Opfer des Stalinismus
23. August 2016Die Auseinandersetzung mit der jüngsten Geschichte und den Verbrechen der damaligen Machthaber ist in den ehemaligen sozialistischen Ländern unterschiedlich verlaufen. Nach dem Fall der Berliner Mauer 1989 und dem darauffolgenden Zusammenbruch der osteuropäischen kommunistischen Regierungen wurde der Zugang zu den Archiven der Geheimpolizei nur stufenweise und schleppend organisiert. Akten wurden tonnenweise vernichtet, um Spuren der Verbrechen zu verwischen.
Anders als in der ehemaligen DDR, in der eine mutige Zivilgesellschaft während der politischen Wende die Kontrolle über die Archive der Geheimpolizei Stasi übernahm, hatten die Geheimdienste in den anderen früheren Ostblockstaaten Zeit, durch gezielte Aktenvernichtung ihre kriminellen Aktivitäten zu vertuschen und sich so der Verantwortung zu entziehen.
Späte Gerechtigkeit
Symptomatisch für den Umgang mit den Verbrechen der kommunistischen Diktatur ist der Fall des rumänischen Dissidenten Gheorghe Ursu. Erst jetzt, mehr als 30 Jahre nach dessen Foltertod in einem kommunistischen Gefängnis, wurde der frühere Chef der gefürchteten Staatssicherheit Securitate, Tudor Postelnicu, angeklagt.
Dem heute 84-Jährigen und drei weiteren hochrangigen früheren Verantwortlichen werden "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" vorgeworfen. Zu den Angeklagten gehört auch der 92-jährige frühere Innenminister George Homostean. Zusammen mit Postelnicu soll er 1985 die Verhaftung des Ingenieurs und Dichters Gheorghe Ursu angeordnet und die Umstände seines Todes verschleiert haben.
Ursu hatte ein kritisches Tagebuch gegen die Politik des Ceausescu-Regimes geführt und war von Informanten verraten worden. Wenige Wochen nach seiner Verhaftung starb er an den Folgen systematischer Folter im Gefängnis. Die zwei anderen Angeklagten sind frühere Securitate-Offiziere und sollen an der Folter beteiligt gewesen sein.
2003 waren bereits zwei frühere Gefängniswärter wegen Ursus Folter-Tod zu 20 Jahren Haft verurteilt worden. Danach hatte sich der Sohn des Dissidenten, Andrei Ursu, jahrelang dafür eingesetzt, dass auch Vorgesetzte bestraft werden müssten. Doch seine Bemühungen verliefen im Sand. Immer wieder fanden sich Justizvertreter, die den Fall als abgeschlossen betrachteten. Seiner Beharrlichkeit ist es zu verdanken, dass dieses Verbrechen neu aufgerollt wurde.
Leere Versprechen?
“Die Verurteilung des Kommunismus ist heute mehr denn je eine moralische, intellektuelle, politische und gesellschaftliche Pflicht. Dies nicht zu tun, würde uns für Ewigkeiten zu Gehilfen des totalitären Bösen machen - und sei es auch nur durch Schweigen.“ Diese und andere beeindruckenden Sätze stehen im Abschlussbericht der Kommission zur Analyse der kommunistischen Diktatur in Rumänien.
Ähnliche Sätze hört man in allen ehemaligen kommunistischen Staaten. Doch mit der Realität stehen solche Aussagen nicht immer im Einklang.
Tausende kriminelle Handlungen des kommunistischen Regimes werden wahrscheinlich ungeahndet bleiben, da die meisten der noch lebenden Täter im fortgeschrittenen Alter sind und sich ihrer hohen Renten erfreuen. Ein umfangreicher Prozess gegen ihre Verbrechen wird schon aus rein biologischen Gründen nicht mehr stattfinden können.
Gedenken an jahrzehntelange Unterdrückung
Der Hitler-Stalin-Pakt wird als Anfang eines der dunkelsten Kapitel der jüngeren europäischen Geschichte angesehen: Am 23. August 1939 wurde dieser Nichtangriffspakt zwischen Nazi-Deutschland und der Sowjetunion geschlossen. Beide Seiten sicherten sich Neutralität im Falle eines Krieges zu und teilten Europa unter sich auf. 1941 brach jedoch Hitler-Deutschland den Nichtangriffspakt mit dem Überfall auf die Sowjetunion.
Auch nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und der Niederlage des Nazi-Regimes mussten Millionen Menschen in Mittel- und Osteuropa weiter unter totalitären - diesmal kommunistischen - Machthabern leiden.
Um an ihr Schicksal zu erinnern, hat das Europäische Parlament den 23. August zum Gedenktag an die Opfer des Stalinismus und Nationalsozialismus erklärt. Was bleibt, ist die immer wiederkehrende - und mehr denn je notwendige - symbolische Verurteilung der totalitären Diktaturen und die Würdigung ihrer Opfer.