Südafrikaner bedauern Pistorius-Urteil
21. Oktober 2014Fünf Jahre Haft erhält der Südafrikaner Oscar Pistorius, weil er seine Freundin Reeva Steenkamp im Februar 2013 durch die Badezimmertür erschossen hat. Ein Strafmaß, das in Südafrika vielen zu mild erscheint. Die Reaktionen schwanken zwischen Unverständnis und Zynismus. "So kommt man mit einem Mord davon", kommentierte ein Leser der größten südafrikanischen Tageszeitung Mail & Guardian das Urteil. "Hier auf Erden bekommen nur die Armen ihr gerechtes Urteil - die Reichen nicht", schrieb ein anderer. "Fünf Jahre für Mord, drei Jahre dafür, in einem Restaurant einen Schuss abgegeben zu haben - wo ist da die Logik?", fragte ein dritter - und sprach von einem "verrückten Urteil".
Allerdings lautete das Urteil, das Richterin Thokozile Masika bereits im September bekanntgegeben hatte, nicht auf Mord, sondern auf fahrlässige Tötung und in einem Nebenanklagepunkt auf fahrlässigen Schusswaffengebrauch in einem Restaurant. In diesem Punkt verhängte die Richterin bei der Festsetzung des Strafmaßes am Dienstag (21.10.2014) drei Jahre auf Bewährung. In der ausführlichen Begründung argumentierte sie, "dass eine Strafe auf Bewährung die falsche Botschaft an die Gesellschaft senden würde. Auf der anderen Seite wäre eine lange Haftstrafe auch nicht angemessen, weil sie den Aspekt der Gnade außen vor ließe." Sie verstehe Gnade nicht als Zeichen der Schwäche oder der Sympathie mit dem Straftäter, betonte Masika, sondern als ein Element der Gerechtigkeit.
Angehörige akzeptieren, Bürger protestieren
Oscar Pistorius selbst zeigte keine Regung, während die Richterin das Strafmaß verkündete. Akzeptanz fand die Entscheidung des Gerichts bei den Angehörigen - auf Täter- wie auch auf Opferseite. "Das Urteil ist gesprochen, die Strafe steht fest, und wir akzeptieren das Urteil", sagte Arnold Pistorius, der Onkel des Verurteilten: "Oscar wird es annehmen, um der Gesellschaft etwas zurückzugeben." Auch June Steenkamp, die Mutter des Opfers, zeigte sich zufrieden - auch wenn das Urteil aus Sicht der Anklage sehr mild ausfiel. "Es macht nichts, er bezahlt zumindest ein bisschen", sagte Steenkamp, und ergänzte auf Nachfrage eines Journalisten: Sie finde, der Gerechtigkeit sei gedient.
Empört reagierte hingegen Jackie Mofokeng von der Frauenliga des regierenden Afrikanischen Nationalkongresses (ANCWL). "Diese Entscheidung sendet eine völlig falsche Botschaft", sagte Mofokeng. Die Liga habe ein Urteil wegen Mordes gefordert. Sie drängte die Staatsanwaltschaft, Einspruch gegen Urteil und Strafmaß zu erheben. Auch auf den Straßen wurde Kritik laut. Michael Munguambe in Johannesburg ist einer der vielen Südafrikaner, die finden, Pistorius sei glimpflich davongekommen. "Es ist nicht fair", sagte er der DW: "Wäre es jemand anderes gewesen, hätte es eine höhere Strafe gegeben. Die Entscheidung zeigt, dass er weiß ist und Geld hat."
Verschiedene Maßstäbe
Südafrikanische Juristen hatten bereits bei Urteilsverkündung im September Kritik geäußert. Einer von ihnen ist der Anwalt und Rechtsexperte Martin Hood. Richterin Masika habe das Recht falsch ausgelegt, sagte er der Deutschen Welle. Seiner Ansicht nach hätte das Urteil auf Mord lauten müssen. Die breite öffentliche Kritik am Strafmaß lässt er aber nicht gelten. "Diese Unzufriedenheit liegt zum Teil daran, dass viele Menschen glauben, Pistorius sei ein Mörder. Juristisch ist er es aber nicht." Das Strafmaß müsse man nun einmal im Kontext des Urteils auf fahrlässige Tötung sehen und im Lichte bisher verhängter Strafen. Da habe die Richterin einen breiten Auslegungsspielraum: zwischen null und zehn Jahren habe es auf fahrlässige Tötung schon gegeben. Fazit: "Fünf Jahre liegen genau in der Mitte dieser zwei Extreme. Es ist also im Kontext des Urteils keine unangemessene Strafe", so Hood.
Der Vorwurf einer Zwei-Klassen-Justiz, den viele Südafrikaner äußerten - für Hood ist er unbegründet. Dass Pistorius, der noch im Gerichtssaal festgenommen wurde, im Gefängnis von seinem Reichtum profitieren kann, hält er hingegen für wahrscheinlich: "In südafrikanischen Gefängnissen kann jeder alles kaufen außer seiner Freiheit - wenn er das Geld hat. Pistorius wird keine Sonderbehandlung bekommen, aber er wird sich besseres Essen kaufen können und leider auch Drogen und Alkohol."
Die Staatsanwaltschaft hat noch offen gelassen, ob sie in Berufung geht. Dass eine höhere Instanz das Urteil aus Pretoria widerruft - laut Hood ist das sehr gut denkbar.