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"Notfalls einseitige Schritte des Westens"

Kersten Knipp14. November 2012

Der syrische Journalist Wael Sawah hält eine Einigung im Syrienkonflikt weiterhin für möglich. Allerdings müssten sich sämtliche Beteiligten zu neuen Schritten entschließen. Andernfalls drohe dem Land ein Bürgerkrieg.

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Syrischer Journalist Wael Sawah (Foto: Stephan Röhl)
Bild: Stephan Röhl

Deutsche Welle: Herrr Sawah, die syrische Opposition hat sich dazu durchgerungen, ein einheitliches und übergreifendes Bündnis zu schmieden. Was halten Sie von der neuen Koalition?

Wael Sawah: Die syrische Opposition hat einen sehr angemessenen Schritt getan, um zu einer Lösung der Situation beizutragen. Wenn dieser Schritt aber nicht durch die westlichen und die arabischen Staaten unterstützt wird, wird er ohne weitere Konsequenzen bleiben. Das Gleiche wird der Fall sein, wenn es der neuen Koalition nicht gelingt, die in Syrien selbst operierenden Gruppen zu kontrollieren.

Der neue Interimsführer Dr. Muaz al Khatib ist ein kluger Mensch, der von allen ethnischen und religiösen Gruppen respektiert wird. Er ist für dieses Amt eines Interim-Führers eine der geeignetesten Personen überhaupt. Zudem kann er auf die Unterstützung des prominenten Assad-Gegners Riad Seif rechnen. Damit hat sich die syrische Opposition für die bestmögliche Lösung überhaupt entschieden.

Die Opposition ist nun zwar geeint, aber in Syrien geht das Töten weiter. Wie sehen Sie die Chancen, nun einen Weg zum Ende der Gewalt zu finden?

Es gibt noch eine letzte Chance, die Gewalt in Syrien zu beenden. Voraussetzung ist allerdings, dass sich die gesamte syrische Opposition auf einen Plan einigt. Zugleich müsste die Internationale Gemeinschaft, müssten insbesondere die westlichen Staaten sich entscheiden, von einem diplomatischen zu einem politischen Prozess umzuschwenken. Das heißt, sie sollten sich nicht nur auf diplomatische Kanäle verlassen, sondern auch anderweitig Druck auf das Regime ausüben. Das Gleiche gilt für die Opposition: mit vereinten Kräften könnte sie Druck auf das Regime ausüben, damit es nicht weiterhin Zivilisten tötet. Gelingt das nicht, droht das Land in einen Bürgerkrieg zu stürzen.

Halten Sie eine einheitliche Linie der Internationalen Gemeinschaft denn für vorstellbar?

Auf dem Weg zu einer politischen Lösung in Syrien stellt Russland das größte Hindernis dar. Der Iran wird immer schwächer und hat immer weniger Einfluss. China könnte seine Position ändern - vorausgesetzt, Russland tut dies ebenfalls. Aber das ist sehr zweifelhaft. Und darum muss die westliche Staatengemeinschaft Russland zu der Einsicht bringen, dass es im russischen Interesse ebenso wie dem der gesamten Welt und natürlich dem der Syrer ist, eine politische Lösung zu finden, die das Blut vergießen beendet und Syrien in eine wirkliche Demokratie verwandelt. Wenn das nicht gelingt, müsste der Westen einseitige Schritte unternehmen.

Einseitige Schritte – was hieße das?

Es heißt, dass der Westen sämtliche Optionen einsetzen sollte, um dem syrischen Regime klarzumachen, dass wenig Hoffnung besteht, dass die Dinge bleiben, wie sie sind.

Wie erlebt die syrische Bevölkerung den Krieg?

Die gesamte Bevölkerung leidet. Alle Regionen, alle religiösen und ethnischen Gruppen und Untergruppen leiden. Der Grund dafür ist, dass das Regime nicht bereit ist, auf die Mehrheit der Syrer zu hören. Die Bevölkerung ist zwar geteilt. Und ein gewisser Teil unterstützt weiterhin das Regime. Aber die Mehrheit fordert doch den Wechsel. Gleichzeitig muss die syrische Opposition glaubhaft versichern, dass niemandem etwas passieren wird, wenn es zu einem demokratischen Wechsel in Syrien kommt.

Gelegentlich hört man, die syrischen Christen litten am meisten unter dem Krieg. Trifft die Aussage zu?

Die Christen leiden genauso wie die anderen syrischen Bevölkerungsgruppen. Für sie gilt das Gleiche wie für alle anderen religiösen Gruppen: Sie haben keinen einheitlichen politischen Standpunkt. Einige unterstützen die Revolution, andere das Regime. Aber beide Seiten leiden unter der Lage.

In Syrien kämpfen eine ganze Reihe ausländischer Extremisten. Wie sehen Sie deren Rolle?

Leider ist Syrien zum Spielfeld für miteinander konkurrierende regionale Akteure geworden. In ihrem Auftrag sind auch diese ausländischen Kämpfer, überwiegend religiöse Extremisten, im Land. Diese verfolgen ausschließlich ihre eigenen Interessen. Und die unterscheiden sich von denen der Syrer. Die Syrer fordern Demokratie, Würde, Gleichheit und politische Reformen. Wenn wir die Gewalt jetzt nicht stoppen, wird sie sich noch weiter verschärfen.

Wael Sawah ist Journalist, politischer Berater und Gründer der "Syrian League for Citizenship". Das Interview fand am Rande der von der H.-Böll-Stiftung ausgerichteten Konferenz "Demokratie und sicherheit im Nahen Osten" in Berlin statt.