisiko gilt, wurden alle Flugverbindungen nach Peking gestrichen.
Die Staats- und Parteiführung steht vor dem Dilemma, ihr Land gegen das Virus abzuschotten und gleichzeitig seine Funktion als zentraler Dreh- und Angelpunkt der internationalen Handelsströme sicherzustellen.
Container-Preis um mehr als 200 Prozent gestiegen
Der Baltic Dry Index, der als weltweiter Maßstab für die Preise in der Fracht-Schifffahrt gilt, ist seit einem Monat um mehr als zehn Prozent gestiegen, seit sich die Delta-Variante immer schneller verbreitet. Auch die Containerpreise sind weiter in die Höhe geschnellt: Der Preis für die Verschiffung eines einzigen Containers von Schanghai nach Los Angeles stieg im letzten Jahr um mehr als 220 Prozent auf 10.322 US-Dollar in dieser Woche.
Aber nicht nur Corona führt zu Schließungen von Container-Terminals oder ganzer Häfen. In China kommt noch die Taifun-Saison als weiteres Problem dazu. Und wenn die Klimaforscher nicht völlig falsch liegen, wird die Taifun-Saison in Zukunft länger und heftiger ausfallen. Außerdem sind alle Hafenstädte weltweit vom steigenden Meeresspiegel bedroht, auch in China. Müssen also die internationalen Warenströme in Zukunft ganz anders organisiert werden?
"Ganz sollte man das bisherige System nicht verwerfen. Dafür profitieren gerade Staaten wie Deutschland, das sehr in internationale Lieferketten eingebunden ist, von der Globalisierung", ist IfW-Handelsexperte Stamer überzeugt. An der einen oder anderen Stelle seien aber "graduelle Anpassungen sinnvoll - beispielsweise durch eine Diversifizierung der Lieferanten oder eine etwas höhere Lagerhaltung."