Nur Nachbildungen von Kulturgütern zerstört?
11. März 2015Das irakische Nationalmuseum in Bagdad ist heutzutage ein Publikumsmagnet, und das mehr denn je. Erst Ende Februar ist es wiedereröffnet worden, nur wenige Tage nachdem die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) ein Internet-Video veröffentlicht hatte, in dem sie mit Vorschlaghämmern assyrische Statuen und Artefakte im Museum von Mossul zerstörte. Ins Bagdader Nationalmuseum kommen nun viele, um zu sehen, welche irakischen Kulturgüter noch übrig sind.
Wer den Museumswärter Haytham nach dem IS-Video fragt, erhält eine erstaunliche Antwort: "Die haben keine Originale zerstört in Mossul, das waren alles Kopien." Die Originale seien hier, sagt Haytham und zeigt auf die Riesenreliefs und Statuen, geflügelte Stiere und Türhüterfiguren aus Nimrud, Hatra und Khorsabad. Viele andere Kulturgüter befänden sich im Ausland, unter anderem auch in Deutschland.
Statuen aus Gips
Fawzye al-Mahdi, die die Antikenverwaltung leitet und für irakisches Kulturerbe zuständig ist, bestätigt das weitgehend. Sie sitzt in einem bescheidenen Zimmer im Flur der Verwaltungsbüros in einem Seitentrakt des Museums. Sie habe sich das Internet-Video genau angesehen, sagt die kleine Frau mit grünem Haarschleier. Die Maske, die darin mit einem Hammer zertrümmert werde, sei aus Gips gewesen, die Statuen ebenfalls. "Keines der Artefakte, die in dem Video zerstört wurden, ist ein Original."
Allerdings hätte die Terrormiliz Tonfigürchen, Holzembleme aus Eiche und andere wertvolle Gegenstände gestohlen, außer Landes geschmuggelt und verkauft, so Fawzye al-Mahdi. Wie viele dabei zerstört wurden, könne man nicht sagen. Auch in Deutschland seien sieben Gegenstände aus dem Museum in Mossul aufgetaucht. Medienberichten zufolge hat ein Korrespondent des staatlichen Fernsehsenders Al-Iraqia eine Liste dieser Gegenstände erhalten, die auf dem Kunstmarkt verkauft werden sollten.
Blinde Zerstörungswut
Die Kulturerbe-Leiterin berichtet, als IS-Milizen im vergangenen Juni Mossul einnahmen, seien die Angestellten des dortigen Museums in die Kurdengebiete nach Erbil oder Dohuk geflohen. Die neuen Herren hätten dann Schritt für Schritt die Museumsvitrinen und auch die Lager geplündert. Hier seien Originale gewesen.
Es breche ihr das Herz, wenn sie die blinde Zerstörungswut der IS-Kämpfer gegen irakische Kulturgüter sehe, sagt Fawzye al-Mahdi. Ihr Krieg gegen die Götzenbilder, wie sie es zu rechtfertigen versuchten, sei nicht zu rechtfertigen.
In der langen Geschichte Mesopotamiens sei es immer wieder zu Zerstörungen von Kunst und Kultur gekommen, so die Leiterin der Antikenverwaltung. Die hochentwickelte Zivilisation, der Reichtum an Wasser und Handelswegen hätten den Irak schon immer begehrlich gemacht. "Alle unsere Nachbarn wollten uns besitzen." Und jedes Mal hätten die "dominierenden Kräfte" versucht, die Vergangenheit zu zerstören. Sie sagt vorsichtig "dominierende Kräfte" und nicht "Besatzer" oder "Eroberer". Manchmal sei es glimpflich abgegangen und den Skulpturen wurden nur die Nasen oder der Kopf abgeschlagen. Manche hätten aber alles zerstört. Auch in jüngerer Zeit fehle Respekt vor dem kulturellen Erbe des Irak, beklagt Fawzye al-Mahdi. Saddam Hussein habe mit seinen Kriegen viel Zerstörung gebracht. Aber auch die "Koalition der Willigen" unter Führung der USA habe Kulturstätten als Militärlager benutzt.
Viele Nachbildungen
Daher finde man beispielsweise im heutigen Babylon nur noch wenige Originalteile, so die Antikenchefin. Das Ishtar-Tor sei eine Nachbildung, der Palast von Nebukadnezar ebenfalls. Auch in den vom IS niedergewalzten assyrischen Ruinen Hatra, Nimrud und Khorsabad seien nicht alle Kulturgüter Originale. Die Verwaltung des Nationalmuseums habe aber genaue Pläne und Zeichnungen der einstigen Originalstätten, sodass sie später wieder aufgebaut werden könnten. Um die Schäden beziffern zu können, müsse man aber vor Ort sein. Derzeit wagt die Direktorin keine Bilanz.
Als größtes Problem sieht sie momentan die Rückgabe gestohlener und exportierter Kunstgegenstände. Die Kooperation mit dem Ausland sei katastrophal. Nur wenige Raubgüter kämen zurück, sagt Fawzye al-Mahdi. Zum einen, weil die Kontrollen bei der Einreise in die Nachbarländer des Irak und ins westliche Ausland unzureichend seien. Zum anderen, weil der illegale Kunstmarkt boome. Und die UNESCO, die sich der Bewahrung des internationalen Kulturerbes verpflichtet habe, verfüge über keine wirksamen Instrumente, um diesen immer dramatischer werdenden illegalen Handel mit Artefakten zu stoppen.
Illegaler Kulturgüterhandel
Ihre Kritik richtet sich dabei ausdrücklich nicht gegen die Ausgrabungsteams, die aufgrund von Verträgen irakische Kulturgüter legal ausgeführt haben. Deren Rückgabe fordert Fawzye al-Mahdi nicht - im Gegenteil: "Wir müssen froh sein, dass die wichtigsten Relikte unserer Vergangenheit wohlbehütet in ausländischen Museen sind angesichts der Barbarei, die wir derzeit wieder erfahren müssen."
Die Zerstörungswut der IS-Milizen hat jedoch nicht nur das Museum in Mossul getroffen, sondern auch die Ausgrabungsstätten selbst. Wie kurdische Quellen aus der Provinz Nineve besagen, sollen jahrtausendealte Ruinen dem Erdboden gleichgemacht worden sein. Die IS-Kämpfer seien mit Bulldozern über die Kulturstätten gefahren.