Nigerias Korruption
28. Juni 2012"Wir wollen keine höheren Preise, Mr. President", singen die aufgebrachten Demonstranten im Januar in der Stadt Kaduna. Im ganzen Land sind Anfang des Jahres die Menschen auf die Straße gegangen, um gegen die Streichung der staatlichen Ölsubventionen zu protestieren. Nigeria ist Afrikas größter Ölproduzent, hat aber nicht genug technische Mittel um das geförderte Öl weiterzuverarbeiten. Deshalb importiert das Land aufbereitetes Öl, das seine Bürger zum Autofahren und Kochen nutzen. Damit die Preise bezahlbar bleiben, wurden diese Importe jahrelang subventioniert. Mehr als dreizehn Milliarden Euro zahlte die Regierung dafür allein im letzten Jahr – und es war ein offenes Geheimnis, das viele sich daran bereicherten. Die Bevölkerung erreichte, dass ein Teil der Subventionen erhalten blieb – und bekam das Versprechen des Präsidenten, die Korruptionsfälle aufzuklären. "Der Betrug rund um die Ölsubventionierung ist der größte Korruptionsskandal Nigerias", sagt der Menschenrechtsaktivist Shehu Sani, der im Januar einer der Hauptorganisatoren der Proteste in Kaduna war. Er fordert Zivilgesellschaft und Medien auf, weiter Druck auf die Politik auszuüben, damit der Skandal aufgeklärt werde. "Sonst wird alles einfach wieder unter den Teppich gekehrt, so wie bei all den anderen Skandalen, in denen nigerianische Politiker Millionen von Dollar geplündert haben."
Briefkastenfirmen kassierten Millionen
Zunächst gab es tatsächlich Bewegung in dem Fall: Ein Komitee des Repräsentantenhauses hat die Ermittlungen aufgenommen und im April einen schockierenden Bericht vorgelegt. Mehr als fünf Milliarden Euro staatlicher Subventionen sollen in die Taschen korrupter Politiker und Geschäftsleute gewandert sein. Das ist mehr als das Bruttoinlandsprodukt des Landes Togo. Etliche Briefkastenfirmen haben laut Bericht Subventionen eingestrichen, ohne jemals Öl importiert zu haben. "Aber die Rechtsmittel liegen jetzt in den Händen der Justiz und der Exekutive der Regierung", sagt Ishaka Mohammed Bawa im DW-Interview, der dem Komitee angehörte.
Doch viele zweifeln, dass die Schuldigen bestraft werden. Am Mittwoch (27.06.2012) feuerte Präsident Goodluck Jonathan zwar den Chef des staatlichen Ölkonzerns und weitere Führungspersonen des Unternehmens mit der schwammigen Begründung, dass er Transparenz und Verantwortlichkeit herstellen will. Doch der Bericht beschuldigt weitere hochrangige Politiker, zum Teil aus den Reihen der Regierung um Goodluck Jonathan. “Der Präsident hat von Anfang an der Nation versichert, dass die im Bericht genannten Maßnahmen umgesetzt werden“, versichert hingegen der Generalstaatsanwalt Mohammed Bello Adoke. Er kündigt eine genaue Strafverfolgung gegen alle Beschuldigten an. „Wer auch immer schuldig gesprochen wird, muss sich vor Gericht verantworten und wird bestraft.“ Austen Oniwon, der entlassene Chef des staatlichen Ölkonzerns NNPC wurde jedoch nicht schuldig gesprochen.
"Kultur der Straffreiheit"
Der Präsident hat die Ermittlungen zum Fall an die Kommission für Wirtschafts- und Finanzkriminalität weitergegeben. Doch die Strafverfolgungsbehörde konnte sich in hochrangigen Korruptionsfällen bisher nicht beweisen. Abubakar Kari ist Soziologe an der Universität Abuja und kritisiert deshalb diesen Schritt. Die Untersuchung sei bereits durch das Komitee des Abgeordnetenhauses durchgeführt worden. Wichtig seien jetzt rechtliche Konsequenzen. "Eines der größten Probleme der nigerianischen Politik ist die Kultur der Straffreiheit", so Kari. Der Präsident habe jetzt die Gelegenheit, diese Situation zu ändern.
Goodluck Jonathan wird sich entscheiden müssen: Entweder er distanziert sich von seinen beschuldigten Freunden, die ihm zum Teil zu seinem Amt verholfen haben, oder er zieht den Zorn der Bevölkerung auf sich und verhindert eine vollständige Aufklärung. Im letzteren Fall rechnet der Menschenrechtsaktivist Shehu Sani mit noch größeren Massendemonstrationen als im Januar.