New-York-Blues für deutsche Damen
30. August 2018Die US Open, Woche 1. Wir könnten über die irre Hitze sprechen oder darüber, dass es wieder einmal so laut ist auf der Anlage. Wir könnten über den Mini-Skandal sprechen, der ausbrach, weil die Französin Alizé Cornet ihr verdrehtes T-Shirt im Match auf dem Platz aus- und richtig herum wieder anzog. Und sie dafür eine Strafe kassierte, für die sich der US-Tennisverband gleich wieder entschuldigen musste. Schließlich dürfen die männlichen Kollegen ohne Unterlass oben ohne auf dem Court herumsitzen. Sexismus? Diskriminierung?
Doch lassen Sie uns lieber über die deutschen Tennis-Frauen sprechen, die mit so vielen Hoffnungen ins letzte Grand-Slam-Spektakel des Jahres hinein- und - bis auf Favoritin Angelique Kerber - viel zu schnell wieder herausgegangen sind. Was war da los?
Lag es an der Taktik oder der mangelnden Abgebrühtheit, vielleicht auch am Qualitätsunterschied zwischen Top- und absoluten Weltklasse-Spielerinnen? Mancher Erklärungsansatz wäre richtig, aber nicht hinreichend als Erklärung für das Abschneiden der DTB-Frauen. Aber was dann?
Bemühen wir die Atmosphäre. Kein anderes Tennis-Turnier auf der Welt provoziert den Beobachter derart zu musikalischen Analogien. Es gibt so viele gute Hymnen über New York, die eine von Frank Sinatra - und noch viele andere. Die beste hat aber wohl Billy Joel im Jahr 1976 geschrieben: "New York State of Mind" beschreibt so wunderbar, wie man sich zwischen Chinatown und Riverside fühlen kann. Zu Hause nämlich:
"Some folks like to get away,
Take a holiday from the neighbourhood,
Hop a flight to Miami Beach or to Hollywood.
But I'm takin' a Greyhound on the Hudson River line,
I'm in a New York state of mind."
Dieser "New York state of mind" spielt auch bei den US Open eine gewichtige Rolle. Ob die ausgeschiedenen deutschen Spielerinnen die Stadt im - von Billy Joel empfohlenen - Greyhound-Bus verlassen? Wohl kaum. Carina Witthöft aus Hamburg, die sich in der Night-Session im gigantischen Arthus-Ashe-Stadium einmal tatsächlich wie ein Star fühlen durfte, hatte es mit Serena Williams aufzunehmen. Williams, die sich entweder als leidenschaftliche Mama, weibliches Role-Model oder als Königin von Wakanda bezeichnet. Letzteres, als sie ihren umstrittenen Catsuit trug, den sie inzwischen nicht mehr tragen darf und gegen eine Art Taftrock mit einarmigem Oberteil ausgetauscht hat.
Serena Williams hatte nicht nur das aufwändigere Kleid, sie hatte auch die mächtigeren Waffen, mit denen sie die 23-jährige Witthöft regelrecht vom Platz schoss. Wenn die Hamburgerin den ersten Aufschlag nicht ins Feld brachte, musste sie schon ihr ganzes Talent aufbringen, um den krachenden Return der US-Amerikanerin nach dem zweiten Serve überhaupt zu erreichen. 6:2, 6:2. Beste Grüße von der weit entfernten Weltspitze.
Singapur in weitere Ferne
In die hat sich ja eigentlich Julia Görges aufgemacht, nach ihrem grandiosen letzten Jahr, dem Wimbledon-Halbfinale in diesem Sommer und dem Einzug in die Top Ten. Doch die zweite Runde in New York bekam sie nicht in den Griff, vergab ihre guten Chancen gegen die Russin Jekatarina Makarowa vor allem im ersten Satz und ging schließlich - ein wenig überraschend - mit 6:7 (10:12), 3:6 als Verliererin vom Platz. Natürlich sei sie enttäuscht von ihrer Leistung, "aber davon", sagte Görges, "lasse ich mich nicht unterkriegen". Es sei kein Weltuntergang, konstatierte die 29-Jährige, die eher in kleinen Schritten nach oben gekommen ist - und hoffentlich weiter kommen wird. Ihre Chancen auf die Teilnahme am WTA-Saisonfinale in Singapur sind durch die Niederlage allerdings gesunken.
Da zuvor auch Tatjana Maria (31) gegen die Weltranglistensiebte Jelena Switolina aus der Ukraine und Andrea Petkovic (30) gegen Jelena Ostapenko aus Lettland verloren, ist nun Wimbledonsiegerin Angelique Kerber die letzte deutsche Hoffnung bei den Frauen. Kerber bekam es an diesem Donnerstag mit der Schwedin Johanna Larsson zu tun. Und wieder einmal wurde deutlich, dass Kerber immer eine Weile braucht, bis sie in ein Turnier findet. Doch schließlich siegte Kerber in drei Sätzen. Aus deutscher Sicht wäre es jedenfalls schade, der New-York-Blues würde sich früh für die deutsche Topspielerin fortsetzen. Mögen ihn Billy Joel und Rufus Wainwright hier auch noch so kraftvoll singen. They are in a New York State of mind.