Zeugen, Mitwisser oder Täter?
19. November 2013Andreas S. arbeitete früher in einem sogenannten Szeneladen "Madley". Hier verkehrten "national Gesinnte" und Neonazis aus dem Raum Jena. Die meisten interessierten sich für milieutypische Klamotten wie Springerstiefel oder rechte Musik. Eines Tages um die Jahrtausendwende tauchte Carsten S. mit einem ungewöhnlichen Wunsch auf: Er wollte eine Waffe samt Schalldämpfer kaufen, Auftraggeber soll der NPD-Funktionär Ralf Wohlleben gewesen sein. Die Waffe bekam er auch und reichte sie an die mutmaßlichen NSU-Mörder Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos weiter.
Wozu sie die Pistole vom Typ "Ceska" brauchten, will Carsten S. nicht gewusst haben. Das jedenfalls sagte er Anfang Juni im Prozess gegen den Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) vor dem Münchener Oberlandesgericht (OLG). Mit der Waffe sollen die Rechtsextremisten Böhnhardt und Mundlos neun von zehn rassistisch motivierte Morde begangen haben. Deshalb ist der Waffenkäufer Carsten S. im NSU-Prozess wegen Beihilfe zum Mord angeklagt. Ob der Waffenverkäufer Andreas S. aus dem "Madley" mehr ahnte oder gar wusste als sein Kunde, diese Frage spielte im Sinne der Anklage bislang keine Rolle. Deshalb war Andreas S. am 55. Verhandlungstag vor dem OLG München lediglich als Zeuge geladen - und schwieg.
Waffenverkäufer: "Bevor ich mich hier selber reinreite..."
Zuvor hatte der Vorsitzende Richter Manfred Götzl Andreas S. belehrt, ihm stehe ein umfassendes Auskunftsverweigerungsrecht zu. Der Grund: Er könnte sich durch seine Aussage selbst belasten und dadurch die Einleitung eines Strafverfahrens wegen Beihilfe zum Mord auslösen.
Dann säßen Käufer und Verkäufer der mutmaßlichen Tatwaffe auf der Anklagebank. Zahlreiche Prozess-Beobachter, darunter Anwälte von Opfer-Familien, wundern sich, warum das nicht längst der Fall ist.
Dass Andreas S. bei seiner zweiten Vorladung als Zeuge (Termin noch offen) gesprächiger sein wird als beim ersten Mal, darf nach den jüngsten Eindrücken aus dem NSU-Prozess bezweifelt werden. Er will dann mit einem Anwalt seiner Wahl im Verhandlungssaal A 101 des Münchener Oberlandesgerichtes erscheinen, "bevor ich mich hier selber reinreite". Belastende Aussagen von anderer Seite muss Andreas S. kaum befürchten. Sein früherer Geschäftspartner aus dem Szeneladen "Madley" hatte schon zu einem früheren Zeitpunkt als Zeuge im NSU-Prozess ausgesagt; vom Waffen-Deal will er nichts mitbekommen haben. Als er ein zweites Mal aussagen sollte, meldete er sich krank.
"Arme Friseurin" ermöglichte Beate Zschäpe Arztbesuche
Mehr noch als Andreas S. sorgte zuletzt eine andere Zeugin für Erstaunen: Silvia S. hatte dem Mitangeklagten im NSU-Prozess, Holger G., für 300 Euro ihre Krankenkassenkarte verkauft. Damit konnte die Hauptangeklagte Beate Zschäpe unter falschem Namen Arztbesuche machen. Silvia S. will "nie" hinterfragt haben, von wem und wofür ihre Karte benötigt wurde. "Ich bin eine arme Friseurin", die in dem Moment nur das Geld gesehen habe, begründete sie ihr angebliches Desinteresse.
Auch mit ihrem Ehemann, der beim Kartenverkauf dabei war, habe sie nicht über die Hintergründe gesprochen. Die rechte Gesinnung ihres Lebenspartners sei ebenfalls nie zur Sprache gekommen. "Politik interessiert mich nicht", sagte Silvia S. Auch das auf den Bauch ihres Mannes tätowierte Wort "Skinhead" war für sie kein Grund zu Nachfragen.
Ein dubioser Verfassungsschützer
Noch unglaubwürdiger als Silvia S. finden viele Prozessbeobachter einen weiteren Zeugen, der Anfang Dezember nochmals vernommen wird: Verfassungsschutz-Mitarbeiter Andreas T. Er hielt sich zum Zeitpunkt der Ermordung des Internetcafé-Betreibers Halit Yozgat im Juli 2006 am Tatort in Kassel auf. Im Rahmen der polizeilichen Ermittlungen hat sich T. in zahlreiche Widersprüche verstrickt. Doch zahlreiche Akten unterliegen auf Anordnung des hessischen Innenministeriums der Geheimhaltung oder wurden von der Staatsanwaltschaft nicht in den NSU-Prozess eingeführt.
Mehrere Anwälte von Opfer-Familien, aber auch die Strafverteidiger von Beate Zschäpe und Ralf Wohlleben haben inzwischen beantragt, gesperrte Akten freizugeben. Eine Entscheidung steht noch aus. Das gilt auch für Anträge der Nebenkläger-Seite, Kollegen von T. als Zeugen zu laden und Ermittler, die mit ihm zu tun hatten.
Mutter eines mutmaßlichen NSU-Mörders sagt als Zeugin aus
Am Dienstag (19.11.2013) war Brigitte Böhnhardt, die Mutter des mutmaßlichen NSU-Mörders Uwe Böhnhardt, als Zeugin geladen. Von ihr und ihrem Mann ist bekannt, dass sie den 1998 untergetauchten Sohn und dessen Komplizen Uwe Mundlos und Beate Zschäpe bis ins Jahr 2002 mehrmals getroffen haben. Das hat sie vor dem NSU-Untersuchungsausschuss des Thüringer Landtags zugegeben.
Ursprünglich sollte Brigitte Böhnhardt schon in der vergangenen Woche vor dem Oberlandesgericht München aussagen. Doch dann zog sich die Befragung der Friseurin aus Hannover in die Länge, die der Hauptangeklagten im NSU-Prozess, Beate Zschäpe, ihre Krankenkassenkarte überlassen hatte. Die Aussage der Zeugin Silvia S. fand der Vorsitzender Richter Manfred Götzl so unglaubwürdig, dass die 33-Jährige ein weiteres Mal vor Gericht erscheinen muss. Auch ihr Mann soll dann als Zeuge vernommen werden. Der ist seit langem mit Holger G. befreundet, der im NSU-Prozess wegen Beihilfe zum Mord angeklagt ist.