NSA-Spionage gravierender als angenommen?
15. Mai 2015Der US-Geheimdienst NSA soll in noch größerem Umfang gegen deutsche Interessen spioniert haben als bislang bekannt. Nach einem Vorab-Bericht des "Spiegel", sollen mehr als die Hälfte der rund 40.000 Suchbegriffe der NSA, nach denen der Bundesnachrichtendienst (BND) in der Abhörstation Bad Aibling Informationen filtern sollte, tatsächlich aktiv zur Ausforschung von Behörden, Unternehmen und anderen Zielen in Europa verwendet worden sein.
13.000 mehr Suchbegriffe für die NSA?
Der BND soll das Bundeskanzleramt Ende April aber nur über rund 12.000 Suchkategorien, so genannten Selektoren, informiert haben, die im "aktiven Profil" der NSA entdeckt worden seien. Wie es von Seiten des BND hieß, habe man diese im August 2013 entdeckt. Wie der "Spiegel" und die Deutsche Presse-Agentur berichten, wurden aber später noch weitere 13.000 aktive Selektoren in der NSA-Spionageliste gefunden. Diese sollen in dem BND-Bericht von April nicht enthalten gewesen sein.
Schlug das Kanzleramt die Warnungen in den Wind?
Damit würde sich die Filterung, die der BND für die NSA vorgenommen haben soll auf insgesamt rund 25.000 Suchkategorien belaufen. Die Liste mit den insgesamt 40.000 gewünschten Kategorien waren vom US-Geheimdienst NSA an den BND übermittelt worden. Die rund 25.000 aktiven Selektoren waren demnach zu Ausforschung auch von Behörden, Unternehmen und anderen Zielen in Europa verwendet worden. Die Erkenntnisse, die der BND durch sie gewonnen haben soll, sollen von ihm an die NSA weitergeleitet worden sein. Darunter waren offenbar auch Daten über deutsche Bürger und Unternehmen.
Ferner wurde das Bundeskanzleramt dem Bericht zufolge schon Anfang 2008 vor US-Wirtschaftsspionage und möglichen Schäden für die europäische Wirtschaft durch den BND gewarnt. Die Mahnung sei im Kanzleramt unter seinem damaligen Chef Thomas de Maizière aber als übertrieben bewertet worden, berichtete der "Spiegel" aus internen Regierungsdokumenten.
Ex-NSA-Mitarbeiter spricht von Verfassungsbruch
Im Interview mit der Deutschen Welle nannte der ehemalige NSA-Mitarbeiter und Whistleblower Thomas Drake die Zusammenarbeit zwischen dem BND und dem US-amerikanischen Geheimdienst einen Bruch der deutschen Verfassung. Eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe zwischen den beiden Diensten habe es nie gegeben, so Drake. Die Kooperation sei vielmehr ein Blanko-Scheck für die NSA gewesen.
Die Amerikaner sollten laut Drake Zugang zu allem bekommen, was der BND für sie herausbekommen hatte. All dies sei weit über die deutsche Verfassung hinaus gegangen, sogar über die Datenschutzgesetze der EU. Die Ankündigung der Bundesregierung, kurz vor einem No-Spy-Abkommen mit den USA zu stehen, tat der Ex-NSA-Mitarbeiter als unrealistisch ab. Ein solches Abkommen wäre seinen Worten zufolge niemals von den USA unterschrieben worden.
Opposition will de Maizière befragen
Die Opposition reagierte empört auf die neuen Enthüllungen im NSA-Skandal. "Der Spionageskandal um BND und NSA wird Woche für Woche größer, doch Bundesregierung und BND unterlaufen weiter die parlamentarische Aufklärung und verstecken sich hinter der US-Administration", kritisierte der Vorsitzende des Parlamentarischen Kontrollgremiums, André Hahn (Linke).
Der SPD-Obmann des Gremiums, Burkhard Lischka, sprach von "erheblichen Defiziten im BND" und forderte "klare Regeln, wer worüber innerhalb des BND zu informieren habe." Die Linken-Obfrau Martina Renner sagte der Deutschen Presse-Agentur, Grüne und Linke wollten für kommenden Freitag (22. Mai) eine Sondersitzung des NSA-Untersuchungsausschusses beantragen. In dieser solle der frühere Kanzleramtschef und heutige Bundesinnenminister de Maizière befragt werden.
cw/qu (DW, dpa,rtr,afp)