Nächster Akt im Maut-Stadl
29. September 2016Der wendige Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt kann das, was andere Staaten tunlichst vermeiden wollen, sogar in einen Erfolg ummünzen. Der CSU-Politiker freut sich, dass die Europäische Kommission ihn endlich verklagt hat. "Das ist eine gute Nachricht", triumphierte Dobrindt in Berlin: "Die Entscheidung ist längst überfällig."
Die EU-Kommission, die in Brüssel darüber wacht, dass die Mitgliedsstaaten sich an europäische Normen halten, hatte kurz zuvor bekannt gemacht, dass sie Deutschland wegen der Pkw-Maut vor dem Europäischen Gerichtshof verklagt hat. Da Dobrindt die EU-Kommission für voreingenommen gegenüber Deutschland hält, zählt er jetzt darauf, dass die Luxemburger Richter ihm im Drama um den deutschen Wegezoll für Autofahrer endlich Recht geben.
Vergebliche Liebesmüh
Monatelange waren Schriftsätze zwischen Brüssel und Berlin ausgetauscht worden. Die EU-Kommission bot Hilfe an, drohte, verwarf und bewertete. Selbst ein Spitzentreffen Dobrindts mit dem Präsidenten der EU-Kommission, Jean-Claude Juncker, brachte im April 2016 keine Annäherung. Juncker ließ den forschen Dobrindt abblitzen, hieß es hinterher von EU-Diplomaten. Alexander Dobrindt beharrt darauf, dass sein Maut-Gesetz, dem der Bundestag inzwischen zugestimmt hat, mit Europarecht vereinbar sei.
Die EU-Kommission sieht genau das Gegenteil. Die Erstattung der Maut für Deutsche über den Umweg einer reduzierten Kfz-Steuer verstoße klipp und klar gegen das "Diskriminierungsverbot" der Europäischen Verträge. Ein EU-Bürger darf nicht schlechter gestellt werden als ein Deutscher. Das sei er aber beim Dobrindt'schen Modell, weil sich Österreicher, Finnen oder Franzosen die Maut nicht über die Kfz-Steuer zurückholen können. In Österreich, Frankreich, Slowenien oder allen anderen Maut-Staaten in der EU - das ist inzwischen die große Mehrheit - muss jeder zahlen, egal wo er wohnt.
Den Vorschlag der EU-Beamten, auf die Rückerstattung auch für deutsche Autofahrer zu verzichten, wies das Bundesverkehrsministerium zurück. Schließlich war CSU-Mann Dobrindt im Wahlkampf - besonders in Bayern - mit dem Slogan zur Einführung der "Ausländer-Maut" aufgetreten. Kein deutscher Autofahrer sollte mehr zahlen, nur die anderen. Die Maut von 103,04 Euro für Benziner und 112,35 für Diesel-Fahrzeuge sollte längst eingeführt sein. Dobrindt setzte die praktische Umsetzung aber aus, weil er den Streit mit Brüssel abwarten wollte. So ganz sicher war er sich offenbar doch nicht, dass er am Ende gewinnen würde.
Luxemburg soll's richten
Da sich der Maut-Minister und die EU-Beamten im laufenden "Vertragsverletzungsverfahren" nicht einigen konnten, folgt jetzt als nächster Akt im Maut-Theater: die Klage vor dem Europäischen Gerichtshof. Dobrindt drängt zwar verbal auf einen kurzen Prozess, die Erfahrung zeigt aber, dass so ein Verfahren in Luxemburg im Schnitt zwei Jahre dauert. Besondere Eilbedürftigkeit ist wahrscheinlich auch nicht zu erkennen.
Die 28 Richter (einer pro Mitgliedsstaat) arbeiten sich durch hunderte ähnlicher Vertragsverletzungsverfahren. Solche Klagen der EU-Kommission gegen einzelne Mitgliedsstaaten sind nicht ungewöhnlich. Auch gegen das Ministerium von Alexander Dobrindt laufen Verfahren zu anderen Sachverhalten. Der wissenschaftliche Dienst des Bundestages hatte in einem Gutachten zum Maut-Gesetz geschrieben, dass es gegen fundamentale EU-Prinzipen verstößt. Die Chance, vor den Luxemburger Richtern zu bestehen, sind also eher gering. Der Gerichtshof könnte sich auch auf das formale Argument zurückziehen, eine Klage gegen ein Gesetz, das gar nicht angewendet wird, sei unzulässig.
Ausstieg durch Aussitzen?
Die EU-Kommission weist darauf hin, dass auch die Maut-Modelle Österreichs, Sloweniens und Italiens zunächst auf Widerstand stießen, dann aber abgeändert werden konnten. Etwa 85 Prozent aller Vertragsverletzungsverfahren werden beigelegt, bevor es zu einer Klage kommt. Warum der deutsche Minister so stur ist, kann man sich in Brüssel nicht so recht erklären. Offiziell zumindest nicht.
Hinter vorgehaltener Hand stimmen viele EU-Diplomaten der These zu, dass Alexander Dobrindt die auch in Deutschland nicht gerade beliebte Maut-Materie vor dem EuGH langsam sterben lassen will. Der Berliner "Tagesspiegel" vertrat schon im April die These, dass Dobrindt die Lust an der unausgegorenen Maut verloren habe. "Den Schwarzen Peter könnte er dann an Brüssel geben. Und bis dahin noch ein wenig auf 'die da in Brüssel' schimpfen", hieß es im "Tagesspiegel".
Das Urteil zur in Bayern ersonnenen Deutschland-Maut wird wahrscheinlich erst 2018 fallen, lange nach der nächsten Bundestagswahl im September 2017. Wer weiß, ob Alexander Dobrindt danach noch Verkehrsminister sein wird. Das Maut-Theater geht jedenfalls weiter. Nächster Spielort: Luxemburg.