Obama sucht Nähe früherer Gegner
26. Juli 2015Es war eine überraschend aufrichtige Aussage für einen US-amerikanischen Präsidenten: Die USA hätten andere Länder falsch behandelt, sagte er Mitte Juli in einem Interview mit der New York Times. "Selbst bei seinen eigenen Gegnern sollte man sich meiner Meinung nach gelegentlich in dessen Lage versetzen können. Und wenn man sich die Geschichte des Iran anschaut, ist es Fakt, dass wir am Sturz des demokratisch gewählten Regimes im Iran beteiligt waren", fuhr Barack Obama fort, nur wenige Stunden nachdem das Atomabkommen mit dem Iran Mitte Juli dieses Jahres unterzeichnet war.
Obama bezog sich mit seiner Aussage auf eine Operation des US-amerikanischen Geheimdienstes CIA im Jahr 1953. Dabei wurde der säkulare demokratische Premierminister des Iran, Mohammad Mosaddegh, gestürzt. Zuvor hatte dieser die komplette Erdöl-Industrie des Iran verstaatlicht und somit Jahrzehnte der britischen Kontrolle beendet.
Damit sollte Obamas Geschichtsunterricht noch nicht beendet sein: "Wir haben Saddam Hussein auch unterstützt, als wir schon wussten, dass er Chemiewaffen im Krieg zwischen dem Iran und dem Irak nutzte. Daraus resultieren auf Seiten der Iraner Sicherheitsbedenken. So hat jeder seine eigene Geschichte." Später unterstützte die Reagan-Regierung den Irak, indem sie dem irakischen Diktator Geheimdienstinformationen zur Verfügung stellte, die dem Irak die Invasion des Irans erleichterten.
Doch nicht jeder US-Amerikaner teilt Obamas Sicht auf die Geschichte. Stattdessen neigt man eher dazu, sich auf die eigenen vergangenen Leiden zu konzentrieren - beispielsweise auf die über ein Jahr andauernde Geiselnahme von 52 US-Diplomaten in Teheran während der Islamischen Revolution 1979, die Feindschaft des Iran zu Israel oder die anti-semitische Rhetorik mancher iranischer Präsidenten.
Obamas Ansatz: ein grundlegender Politik-Wandel
Neben dem Iran gerieten die USA auch mit der kommunistischen Regierung in Kuba jahrzehntelang immer wieder aneinander. Doch diesen Sommer hat sich viel für die USA geändert. Die Normalisierung der Beziehungen zwischen Kuba und den USA sowie das Atomabkommen mit dem Iran scheinen das Ende zweier langanhaltender internationaler Konflikte zu bedeuten.
"Der Wille, Empathie zu empfinden - und damit meine ich nicht Sympathie - und sich unser Land so anzuschauen wie andere Länder es eventuell sehen, ist eine grundlegende Veränderung in der US-amerikanischen Einstellung", sagt Philipp Brenner, Experte für US-Außenpolitik und Kuba an der American University. Solch ein Wandel sei für die US-Amerikaner sehr schwierig, da das Land so groß sei: "Wir haben viel mehr Kapazitäten, andere zu beeinflussen oder anzugreifen als umgekehrt".
Noch kann man nicht sagen, welche Konsequenzen der Atom-Deal für die USA, den Iran, den Nahen Osten und den Rest der Welt haben wird. Auf jeden Fall hätten sich die Beziehungen zwischen Washington und Teheran bereits geändert, sagt John Limbert, ein ehemaliger US-Diplomat für Teheran. Mit ihren akribischen Verhandlungen hätten der Iran und die USA sich selbst und der Welt bewiesen, dass sie in der Lage seien, eine Übereinstimmung bei einem politisch sensiblen Thema zu erreichen, so Limbert: "Man tut nicht mehr das gleiche wie vor 35 Jahren - nämlich sich gegenseitig bedrohen, sich anschreien, sich beleidigen. Wir sind mittlerweile in der Lage, miteinander zu sprechen - nicht als Freunde -, aber wir sprechen miteinander. Auch wenn man das öffentlich nicht zugeben kann", sagt der ehemalige US-Diplomat. Seiner Meinung nach ist das eine Chance und ein großer Wandel in der Beziehung der beiden Länder. Limbert war selbst einer der 52 Gefangenen bei der Geiselnahme von Teheran. Als Antwort auf die Geiselnahme brachen die USA die diplomatischen Beziehungen zum Iran 1980 ab. Seitdem wurden sie nicht wieder aufgenommen.
Wiederaufnahme von Gesprächen könnte Türen öffnen
Limbert glaubt nicht, dass das aktuelle Atomabkommen einen direkten Einfluss auf die regionale Dynamik im Mittleren Osten haben wird. Die Region leidet unter einem brutalen Mix aus religiösen und geopolitischen Rivalitäten. Doch er glaubt, dass durch die Wiederaufnahme von Gesprächen viele Türen geöffnet werden könnten, um andere komplexe Themen langfristig zu lösen.
Vier Jahre lang standen sich die USA und der Iran im syrischen Bürgerkrieg gegenüber. Washington war gegen das syrische Assad-Regime und Teheran unterstützte es. Mittlerweile hat sich der Fokus geändert: Weg von Assad, hin zum Islamischen Staat. Die Terrorgruppe ist ein gemeinsamer Feind beider Länder, eine Tatsache, die potentiellen Raum für Kooperation schaffen könnte.
Bessere Beziehung zu Kuba besänftigt Lateinamerika
Auch Kuba und die USA haben bewiesen, dass sie miteinander reden können. Die Länder haben ihre diplomatischen Beziehungen nach über 50 Jahren Funkstille wieder aufgenommen. Die Beziehung der USA zu Kuba sorgte lange Zeit auch für Spannungen zwischen den USA und anderen lateinamerikanischen Ländern. "Die USA wurden lange Zeit als ein in der Luft schwebender Riese mit hegemonialer Macht angesehen, der jederzeit überall auf der Welt eingreifen könnte", sagt der Kuba-Experte Brenner. "Die kubanische Revolution wurde von jedem anderen Land in der Region als legitim angesehen."
Durch die Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen habe man einen der größten Konflikte zwischen den USA und dem Rest der Region beendet, meint Brenner. Beim Gipfel der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) in Panama wurde Obama deswegen auch von den lateinamerikanischen Regierungsoberhäuptern willkommen geheißen.
Dort schüttelten Raul Castro und Obama sich auch die Hände und trafen sich zu ein privaten Gespräch. Brenner glaubt, dass die Annäherung der USA zu Kuba neue Wege für Kooperationen in der Bekämpfung des Drogenhandels, der Armut und des wachsenden Handels eröffnen könnten.
Der ehemalige US-Diplomat Limbert stellt sich beim Blick auf die Entwicklung der US-amerikanischen Außenpolitik und die Annäherung zum Iran und zu Kuba nur eine Frage: "Warum haben wir so lange gebraucht? Warum haben wir so viel Zeit verschwendet, uns zu prügeln? Wir haben uns 35 Jahre lang auf die Brust gehauen und wissen Sie, was dabei herausgekommen ist? Schmerzen."