Eine ganz normale Partei?
4. November 2013Kristiansand bereitet sich auf den nahenden Winter vor. Der Himmel hängt tief und wolkengrau über der Hafenstadt im Süden Norwegens. Auf den Straßen sind bei sechs Grad und kaltem Wind kaum Menschen unterwegs. Am kleinen Yachthafen neben dem Fischmarkt steht Håkon Halvorsen und schaut aufs Meer. Der ehemalige Seemann kommt jeden Morgen hierher - egal bei welchem Wetter. Der 70-jährige Rentner steht dann auf dem Steg und betrachtet das Wasser und die kleinen Inseln in der Bucht von Kristiansand.
Viel reden möchte er nicht, schon gar nicht über Politik. Dabei hat Norwegen seit Anfang Oktober eine neue Regierung, die auch im Ausland Thema ist. Eine Minderheitsregierung aus der bürgerlichen Partei Høyre mit der neuen Ministerpräsidentin Erna Solberg und der als rechts-populistisch geltenden Fremskrittspartiet FrP (deutsch: Fortschrittspartei), die die Arbeiderpartiet (deutsch: Arbeiterpartei) um Jens Stoltenberg abgelöst haben. "Na und?", fragt Halvorsen knapp und zuckt mit den Schultern. "Ich glaube nicht, dass sich viel ändern wird, vielleicht ein paar Kleinigkeiten hier und da." Noch ein kurzer Blick raus auf das Wasser, dann geht er seiner Wege.
Ganz so gelassen wie der norwegische Rentner betrachtet das Ausland die FrP nicht. Die Partei, die bei den Wahlen im September auf einen Stimmenanteil von 16,3 Prozent kam und damit drittstärkste Partei Norwegens ist, wird von internationalen Medien auf eine Stufe gestellt mit rechtspopulistischen Parteien wie der Partei für die Freiheit des Niederländers Geert Wilders, mit den österreichischen Rechtspopulisten der Freiheitlichen Partei FPÖ oder sogar mit der rechtsextremen Jobbik in Ungarn.
Geteilte Meinungen
Im Café um die Ecke sitzt Glen Sundt und trinkt seinen Sonntagskaffee, auf dem Schoß eine Zeitung. Der 43-jährige Geschichts- und Englischlehrer macht sich wegen der Regierungsbeteiligung der FrP keine Sorgen: "Die Zusammenarbeit zwischen den beiden Parteien hat sehr viel Høyre-Politik in sich", sagt er. "Es gibt ein programmatisches Fundament mit zwei weiteren Parteien, der Christlichen Volkspartei (KrF) und den Linken (Venstre). Deswegen glaube ich, dass eher eine Politik der Mitte dabei herauskommen wird als eine von der FrP gesteuerte Politik." Und auch die Bedenken der ausländischen Medien gegenüber der FrP teilt er nicht: "Ich habe noch nie das Gefühl gehabt, dass man diese Parteien miteinander gleichsetzen kann", sagt Sundt. Sundt steht mit dieser Meinung nicht alleine da. Kaum ein Norweger betrachtet die FrP als rechtsextreme Partei.
Auch Trine Flakstad, die mit ihrem Hund eine Runde durch das verschlafene Kristiansand dreht, sieht das so. Allerdings hat sie aus anderen Gründen eine kritische Haltung gegenüber der FrP. "Das ist keine Partei für mich, weil wir nicht dieselben Wertevorstellungen haben", sagt die 34-jährige Krankenschwester. "Für mich ist die FrP eine populistische Partei, die immer nur das fordert, was die Wähler hören wollen. Zum Beispiel: Ja zu billigerem Benzin, raus mit Einwanderern. Die FrP ist schon als Protestpartei gegründet worden. Damals hieß sie aber noch ALP: Anders Langes Partei gegen Abgaben und Steuern."
Keine historischen Wurzeln im Rechtsextremismus
Tatsächlich wurde die FrP 1973 unter diesem Namen als rechte Protestpartei gegründet. Anders Lange starb ein Jahr später und zur Parlamentswahl 1977 trat die FrP unter ihrem heutigen Namen an. Ihre besten Wahlergebnisse erzielte die Partei bei den Parlamentswahlen 2005 und 2009 mit 22,1 und 22,9 Prozent. Zu verdanken hatte sie das unter anderem ihrem langjährigen Parteichef Carl Ivar Hagen. Der hatte für sich zu nutzen gewusst, dass die Minderheitsregierung unter Führung der Christlichen Volkspartei zwischen 2001 und 2005 auf Stimmen der FrP angewiesen war, um ihre Anträge im Storting, dem norwegischen Parlament, durchzubringen. Seit 2006 führt Siv Jensen (Artikelbild) die Partei. Sie trat bei der Wahl im September als Spitzenkandidatin an und ist neue Finanzministerin.
Die FrP mag eine Partei aus dem rechten Spektrum sein, allerdings fehlen ihr - anders als anderen rechtspopulistischen Parteien in Europa - die Wurzeln im historischen Rechstextremismus, wie sie beispielweise die deutsche Neo-Nazi-Partei NPD hat. Zunächst war die FrP gegen staatliche Einflussnahme und Regulierung, erst später fanden auch fremdenfeindliche Forderungen den Weg ins Parteiprogramm, in dem aber ausdrücklich auch die enge Verbindung zu Israel festgeschrieben ist. Besonders im Wahlkampf des Jahres 2009 gab es viele islamkritische bis islamfeindliche Äußerungen. Ex-Parteichef Hagen verglich die Islamisten immer wieder mit den Nationalsozialisten und warf ihnen vor, sie wollten die Welt erobern. Zwischen 1999 und 2006 war auch der spätere Utøya-Attentäter Anders Behring Breivik Mitglied der FrP. Vielfach wurde nach den Attentaten im Juli 2011 behauptet, die FrP habe Breivik radikalisiert.
Dumm und kurzsichtig
Trine Flakstad verdreht bei dieser Aussage die Augen. Wie die meisten Norweger hat sie etwas mehr als zwei Jahre nach den Attentaten im Regierungsviertel von Oslo und auf der Insel Utøya keine Lust, über den Massenmörder zu sprechen. Breivik wollte mit seinen furchtbaren Taten Aufmerksamkeit auf sich und seine abstrusen Thesen lenken. Die meisten seiner Landsleute verweigern ihm diese Aufmerksamkeit. "Nein", sagt Flakstad. "Das hat mit der FrP nichts zu tun. Er ist ja bei denen auch wieder ausgetreten, weil sie ihm nicht radikal genug waren."
Flakstad hält die FrP und ihre Parolen für dumm und die Leute, die sich davon blenden lassen, für kurzsichtig. Spätestens jetzt, da FrP-Politiker als Minister Verantwortung übernehmen müssten, falle ihnen einiges von dem, was sie vor der Wahl gesagt hätten, auf die Füße. So muss sich derzeit die neue FrP-Ministerin für Gleichstellung, Solveig Horne, dafür kritisieren lassen, dass sie vor drei Jahren twitterte, sie halte es für schlecht, dass im Kindergarten "Homo-Märchen" vorgelesen würden - jemand hatte vorgeschlagen, dass sich in Kinderbüchern auch mal ein Prinz in einen Prinzen verliebt. Und FrP-Agrarministerin Sylvi Listhaug bezeichnete die norwegische Landwirtschaftspolitik einst als "Kommunismus".
Ein weiteres Beispiel sei die Diskussion über die Mautgebühren auf norwegischen Straßen. "Das war ein großes Wahlkampfthema der FrP: Keine Maut mehr auf norwegischen Straßen", echauffiert sich Flakstad. Die FrP habe ironischerweise ausgerechnet auch das Verkehrsressort bekommen - und die Mautgebühren werden natürlich nicht abgeschafft. "Demnächst wird der Minister irgendwann eine mautpflichtige Straße einweihen müssen. Na, das wird ja lustig!" Sie nickt kurz zum Abschied, setzt dann ihren Sonntagsspaziergang mit Hund fort und verschwindet um die nächste Häuserecke. Der letzte Satz hängt nach: "Das wird lustig!" Aber gelacht hat sie nicht.