Nun doch Ermittlungen gegen US-Spione
4. Juni 2014Es lägen "greifbare Tatsachen" vor, die den Verdacht der möglichen Ausspähung des Mobiltelefons von Bundeskanzlerin Angela Merkel durch "unbekannte Mitarbeiter US-amerikanischer Nachrichtendienste" begründeten, teilte Generalbundesanwalt Harald Range mit. Er habe deshalb am 3. Juni ein Ermittlungsverfahren wegen des Anfangsverdachts der geheimdienstlichen Agententätigkeit eingeleitet. Zeugenvernehmungen würden veranlasst und Behördenauskünfte angefordert.
Vor seiner offiziellen Mitteilung hatte Range den Rechtsausschuss des Bundestages in Berlin über das Ergebnis seiner monatelangen Prüfungen im Zusammenhang mit der vom Ex-NSA-Mitarbeiter Edward Snowden ins Rollen gebrachten Späh-Affäre informiert.
Anhörung Snowdens?
Der ehemalige US-Geheimdienstmitarbeiter könnte zudem auch von Range befragt werden. Dies "müssen wir abwägen", sagte der Generalbundesanwalt. Ob Snowden allerdings als Zeuge geladen werden sollte, sei noch nicht klar. "Soweit sind wir noch nicht", sagte Range, "Wir gehen Schritt für Schritt vor." Ein Ermittlungsverfahren eröffne neue Möglichkeiten: "Zeugen sind Zeugen. Sie haben gewisse Pflichten im Ermittlungsverfahren", betonte Range. So könnten sie zwar eine Aussage verweigern, müssten aber erscheinen.
Vertreter aller Bundestagsfraktionen begrüßten die Entscheidung des obersten deutschen Strafverfolgers. Zwar glauben auch deutsche Politiker nicht, dass NSA-Agenten eines Tages in Deutschland vor Gericht stehen werden. Man hofft vor allem auf Aufklärung und abschreckende Wirkung für die Zukunft. Die Grünen-Politikerin Renate Künast, die dem Rechtsausschuss des Bundestages vorsitzt, betonte, es sei wichtig, der Öffentlichkeit zu zeigen, "dass wir nicht wehrlos sind". Die Rechte der Bürger müssten auch gegenüber ausländischen Geheimdiensten gewahrt werden.
"Unabhängige Entscheidung"
In den vergangenen Tagen hatten einige Medien gemeldet, Range wolle gänzlich auf Ermittlungsverfahren wegen der NSA-Spähaffäre verzichten. Besonders Oppositionspolitiker der Grünen und der Linken vermuteten dahinter den Einfluss der Bundesregierung, die das Verhältnis zu den USA nicht aufs Spiel setzen wolle. Im Gegenzug warfen Politiker der regierenden Union der Opposition vor, sie versuche Druck auf den Generalbundesanwalt auszuüben.
Range selbst habe jedoch im Rechtsausschuss des Parlaments erklärt, er habe in der Sache unabhängig entschieden, hieß es aus Teilnehmerkreisen.
Enttäuscht äußerten sich einige Politiker darüber, dass der oberste deutsche Ankläger nur wegen der Geheimdienst-Attacke auf das Kanzlerin-Handy ermittle und nicht wegen des vermuteten Datenklaus bei Millionen anderen Deutschen durch die US-amerikanische NSA und den britischen Geheimdienst GCHQ. In einer zweieinhalbseitigen schriftlichen Erklärung vertritt der Generalbundesanwalt jedoch den Standpunkt, es gebe bislang dafür keine ausreichenden Anhaltspunkte für strafbare Handlungen. Dies gelte insbesondere auch für "die in der Öffentlichkeit diskutierte Infiltration deutscher Telekommunikationsknotenpunkte". Wörtlich heißt es: "Im Ergebnis bleibt mithin die abstrakte Annahme, dass britische und US-amerikanische Nachrichtendienste ebenso wie die Geheimdienste anderer ausländischer Staaten versuchen, auch mit modernen elektronischen Mitteln Erkenntnisse in Deutschland zu erlangen (Cyberspionage)"
Strafanzeigen zu unkonkret
Die Linken-Rechtsexpertin Halina Wazyniak und andere hatten die Möglichkeit ins Spiel gebracht, der Generalbundesanwalt ermittle in Sachen Massenausspähung deshalb nicht, weil die Aktivitäten von NSA und GCHQ durch deutsche Sicherheitsbehörden gedeckt sein könnten.
Generalbundesanwalt Range erklärte, er wolle gegen Cyberspionage mit einem neuen Ermittlungsreferat vorgehen. Sollten sich durch die Ermittlungen in Sachen Kanzlerin-Handy neue Erkenntnisse auch für die massenhafte Ausspähung von Bürgern ergeben, will Range dem nachgehen. Außerdem hofft er auf neue Hinweise, die bisher eingegangenen rund 2000 Strafanzeigen von Bürgern seien zu unkonkret.