Das Einkaufsparadies für religiöse Türkinnen
15. Mai 2018Die 35-jährige Zehra Özkaymaz ist ein türkischer Instagram-Star. In den vergangenen Jahren hat sie 19 Festivals organisiert, auf denen Mode für muslimische Frauen gezeigt wurde. Das neue Projekt der ehemaligen Englisch-Lehrerin ist noch größer: Sie hat in Istanbul ein Einkaufszentrum für konservative Frauen eröffnet. Es ist nach ihrem Instagram-Account benannt: "Zeruj".
Schon bei der Eröffnung am 11. Mai sollen rund 22.000 Menschen das Einkaufszentrum besucht haben. In den kommenden Wochen dürften es mehr werden. Denn während des muslimischen Fastenmonats Ramadan gibt es bei "Zeruj" religiöse Veranstaltungen - und Rabatte auf Klamotten.
Alle Marken unter einem Dach
In den 126 Läden des Einkaufszentrums "Zeruj" haben religiöse türkische Frauen viel Auswahl: von unterschiedlichen Turbanen bis hin zu farbenfrohen Kopftüchern und langen Mänteln.
Im Laden "Kadriye Baştürk", der unterschiedliche Kopfbedeckungen anbietet, läuft arabische Musik. Die 21-jährige Tutku arbeitet hier als Verkäuferin. "Früher mussten Frauen zu unterschiedlichen Geschäften in unterschiedlichen Stadtteilen fahren", sagt sie. In einer Metropole wie Istanbul kann der Weg im chaotischen Verkehr sehr lange dauern. "Jetzt können sie alle Produkte unter einem Dach finden."
Das Einkaufszentrum orientiere sich an den Bedürfnissen der konservativen Kundin, sagt Geschäftsinhaber Ferit Burhan, der zusammen mit Zehra Özkaymaz das Einkaufszentrum "Zeruj" leitet. "Die Mehrheit der Frauen in der Türkei kleidet sich so", meint er. "Aber bisher gab es kein Einkaufszentrum dafür. Also wollten wir es den Frauen einfach machen."
Ein weiterer türkischer Instagram-Star, Meryem Akbulut, hat in dem Einkaufszentrum ihr Geschäft eröffnet - weil sich ihr Angebot an Frauen richtet. Ihr Sohn Emre sei glücklich darüber, dass so viele Frauen am ersten Tag eingekauft hätten, sagt sie, "aber es wird sich zeigen, wie es weitergehen wird".
Fünf Mal am Tag erklingt der Gebetsruf
Obwohl sich das Einkaufszentrum hauptsächlich an Frauen richtet, sind hier auch Männer zu sehen - zumindest als geduldige Begleiter. Ramazan Ekinci ist einer von ihnen. Er wartet vor einem Geschäft, während seine Frau shoppen geht. Die Fahrt war lang, das Einkaufszentrum sei weit vom Wohnort des Ehepaars entfernt. "Es hätte doch auch einen Laden für Männer geben können", sagt er und schmunzelt.
Das Einkaufszentrum "Zeruj" steht auch für die immer konservativeren Tendenzen in der Türkei. So hört man hier fünf Mal am Tag den Gebetsruf, mit dem die gläubigen Muslime an die täglichen Gebete erinnert werden. Geschäftsinhaber Ferit Burhan kann nicht nachvollziehen, warum die türkischen Medien gerade das immer wieder betonen. "Schließlich leben wir in einem mehrheitlich von Muslimen bewohnten Land, und das gehört dazu. Dieser Ruf ist auch sonst überall in der Stadt zu hören", argumentiert er.
Das sieht die türkische Anthropologin Dr. Ayşe Çavdar anders. Für sie ist das konservative Einkaufszentrum ein Bekenntnis der religiösen Menschen zum Kapitalismus.
Çavdar hat sich in ihrer Dissertation mit einer ähnlichen Frage beschäftigt. Ihre These: Die Freiheit zu konsumieren sei mittlerweile viel wichtiger als andere Freiheiten geworden. "Frauen sind nur die zur Schau gestellten Gewinnerinnen des Wirtschaftsbooms in der Türkei. Die eigentlichen Gewinner sind Männer, die eine neue Zielgruppe für ihre Geschäfte gefunden haben. Das wird unter dem Label 'Befreiung der muslimischen Frau' verkauft", kritisiert Çavdar.
"Frauen werden mit Konsum belohnt"
Aus ihrer Sicht hat das Einkaufszentrum nichts mit Religion zu tun. Sie vergleicht es stattdessen mit einem Harem, also dem abgetrennten Bereich des Hauses, in dem einst Frauen wohnten: "Der Harem war ein architektonisches Element, das nach außen hin die Privatsphäre eines Hauses zeigen sollte. Dieses Einkaufszentrum zeigt nur den Außenbereich des Hauses. Aber es verhindert eine echte Teilhabe der Frauen am gesellschaftlichen Leben. Im Einkaufszentrum gilt: Wenn Frauen ihre eigenen Grenzen kennen, werden sie von Männern mit Konsum belohnt."