Nike Wagner: "Beethoven war ein Widerständler"
23. März 2018Deutsche Welle: Das Motto des diesjährigen Beethovenfestes heißt "Schicksal". Im vergangenen Jahr war es "Die ferne Geliebte": Welchen Suchprozess müssen Sie durchlaufen, bis Sie solche Themen finden und festlegen?
Nike Wagner: Komischerweise ist dies das Einfachste. Um ein Motto zu finden, muss ich meinen Geist nur in leichte Schwingung versetzen, mir die Klischees rund um Beethoven in Erinnerung rufen oder auch ein unernstes Gespräch mit Freunden führen. Es muss ein Begriff sein, der weit genug gefasst ist, um viele Konzerte passend zu programmieren, es muss aber auch ein Begriff sein, der sofort verstanden wird. "Schicksal - Beethoven": Das ganze 19. Jahrhundert und auch noch das 20. hat Beethoven unter diesem Aspekt rezipiert. Kein Wunder, hier war ein exzeptioneller Musiker, der schon als Dreißigjähriger mit dem Schicksal der Taubheit geschlagen war und darüber Selbstmordgedanken entwickelte.
Es gibt Philosophen oder Psychologen, die behaupten, dass es den freien Willen überhaupt nicht gibt. Als Beethoven jedoch mit seinem Schicksalsschlag konfrontiert war, schrieb er: "Ich will dem Schicksal in den Rachen greifen, ganz niederbeugen soll es mich gewiß nicht."
Ja, bei Beethoven gibt es Züge, die einerseits mit der Aufklärung und der Emanzipation des Individuums zusammenhängen und andererseits mit seiner herben Natur. In jedem Fall war er ein Widerständler, einer, der sich keinen Autoritäten mehr unterwerfen will, auch keinen numinosen wie dem "Schicksal". Er nimmt den Kampf auf. Und sein Schicksal war ja sehr konkret. Mit welcher Beharrlichkeit hat er an Ohrgeräten und Hörrohren herumgebastelt und nach neuen Hilfsmitteln gesucht! Er war ein Mann, der sich nicht unterkriegen ließ - und das ist eine fantastische und stets vorbildliche Eigenschaft.
Wie sehen Sie das Schicksal des Beethovenfests?
Das Beethovenfest hatte ein außerordentlich wechselvolles Schicksal, wenn Sie sein Werden seit der Begründung 1845 betrachten. Es wurde immer wieder jahrelang ausgesetzt, es gab nie eine wirkliche Kontinuität. Erst seit 1999 und unter neuer Trägerschaft - der Stadt und der Deutschen Welle - ist es zu einem großen und bedeutenden Festival herangewachsen, das auch finanzkräftige Hauptsponsoren gewinnen konnte - immer in der Hoffnung, dem politischen Selbstverständnis der Stadt Bonn ein musikalisches/künstlerisches Image hinzuzufügen.
Die Deutsche Welle ist Medienpartner des Festes, und nicht zuletzt durch unsere Konzertübertragungen nimmt man es im Ausland als eines der großen Klassikfestivals in Deutschland wahr, was auch zutrifft. Welchen Stellenwert hat für Sie die mediale Verbreitung?
Die kann man nicht hoch genug einschätzen! Je mehr mediale Verbreitung, desto besser, vor allem bei einem Klassikfestival. Bei Rock und Pop läuft ja alles von selbst, dort sind die Massen. Wir aber sind auf Medienpartner angewiesen. Nur sie verschaffen uns das kostbarste Gut überhaupt: die Aufmerksamkeit der Menschen – und potenziell dann eben auch deren Zulauf. Leere Säle erfreuen die Geldgeber nicht, egal ob die öffentlichen oder die privaten.
Wir in Bonn haben gottlob einen Heim-Vorteil: Es gibt keine andere Stadt in Deutschland, die Beethoven für sich reklamieren könnte. In Berlin war er nur kurz, ab seinem 22. Lebensjahr lebte der "Wiener Klassiker" in Wien. Bonn ist also die einzige Stadt Deutschlands mit Bezug zur Biographie Ludwig van Beethovens. Diese Verbindung ist ausbaufähig, die lässt sich weiterentwickeln.
Nike Wagner, Ur-Urenkelin von Franz Liszt und Urenkelin des Komponisten Richard Wagner, ist seit 2014 Intendantin des Beethovenfestes Bonn. Davor leitete sie zehn Jahre Lang das Kunstfest Weimar. Sie ist ferner Autorin mehrerer Bücher und Aufsätze zur Kultur und Musik. Mit ihr sprach Rick Fulker.