NPD-Klage gegen den Bundespräsidenten
25. Februar 2014Immer wieder muss sich das höchste deutsche Gericht mit der NPD beschäftigen. Diesmal auf Antrag der rechtsextremen Partei selbst. Am Dienstag (25.02.2014) hat das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe eine Klage der NPD gegen Joachim Gauck verhandelt. Die Partei wirft dem Bundespräsidenten vor, durch eine Äußerung seine Pflicht zur parteipolitischen Neutralität verletzt zu haben. Gauck, so der Vorwurf, habe NPD-Anhänger in einer Rede als "Spinner" bezeichnet.
Die Rede, um die es geht, hielt Gauck wenige Wochen vor der Bundestagswahl 2013. Die Stimmung in der Hauptstadt war ohnehin schon aufgepeitscht: In dem als Problembezirk geltenden Berliner Stadtteil Hellersdorf war es immer wieder zu Demonstrationen gegen ein Asylbewerberheim gekommen. Anwohner fühlten sich von der Politik übergangen. Rechtsextreme nutzten die Gelegenheit, um Stimmung gegen Ausländer zu machen. Und hunderte Gegendemonstranten versuchten mit "Refugees-Welcome"-Plakaten und Rufen dagegenzuhalten.
Wenige Tage nachdem die ersten Asylbewerber mit Polizeischutz und durch die Hintertür ihr Übergangsheim bezogen hatten, hielt Joachim Gauck eine Rede vor rund 400 Schülern in Berlin. Dabei bezog er Stellung zu den Demonstrationen Rechtsextremer in Hellersdorf: "Wir brauchen Bürger, die auf die Straße gehen und den Spinnern ihre Grenzen aufweisen. Dazu sind Sie alle aufgefordert." Solange die NPD nicht verboten sei, müsse man deren Ansichten allerdings ertragen.
Hat der Bundespräsident seine parteipolitische Neutralität verletzt?
Die Frage ist: Hat Gauck mit dieser Aussage konkret die NPD als "Spinner" bezeichnet oder nicht? Für Volker Boehme-Nessler, Professor für Öffentliches Recht an der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) in Berlin, ist das nicht so einfach zu beantworten: "Es ist die Frage, ob er überhaupt die NPD als Spinner bezeichnet hat." Vielleicht habe Gauck die Demonstranten Spinner genannt, nicht aber die NPD als Partei. "Das klingt vielleicht nach juristischer Haarspalterei", spiele bei der Bewertung des Falls aber eine Rolle, so der Jurist.
"Bei solchen Äußerungen kommt es auf den Kontext an", betont auch der Berliner Professor für Staatsrecht, Ulrich Battis. Die Äußerung Gaucks liege "an der Grenze. Ob diese schon überschritten wurde, wird das Bundesverfassungsgericht feststellen."
Ein Tadel des Gerichts könnte Gaucks Position schwächen
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts wird innerhalb der nächsten drei Monate erwartet. Wie dieses ausfallen wird, darüber lässt sich nur spekulieren. Volker Boehme-Nessler hält es für wahrscheinlich, dass die Karlsruher Richter in ihrem Urteil ausführlich betonen werden, dass ein jeder Bundespräsident zur Neutralität verpflichtet sei. Aber dass in diesem Fall "der Bundespräsident nicht die NPD gemeint und herabgesetzt habe, sondern die Demonstranten allgemein. Insofern habe der Bundespräsident seine Neutralitätspflicht nicht verletzt."
Sollte das Bundesverfassungsgericht doch zu dem Ergebnis kommen, dass Gauck gegen die Pflicht zur Neutralität verstoßen habe, hätte dies keine direkten Folgen für das Staatsoberhaupt. Sein Amt dürfte er durch die "Spinner"-Affäre nicht verlieren, ist Boehme-Nessler überzeugt. "Aber auch ein öffentlicher Tadel durch das Gericht ist schon ein Problem für einen Bundespräsidenten", fügt er hinzu. "Dieser würde seine Position schwächen."
Die Grenzen eines Bundespräsidenten in Deutschland sind eng gezogen: Anders als jeder Bürger kann er eben nicht seine Meinung frei äußern. "Er soll eine Integrationsfigur sein, die alle Bürger zusammenhält. Deswegen ist er zur parteipolitischen Neutralität verpflichtet. Er darf nicht bewerten, was Parteien machen", erläutert Boehme-Nessler die besondere Position des Präsidenten.
Lehren aus der Weimarer Republik
Diese Sonderstellung des bundesdeutschen Staatsoberhaupts - verbunden mit speziellen Rechten und Pflichten - geht auf schlechte Erfahrungen aus der Zeit der ersten deutschen Republik zurück. In der Weimarer Republik hatte das Staatsoberhaupt, der Reichspräsident, eine herausragende Stellung. Er konnte mithilfe sogenannter Notverordnungen am Parlament vorbei regieren. "Am Ende der Weimarer Republik ist sehr viel mit diesen Notverordnungen regiert worden. Ein Faktor, der den Nationalsozialisten dann den Weg an die Macht geebnet hat", erläutert Boehme-Nessler die Hintergründe.
Die Väter und Mütter des Grundgesetzes zogen ihre Lehren aus dem unrühmlichen Untergang der Weimarer Republik: Sie schränkten die Befugnisse des neuen Staatsoberhauptes stark ein, reduzierten sie in erster Linie auf repräsentative Aufgaben. "Der deutsche Bundespräsident ist kein Staatspräsident, wie der amerikanische oder französische Präsident, die das Zentrum der Macht sind. Bei uns sind die Zentren der Macht die Bundeskanzlerin und der Bundestag", erklärt Staatsrechtler Ulrich Battis die Sonderstellung.
Der Bundespräsident soll also Deutschland nach außen repräsentieren und eine Integrationsfigur nach innen sein. Dazu gehört eben auch, dass er sich parteipolitisch neutral verhalten muss - wie neutral, das wird das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe neu festlegen.