Syrische Flüchtlinge enttäuscht von Ägyptern
14. November 2012Alle sechs Sekunden pumpt ein Gerät Sauerstoff in Fatmas Nase. Aus eigener Kraft kann sie kaum noch atmen. Kreidebleich sitzt die syrische Frau im fremden Bett ihrer Notunterkunft in Kairo. Ihr Mann muss ihr helfen, als sie das Nachthemd hochziehen will, um die 20 Zentimeter lange Narbe auf ihrem Rücken zu zeigen. In ihrer Heimatstadt Homs ist die zweifache Mutter vergangenen Monat in eine Schießerei zwischen Sicherheitskräften und Rebellen geraten.
"Eine Kugel ging in meine Lunge", sagt Fatma mit schwacher Stimme. Die rechte Lungenhälfte sei entfernt worden, die linke funktioniere auch nicht mehr richtig. "Es geht nur noch mit Sauerstoffgerät und vielen Medikamenten." Als auch noch ihr Wohnviertel bombardiert wurde, kaufte Fatmas Mann Flugtickets nach Ägypten. "Wir haben nichts mitnehmen können. Wir haben nicht mal Kleidung für den Winter", sagt die Kranke verzweifelt.
Auf ihrem Nachttischchen stapeln sich Tabletten und Lungensprays. Die Medikamente und die erste Behandlung im Krankenhaus habe er noch bezahlen können, meint der Ehemann. Aber jetzt sei kein Geld mehr übrig, klagt er. "In einer Moschee haben sie uns ein bisschen unterstützt, aber sonst hat uns hier in Ägypten bisher kein Mensch geholfen."
"Syrische Brüder" allein gelassen
Dabei hat Ägyptens Präsident Mohamed Mursi immer wieder vor laufenden Kameras versprochen, dass er den "syrischen Brüdern", wie er sagt, in ihrer Not beistehen werde. Doch das sei wohl alles nur "Blabla", also leeres Gerede gewesen, meint Mohamed. Der gebürtige Syrer lebt schon seit 15 Jahren in Deutschland. Doch als vor fünf Monaten seine Verwandten aus Homs nach Ägypten flohen, kam er ebenfalls nach Kairo, um ihnen zu helfen. Inzwischen betreut Mohamed rund 250 Flüchtlinge, organisiert Wohnungen für sie, Nahrungsmittel und Kleidung, hauptsächlich finanziert aus Spenden, die die katholische Laurentius-Gemeinde in seiner deutschen Heimat Berlin ihm geschickt hat.
Der ägyptische Staat habe den Syrern eine Aufenthaltsgenehmigung erteilt. Das Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen, UNHCR, hätte sie ebenfalls registriert. Aber ansonsten habe man sich nicht um die Notleidenden gekümmert, stellt Mohamed bitter fest. Und zahlreiche Vermieter in Kairo würden die schwierige Lage der Syrer sogar noch ausnutzen: "Viele haben die Mietpreise erhöht."
150.000 Syrer in Ägypten?
In den offiziellen Flüchtlingsberichten der Vereinten Nationen wird Ägypten erst gar nicht erwähnt. Stets werden nur die inzwischen knapp 300.000 Syrer genannt, die bislang von der Türkei, Jordanien, dem Libanon und dem Irak aufgenommen worden. Auf Anfrage im UNHCR-Büro in Kairo teilte dessen Pressestelle mit, dass es nur rund 7000 registrierte syrische Flüchtlinge in Ägypten gäbe, die "selbstverständlich” mit Essen, Kleidung und medizinischer Hilfe versorgt würden. "Das stimmt nicht”, widerspricht Mohamed. Er sei mit den Flüchtlingen bereits dutzende Male an den offziellen Stellen gewesen und habe keine Hilfe bekommen. Auch die Regierung in Kairo nennt ganz andere Zahlen, spricht inzwischen schon von 150.000 Syrern, die nach Ägypten gekommen seien.
"Assad und seine Soldaten haben uns alles genommen, unsere Kinder, unsere Häuser, unser ganzes Hab und Gut. Sie haben uns zu Bettlern gemacht”, sagt weinend eine alte Frau, die ebenfalls aus Homs nach Kairo geflohen ist. Niemand will im Gespräch seinen vollständigen Namen nennen. Nicht einmal Mohamed, der seit Jahren die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt. Keiner will die zurückgebliebenen Angehörigen in Syrien in Gefahr bringen.
Eine junge Familienmutter aus Damaskus berichtet, dass sie mit ihrem gesparten Geld gerade so eben die Wucherpreise für die Flugtickets nach Kairo bezahlen konnte. Bei den syrischen Behörden hätte ihr Mann eine Urlaubsreise vorgegeben. Vom Kairoer Flughafen aus seien sie mit dem Taxi ohne Ziel in das erstbeste Stadtviertel gefahren. "Dann kam der schlimmste Augenblick”, erzählt die Syrerin. "Wir standen auf der Straße und wussten nicht wohin. Wir sind dann zu einer Moschee gelaufen und haben davor übernachtet.”
Bittere Tränen über "leeres Gerede"
Andere syrische Flüchtlinge haben das Ehepaar mit den vier kleinen Kindern dann zu sich genommen. An den schlimmsten Tagen hätten sich bis zu 90 Leute in einer Wohnung aufgehalten, berichtet Mohamed. Ein richtiges Bett habe es, wenn überhaupt, dann nur für die Kinder, die Alten und Kranken gegeben. Auch bei der Familie aus Damaskus schlafen die Erwachsenen allesamt auf dem Fußboden. Sie bräuchten bald Decken, weil es nachts kälter wird, und wärmere Kleidung, wenigstens für die Kleinen, meint die Mutter.
Beschämt öffnet sie den riesigen Kleiderschrank, der noch in der Mietwohnung stand, als sie hier einzog. Nur auf dem Boden liegen ein paar wenige Teile, Wechselsachen für die Kinder.
Einer 20-Jährigen, die seit ihrer Flucht nach Kairo in der Nachbarschaft der Familie wohnt, kommen bei diesem Anblick die Tränen. Doch ihre Trauer mischt sich mit Wut. Denn die junge Frau hat im Fernsehen gesehen, dass es in Kairo wieder mal ein großes Gipfeltreffen gab, auf dem auch über Syrien gesprochen wurde. "Es gibt Konferenzen noch und noch. Die Leute reden und reden. Sie sagen, dass sie uns helfen. Aber du siehst ja, wie sie uns helfen... Du siehst nichts!"