Neuwahlen in Deutschland: Für wen es jetzt schwierig wird
13. November 2024Lange wurde gestritten, nun sind Regierung und Opposition einig: Nach dem vorzeitigen Aus der Ampel-Koalition soll am 23. Februar 2025 neu gewählt werden.
Darauf haben sich die regierende SPD von Bundeskanzler Olaf Scholz und Vertreter der größten Oppositionsfraktion aus CDU und CSU geeinigt. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bezeichnete den Zeitplan als "realistisch". Nur er kann gemäß Grundgesetz den Bundestag auflösen und Neuwahlen ansetzen, wenn dem Bundeskanzler im Parlament das Vertrauen der Abgeordneten fehlt.
Die so genannte Vertrauensfrage will Scholz nun am 16. Dezember im Bundestag stellen. Verliert er, wie erwartet und beabsichtigt, die Abstimmung, dann hat der Bundespräsident maximal 21 Tage Zeit, das Parlament aufzulösen. Danach müssen die bundesweiten Wahlen innerhalb von 60 Tagen stattfinden.
Mehr als 60 Millionen Bundesbürger sind wahlberechtigt: Sie müssen mindestens 18 Jahre alt sein und seit mindestens drei Monaten in Deutschland wohnen.
Vorwurf politischer Einflussnahme auf Wahlleiterin
Die CDU und andere Oppositionsparteien hatten zunächst dafür geworben, die Wahl auf Januar vorzuziehen. Bundeskanzler Olaf Scholz dagegen hatte Ende März oder Anfang April angepeilt. Seine Begründung: die Regierung brauche Zeit, um noch wichtige, fast fertige Gesetze zu verabschieden. Zudem bräuchten die zuständigen Behörden Zeit, die Wahl ordnungsgemäß zu organisieren.
Bundeswahlleiterin Ruth Brand bestätigte dies. Sie deutete an, dass es wegen der Weihnachtsfeiertage, der Beschaffung von Papier und der Beauftragung des Drucks der Wahlzettel zu Verzögerungen kommen könnte.
Dies löste heftige Proteste der konservativen Opposition aus. Die CDU warf Scholz vor, er habe Brand unter Druck gesetzt, ihre Warnung auszusprechen. Von "politischer Einflussnahme" sprach Jens Spahn, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der CDU im Bundestag. Diesen Vorwurf wies ein Sprecher Brands zurück. Es habe "keine Weisung oder Einflussnahme auf die Position der Bundeswahlleiterin im Zusammenhang mit Neuwahlen" gegeben, sagte er.
Fehler wegen Zeitmangel?
Den nun gewählten Termin hält die Bundeswahlleiterin "sehr wohl für rechtssicher durchführbar". Sie ist nun dafür zuständig, dass Wahlausschüsse berufen werden. Diese entscheiden über die Zulassung von Parteien zur Wahl und stellen nach der Wahl das endgültige Ergebnis fest. Zudem müssen nun Wahlräume bereitgestellt und Wahlhelfer geschult werden. Außerdem müssen Wahlbenachrichtigungen sowie Briefwahlunterlagen versandt werden.
Man brauche eine gute Vorbereitung, sagte der Berliner Landeswahlleiter Stephan Bröchler. "Es geht um die Sicherstellung der Qualität demokratischer Wahlen in Deutschland", so Bröchler. "Das ist ein hohes Gut, und ich möchte nicht, dass die Wahl am Ende wiederholt werden muss." In Berlin musste die Wahl im Jahr 2021 aufgrund von Unregelmäßigkeiten in einigen Wahllokalen teilweise wiederholt werden.
Wilko Zicht, Leiter des unabhängigen Vereins Wahlrecht.de, schätzt, dass die Behörden nun etwa vier Monate Arbeit in nur zwei Monaten erledigen müssen. "Die Fehlerquote steigt natürlich, wenn man etwas überstürzt", sagt Zicht der DW. "Dann wird mal eher ein Fehler auf dem Stimmzettel übersehen, dann gibt's vielleicht doch eine unzuverlässige Druckerei, die dann nicht rechtzeitig die Stimmzettel fertigkriegt."
Kleine Parteien benachteiligt?
Die Behörden haben also Arbeit vor sich. Und was bedeutet der Termin für die Parteien, die nun in den Wahlkampf einsteigen? "Für die größeren Parteien ist das jetzt kein Problem", sagt der Wahlrechtsexperte und ehemalige Grünen-Politiker Zicht. Sie hätten bereits mit der Planung für die nächste Wahl begonnen. "Im Moment ist eher die Phase, wo die Parteien ihre Listen aufstellen, von daher ist es kein absolutes Drama."
Anders sehe es für die kleineren politischen Parteien aus. Sie hätten nicht die Ressourcen und das Personal, um schnell Kandidatenlisten zu erstellen. "Die müssen, nachdem sie ihre Kandidaten aufgestellt haben, ja auch noch Unterschriften sammeln, damit sie überhaupt zugelassen werden können."
In jedem Bundesland müssen nicht-etablierte Parteien Unterschriften von bis zu 2000 Unterstützern sammeln, um zur Wahl zugelassen zu werden. "Das ist sowieso schon hart mit dem Winter, aber das wären dann sehr unfaire Bedingungen für die ganz kleinen Parteien", so Zicht.
Einige Kleinparteien fordern deshalb, dass die Regeln geändert werden und sie weniger Unterschriften sammeln müssen. "Diese Hürde ist in so kurzer Zeit unzumutbar und widerspricht den Grundsätzen einer fairen Demokratie", schreiben die Tierschutzpartei und die Partei der Humanisten in einem offenen Brief an Bundesregierung und Bundestag. "Um bundesweit zur Wahl zugelassen zu werden, müssten wir derzeit über 27.000 Unterstützerunterschriften für unsere Landeslisten sammeln. Regulär hätten wir dafür mehrere Monate bis in den Sommer Zeit. Im Fall vorgezogener Neuwahlen blieben uns hingegen wenige Wochen."
Drucken unter Zeitdruck
43 solcher Kleinparteien haben an der Bundestagswahl 2021 teilgenommen. Die Partei Volt sieht nun vor allem das Problem, kurzfristig ausreichend ehrenamtliche Helfer zu finden. Und ausreichend Plakate, mit denen sie für sich werben kann. "Wir bei Volt brauchen bundesweit etwa hunderttausend Plakate", sagte Niclas Rauch von Volt in Schleswig-Holstein dem NDR. "Da muss man erst einmal Druckereien finden, die das stemmen können. Alle anderen Parteien wollen ja jetzt auch drucken." Der Termin im Februar sei deshalb organisatorisch eine Herausforderung. "Aber es ist machbar", so Rauch.
Alle praktischen Probleme seien relativ gering im Vergleich zu den Problemen, die auftreten könnten, wenn die Organisation einer Wahl Teil der politischen Debatte werde, sagt Wahlrechts-Aktivist Zicht. "Wenn man die unabhängige Wahlorganisation delegitimiert, dann legt man wirklich die Axt an unsere Demokratie. Wenn das Wahlergebnis nicht als unabhängig und einwandfrei festgestellt gilt, dann fühlt sich auch niemand mehr daran gebunden." Die Folgen habe man vor vier Jahren in den USA gesehen. Dort hatte der Streit um einen angeblichen Wahlbetrug das Land jahrelang beschäftigt.
Dieser Artikel vom 12.11.2024 wurde aus dem Englischen übersetzt und aktualisiert.