NSA-Skandal verändert Surfverhalten
27. August 2014"Lagebild Cybercrime" heißt das Dokument, über das der Präsident des Bundeskriminalamtes (BKA), Jörg Ziercke, am Mittwoch in Berlin redet. Und was der Behördenchef zu sagen hat, klingt wenig verheißungsvoll: "Die Internet-Kriminalität ist weiterhin auf dem Vormarsch", lautet der erste Satz. In nüchternen Worten betrachtet sieht die Sache auf den ersten Blick gar nicht so dramatisch aus. Ein Anstieg um ein Prozent auf 64.400 registrierte Straftaten sei zu verzeichnen. Seit 2009 beträgt die Steigerung allerdings rund 20 Prozent. Das klingt schon anders.
Besorgt ist auch der neben BKA-Chef Ziercke sitzende Präsident des Hightech-Verbandes Bitkom, Dieter Kempf. Er vertritt eigenen Angaben zufolge mehr als 2200 Unternehmen der Digital-Wirtschaft, die Umsätze von rund 190 Milliarden Euro erzielt. Kein Wunder, dass sich immer mehr Kriminelle im weltweiten Netz tummeln. Kempf verweist auf eine repräsentative Bitkom-Umfrage. Demnach fühlt sich nur jeder zehnte deutsche Internetnutzer sicher, wenn er im weltweiten Netz surft. Die Ausspäh-Affäre des US-Geheimdienstes NSA sei ein "Weckruf" gewesen, sagt Kempf. Dabei habe die seiner Meinung nach nichts mit Wirtschaftskriminalität zu tun. Doch seit den Enthüllungen des Whistleblowers Edward Snowden haben laut Bitkom-Umfrage etwa 30 Prozent der Unternehmen mehr in die Sicherheit ihrer IT-Systeme investiert.
Bitkom-Chef befürchtet Rückschläge bei digitaler Entwicklung
Auf Seiten der Verbraucher registriert die Branche eine zunehmende Skepsis gegenüber digitalen Diensten. So seien 14 Prozent schon einmal bei Geschäften im Internet betrogen worden, etwa beim Online-Shopping oder bei einer Auktion. Aus Sorge vor Cyber-Kriminalität würden viele auf die Nutzung bestimmter Online-Dienste verzichten, bedauert Kempf. "Das sind alarmierende Zahlen, weil dieser Trend die digitale Entwicklung bremst." Laut Umfrage verschickt fast jeder Zweite vertrauliche Dokumente nicht mehr per E-Mail, knapp ein Drittel verzichtet auf Online-Banking und ein Viertel auf das Einkaufen im Internet.
Unter dem Eindruck solcher Zahlen appellieren Bitkom-Chef Kempf und BKA-Präsident an Unternehmen und Verbraucher, sich stärker um ihre digitale Sicherheit zu kümmern. Bequemlichkeit sei der "größte Feind von IT-Sicherheit", warnt Kempf vor allzu großer Sorglosigkeit. Trotz zahlreicher Meldungen über den millionenfachen Diebstahl von Internet-Identitäten und Passwörtern würden die meisten vor allem ihre Smartphones nach wie vor unzureichend vor Angriffen schützen. Ziercke bezeichnet das Smartphone als das "ideale Tatmittel" für das Einschleusen schadhafter Software wie Trojaner.
BKA: "Keine Anzeige, keine Strafverfolgung, keine Gefahrenabwehr"
Kriminelle haben vor allem deshalb leichtes Spiel, weil die meisten Verbraucher mit ihren hochmodernen Minicomputern in der Tasche "always online" sind, wie es BKA-Präsident Ziercke ausdrückt. Für besonders problematisch hält er, dass nur neun Prozent aller Cyber-Angriffe überhaupt angezeigt würden. "Ohne Anzeige keine Ermittlungen, keine Strafverfolgung, keine Gefahrenabwehr", fasst Ziercke die Verkettung des Phänomens zusammen. Völlig wehrlos fühlt sich das BKA dennoch nicht. Als Reaktion auf die zunehmende Gefahr gebe es in seiner Behörde inzwischen eine Ermittlungsgruppe "Cybercrime" mit 120 Spezialisten. Das Team kann bei Bedarf kurzfristig auf 150 aufgestockt werden. Auch international tut sich etwas. Ziercke verweist auf ein Expertenboard mit zehn europäischen Ländern sowie den USA und Kanada.