NFL-Profi Johnson: Über alle Hürden
29. September 2020Die Kinder- und Jugendzeit von Jakob Johnson in Stuttgart war eine mit ganz viel Sport. Fußball, Basketball, Ringen. Hinzu kam das DLRG-Abzeichen in Bronze. Und Gitarre hat er auch gespielt. "Was man eben so macht, wenn man in Deutschland aufwächst", sagt Johnson im Gespräch mit der Deutschen Welle. Der Fokus auf American Football sei erst später gekommen - und der Ehrgeiz, in diesem Sport richtig gut zu sein, ebenso.
Heute spielt der 25-Jährige in der NFL, der besten Football-Liga der Welt, bei den New England Patriots. In der Offensive bekleidet er die Position des Fullback, und seit dem 20. September wird er als zweiter Deutscher mit einem Touchdown in den NFL-Statistiken geführt. Eigentlich ist das eine dieser Geschichten, die zu schön, ja vielleicht sogar etwas zu kitschig klingen, um tatsächlich wahr sein zu können. Doch 14,09 Millionen Fernsehzuschauer waren Zeuge, als Johnson im "Sunday Night Game" der Patriots bei den Seattle Seahawks zu Beginn des Schussviertels beim Stand von 17:24 einen Pass von Quarterback Cam Newton in der Endzone fing.
Markus Kuhn: "Das vergisst man nie"
Als Johnson in Seattle seinen Touchdown erzielte, jubelte 5000 Kilometer weiter östlich, in Manhattan, Markus Kuhn. Dem ehemaligen Profi der New York Giants war zuvor als einzigem Deutschen ein Touchdown in der NFL gelungen. "Ich habe mich unglaublich für Jakob gefreut. Es ist auch ein Zeichen, dass es für den deutschen Football weitergeht, einen Offensiv-Spieler zu haben, der einen Touchdown macht bei den Patriots, die immer noch eine der Top-Mannschaften der Liga sind", sagt Kuhn im Gespräch mit der Deutschen Welle.
Kuhn hatte am 7. Dezember 2014 im Auswärtsspiel bei den Tennessee Titans seinen großen Moment gehabt. Das Besondere an seinem Touchdown: Kuhn ist Defensive Tackle, also Verteidiger. Er kommt somit eigentlich nie in Ballbesitz. An jenem Dezembersonntag vor sechs Jahren konnte Kuhn nur deutsche NFL-Geschichte schreiben, weil Tennessee-Quarterback Zach Mettenberger von der Giants-Verteidigung so unter Druck gesetzt wurde, dass er den Football verlor. Kuhn war dem am Boden liegenden Ei am nächsten, nahm es auf und trug es in die 26 Yards entfernte Endzone. "Ich erinnere mich noch relativ gut an den Moment. Ich glaube, das ist auch etwas, das man nie vergisst. Jakob wird es da ähnlich gehen", so Kuhn.
Seinen Touchdown-Football habe er in einer Vitrine in seinem Wohnzimmer. Es sei das einzige Erinnerungsstück an seine Karriere, betont Kuhn. Johnson hat sich den Football, den er in der Endzone gefangen hat, ebenfalls gesichert. "Der kommt in den Schrank", sagte er vor wenigen Tagen in einer Videokonferenz mit deutschen Medien. Kuhn hat eine bessere Idee: "Vielleicht muss ich ihm einen guten Tipp geben, wo man eine schöne Glasvitrine für diesen Ball bauen lassen kann."
Oktoberfest-Kellner statt NFL-Profi
Als Kuhn 2012 in die NFL kam, ist er den klassischen Weg gegangen. Der gebürtige Mannheimer hatte zuvor vier Jahre in der College-Mannschaft von North Carolina State gespielt. Die Universitäten sind der Laufsteg für den Football-Nachwuchs. Dort rekrutiert die NFL ihre nächste Generation an Spielern. Johnson stand auf dieser Bühne. Vier Jahre lang. Er spielte für die Tennessee Volunteers in der Southeastern-Conference, die als stärkste College-Liga in den USA gilt. Doch als seine Zeit an der Universität vorbei war, meldete sich niemand aus der NFL bei ihm.
So flog Johnson 2018 zurück nach Stuttgart - wohlwissend, dass die ganz große Football-Karriere allem Anschein nach vorbei war. Johnson spielte wieder in der semi-professionellen German Football League (GFL) bei den Stuttgart Scorpions, wo er einst als Zwölfjähriger angefangen hatte. Richtig Geld verdient keiner in der GFL. Und so jobbte Johnson, zum Beispiel als Kellner auf dem Badischen Oktoberfest. Er wollte eine Ausbildung zum Rettungshelfer machen und Medizin studieren. Doch dann bekam er einen Anruf aus dem NFL-Büro in London.
Neues Konzept als neue Chance
Dort hatten sie Mitschnitte von Johnsons GFL-Auftritten gesehen und boten ihm ein Probetraining an. Sie wollten sehen, ob der Sohn einer Deutschen und eines Amerikaners womöglich für das "International Player Pathway"-Programm (IPP) in Frage käme. Dieses 2017 gegründete Konzept soll es ausländischen Spielern ermöglichen, sich unter NFL-Bedingungen zu beweisen.
Johnson reiste nach London, überzeugte und hatte somit die erste Hürde übersprungen. Anfang Januar 2019 war er einer von sieben Akteuren, die eine Einladung nach Florida bekamen und dort drei Monate unter Anleitung von NFL-Trainern zusammen mit NFL-Routiniers trainieren konnten. Vier von ihnen waren so gut, dass sie einen Verein fanden. Darunter auch Johnson, der im April bei den Patriots unterschrieb. Die nächste Hürde war genommen.
Die Nummer 91 von 90
Als der deutsche Neuling im Juli 2019 ins Trainingscamp der Patriots kam, hatte er seinen Platz in der riesigen Kabine direkt neben einer der drei Ausgangstüren. "EXIT" stand in roten Großbuchstaben schräg links über seinem Spind. "Er war von unseren 90 Spielern die Nummer 91", sagte Patriots-Trainer Bill Belichick später. Johnson hatte also eigentlich keine Chance. Doch er war für den Verein auch kein Risiko. IPP-Spieler haben einen Sonderstatus, der es ihnen erlaubt, ein Jahr lang mit zu trainieren. Somit können sie auf höchstem Niveau Erfahrung sammeln, sich in den täglichen Einheiten mit den Besten messen - und bekommen rund 120.000 US-Dollar Gehalt dafür.
Allerdings, auch das ist vorgeschrieben, dürfen IPP-Profis nicht in Liga-Spielen eingesetzt werden. Doch Johnson überzeugte Belichick so sehr, dass dieser ihn in den so genannten Practice Squad holte. Diese Trainingsgruppe umfasst zehn Spieler, die auf einen NFL-Einsatz hoffen dürfen, sollte sich jemand verletzten. Nie zuvor hatte es ein IPP-Akteur so weit geschafft. Aber Johnsons Aufstieg ging noch weiter.
Schulterverletzung stoppt Aufstieg
Als James Develin, der etatmäßige Fullback, verletzt ausfiel, überquerte der Schwabe die nächste Hürde. Er rückte am dritten Spieltag der Saison 2019 in den Spielkader vor - und gab gegen die New York Jets sogar sein NFL-Debüt. "Ich glaube, niemand hätte im Frühjahr daran gedacht, dass Jakob es in den Kader oder sogar nur in die Trainingsgruppe schaffen würde", meinte Belichick tags darauf. Doch nur drei Spiele später war Johnsons Steigflug vorbei. Mit einer Schulterverletzung fiel er für den Rest der Saison aus.
Nun ist er zurück, als Fullback die Nummer eins und seit dem 20. September der erste IPP-Spieler mit einem Touchdown. Auf seiner Position wird Johnson vor allem als Blocker gebraucht. Nach der 20-jährigen und mit sechs Super-Bowl-Siegen grandiosen Ära von Quarterback Tom Brady haben die Patriots mit Cam Newton nun einen Spielmacher, der - im Gegensatz zu Brady - nicht nur akkurat passen kann, sondern den Ball auch liebend gerne selbst nach vorne trägt. Ihm im Laufspiel Lücken freizusperren, ist unter anderem die Aufgabe Johnsons.
Der harte Weg in die NFL
London, Florida, Practice Squad, Kader für den Spieltag und schließlich rauf, auf's Football-Feld - Jakob Johnson hat in den vergangenen zwei Jahren eine Hürde nach der anderen übersprungen. Ex-NFL-Profi Markus Kuhn nennt diese Route "den harten Weg in die NFL". Patriots-Coach Bill Belichick weist darauf hin, dass Johnson "immer noch Fortschritte" mache.
Aber die Sprünge nach vorne seien jetzt kleiner, denn er habe schon Riesen-Sätze gemacht. Johnson hört solche Worte natürlich gerne. Dennoch weiß er, dass die Vergangenheit keine Garantie für die Zukunft ist. Und wer fünf Hürden grandios übersprungen hat, kann trotzdem an der sechsten stolpern.