Niebel: "Wir haben ähnlich getickt"
18. März 2016Deutsche Welle: Sie waren der Nachfolger von Guido Westerwelle als Generalsekretär der FDP. War Guido Westerwelle Ihr politischer Mentor?
Dirk Niebel: Guido Westerwelle war über viele Jahre ein guter Freund, und ich habe ihm unheimlich viel zu verdanken. Ich habe viel von ihm gelernt und hätte gerne noch mehr mit ihm erlebt. Er hatte sich viel vorgenommen, auch mit seiner Stiftung. Er fehlt mir als Politiker, aber er fehlt mir noch mehr als Mensch.
Welche Ratschläge hat Guido Westerwelle Ihnen für ihre Arbeit als Generalsekretär mit auf den Weg gegeben?
Ich habe viel mit ihm geredet und mir selbstverständlich vieles abgeguckt. Das Besondere an ihm war das Vertrauen, das er einem schenkte. Dieses Vertrauen hat man gespürt, es hat einen wachsen lassen und dazu geführt, dass wir während meiner Zeit als Generalsekretär fast osmotisch zusammengearbeitet haben. Das war die Zeit, in den wir die Freien Demokraten zu ihren besten Ergebnissen geführt haben. Und in der die FDP eine kleine Volkspartei geworden ist. Das ist maßgeblich Guido Westerwelle zu verdanken, weil er nicht nur ein feiner Mensch gewesen ist, sondern auch ein wirklich klarer Politiker. Es war eine tolle, erfolgreiche, anstrengende und lehrreiche Zeit. Ich bin ihm sehr dankbar, dass er mir das ermöglicht hat.
Was war das osmotische an Ihrer Verbindung?
Wir haben ähnlich getickt, was das politische Geschäft anging - gerade in meiner Zeit als Generalsekretär. Das war eine Zeit mit 14 Landtagswahlen, zwei Bundestagswahlen und einer Europawahl, die wir gemeinsam zu bewältigen hatten. Wir haben osmotisch funktioniert und die gleiche Richtung eingeschlagen. Auch wenn wir nicht jeden Tag miteinander telefoniert haben, gab es keine Widersprüchlichkeiten, man musste sich gar nicht so arg abstimmen. Wir waren im Land unterwegs und haben Wahlkampf gemacht, und sind dann immer wieder zu gemeinsamen Veranstaltungen zusammengekommen. Das hat einfach funktioniert.
Sie sagten, Sie haben viel von Guido Westerwelle gelernt. Was war das Wichtigste?
Ich habe von ihm gelernt, dass man vor sich selber gerade stehen muss. Das habe ich zwar vorher auch schon gewusst. Aber im politischen Geschäft in einer Spitzenfunktion ist das immer schwieriger. Er hat das gemeinsam mit mir durchexerziert.
Als Sie Entwicklungsminister waren, war Guido Westerwelle Außenminister. Was für Erinnerungen haben Sie an diese Zeit?
Als wir die Ämter übernommen hatten gab es tiefe Gräben zwischen Außenministerium und Entwicklungsministerium (BMZ). Wir haben versucht, diese ein bisschen aufzuschütten, damit man bessere Ergebnisse erzielen kann. Die Zusammenarbeit zwischen den beiden Ministerien ist deutlich besser geworden.
Sie haben gesagt, Guido Westerwelle fehlt Ihnen als Mensch. Wann und wie haben Sie Westerwelle kennengelernt?
(lacht) Das war vor 26 Jahren an einem Tresen am Rande eines Bundeskongresses der Jungen Liberalen. Wir haben an diesem Abend über die Frage diskutiert, ob bei Arbeitslosengeldempfängern automatisch eine fiktive Kirchensteuer vom Leistungssatz abgezogen werden darf, selbst wenn man nicht Mitglied einer Kirche ist. Also ein klassisches Sachthema, das eigentlich niemanden hinter dem Ofen hervorholt. Aber das war die erste gemeinsame Diskussion.
Wie haben Sie ihn während seiner Krankheit begleitet?
Als ich von der Krankheit erfahren habe, war ich schockiert. Ich war wirklich am Boden zerstört. Mit dem Fortschreiten der Krankheit normalisiert sich diese emotionale Aufwallung natürlich etwas. Ihn direkt begleiten konnte man nicht, weil er sehr abgeschirmt und zurückgezogen lebte. Er ist im Wesentlichen von seinem Mann betreut worden, der mir im Moment am meisten in den Gedanken herum schwirrt. Ihn muss es am härtesten treffen, und natürlich seine Angehörigen. Ich hatte mich so gefreut, als ich ihn bei der Vorstellung seines Buches wieder gesehen hatte. Ein tolles Werk, das ich in sechs Stunden durchgelesen habe. Ich war zunächst skeptisch, ob er es schreiben sollte. Als ich es gelesen hatte, wusste ich, es war richtig. Er wollte es schreiben, weil er nicht wusste, ob er es später noch kann. Danach ist der Kontakt natürlich durch den erneuten Krankenhausaufenthalt wieder sehr eingeschränkt gewesen. Zum Schluss konnte er nicht mehr auf E-Mails oder SMS antworten.
Was bewirkt die Trauer in Ihrem Leben? Überdenken Sie manchmal Ihre Prioritäten?
Am 20. Januar ist Hans-Jürgen Beerfeltz gestorben. Jürgen Beerfeltz war unser Bundesgeschäftsführer, als Guido Westerwelle FDP-Vorsitzender und ich Generalsekretär war. Später war er Staatssekretär im BMZ. Er ist an der gleichen Krankheit wie Guido Westerwelle gestorben. Wenn zwei so enge Vertraute, mit denen man über Jahrzehnte hinweg gemeinsame Wege gegangen ist - und mit denen man persönlich befreundet war - auf so eine Art und Weise so schnell hintereinander sterben, dann ist das schon sehr viel für so wenig Zeit (schluckt), und das macht mich sehr nachdenklich.
Dirk Niebel, 52, war von 2005 bis 2009 Generalsekretär der FDP. Von 2009 bis 2013 war er Minister im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusamenarbeit und Entwicklung (BMZ).
Das Gespräch führte Astrid Prange