Einig um jeden Preis
9. Februar 2015"Die Zahl der Opfer liegt um das fünffache höher als das, was bisher diskutiert wurde", sagt Michael Werz vom Center for American Progress und bezieht sich auf jüngste Informationen, die er am Wochenende bei der Münchner Sicherheitskonferenz erhielt. Mit fast 50.000 Toten nehme die Katastrophe immer bedrohlichere Ausmaße an: "Da stellen sich humanitäre Fragen, inwieweit man so tun kann, als gäbe es keine Handlungsoptionen für den Westen", so Werz im Gespräch mit der Deutschen Welle.
Über eine dieser Optionen, nämlich Waffenlieferungen an die ukrainische Armee, wurde in Washington vor dem Besuch von Bundeskanzlerin Angela Merkel heftig diskutiert – zwischen Obama-Regierung und oppositionellen Republikanern, aber auch innerhalb der Regierung. Es verdichteten sich die Zeichen, dass sich US-Präsident Barack Obama für Waffenlieferungen an die Ukraine entscheiden würde. Selbst Vizepräsident Joe Biden habe sich jetzt dafür ausgesprochen, war im Wallstreet Journal zu lesen.
Entscheidung noch nicht gefallen
Doch Obama mochte auf der Pressekonferenz mit Merkel noch nicht vorhersagen, wie seine Entscheidung ausfallen würde. Offensichtlich wollte er zu diesem Zeitpunkt nichts gegen den erklärten Willen der Bundeskanzlerin tun, die in diplomatischen Aktivitäten versucht, mit Russlands Präsident Wladimir Putin doch noch eine Verhandlungsvereinbarung zu finden. Die Entscheidung sei noch nicht gefallen, wiederholte Obama auf Nachfrage. Und Karen Donfried, langjährige Europaberaterin des Präsidenten und jetzt einflussreiche Präsidentin des German Marshall Funds, bestätigt dies gegenüber der Deutschen Welle: "Nach meinem Kenntnisstand ist im Weißen Haus noch nicht entschieden worden, ob Waffen geliefert werden sollen."
"Obama eiert herum"
Für Daniel Kochis von der konservativen Heritage Foundation kam das unerwartet: "Es hat mit überrascht, dass der Präsident weiter herumeiert", kritisiert er im DW-Gespräch. Die Ukrainer hätten das Recht, ihre territoriale Integrität zu verteidigen. Die Unwilligkeit der USA und ihrer europäischen Partner, Waffen zu liefern, verhinderten, "dass der Preis, den Putin zahlen muss, wirksam höher getrieben wird".
Dagegen wiederholte Angela Merkel ihre bekannte Haltung, dass Waffenlieferung für die Ukraine den Konflikt nur weiter eskaliere. Die Debatte in den USA laufe anders als in Deutschland, erklärt Karen Donfried: "Die Opposition gegenüber dem Präsidenten kommt von denen, die immer meinen, dass die Regierung mehr machen sollte". Die einflussreiche Gruppe rund um die republikanische Opposition fordere, die USA sollten Waffen liefern, um damit auf die Eskalation durch Russland zu antworten. Aus ihrer Sicht sei "die Sorge, damit einen größere russische Reaktion zu provozieren, nicht länger berechtigt, weil die Russen ja ohnehin bereits in einem viele stärkeren Ausmaß engagiert sind".
"Kotau vor den Russen"
Der republikanische Senator John McCain hatte der bedächtig agierenden Bundeskanzlerin bereits auf der Münchner Sicherheitskonferenz vorgeworfen, sie schaue dem "Abschlachten" der Ukraine tatenlos zu. Merkel ist darauf in Washington jetzt nicht eingegangen. Deutschland habe wichtige Interessen in Russland und würde sicherlich gerne sehen, dass es zu einer Vereinbarung kommt, sagt Daniel Kochis und stimmt dann in die Kritik McCains mit ein: "Dieses Drängen auf eine neue Vereinbarung ist ein Kotau vor den Russen. Es gibt keine Anzeichen, dass sich die Russen aus der Ukraine zurückziehen wollen." Merkel spiele den Russen damit eher in die Hand.
Dies sagt aber nicht nur Kochis, sondern auch Michael Werz vom Center of American Progress, einem Washingtoner Thinktank, der Obama und den Demokraten nahesteht. "Ich verstehe die Argumente der Kanzlerin, aber nicht, dass sie schon vor dem Treffen mit Putin die militärische Option vom Tisch genommen hat", so Werz. Damit habe sie unnötig die eigene Verhandlungsposition geschwächt.
"Abgestimmte" Position?
Mag sein, dass dies ein wichtiger Grund für Obama war, nach dem Gespräch mit der Kanzlerin und vor dem wichtigen Vierergipfel in Minsk mit Russlands Präsidenten seine Position zu Waffenlieferungen weiterhin offen zu lassen. Mit ein bisschen gutem Willen könne man darin eine abgestimmte Position mit Merkel und den Europäern sehen, vermerkten amerikanische Zeitungen mit einem süffisanten Unterton. Die Option der Waffenlieferungen könnte gemeinsam mit der angedrohten Verschärfung von Sanktionen Putin zu Kompromissbereitschaft bewegen.
Doch wie ernst Obama die Option der Waffenlieferung in Erwägung zieht, ist weiter offen. Daniel Kochis von der Heritage Foundation bleibt skeptisch. "Ich nehme nicht an, dass er nach Minsk seine Meinung ändert. Ich sehe keine starke Entscheidung kommen".
Einigkeit ist wichtig
Wichtig sei es, auch weiterhin Einigkeit gegenüber Präsident Putin zu zeigen, betonten Merkel und Obama, und fügten dann vielsagend an, dass Meinungsverschiedenheiten in Einzelfragen diese Einigkeit nicht infrage stellen könne. Ob mit dieser "Einzelfrage" die Waffenlieferungen gemeint waren?
Obama und Merkel würden sich weiterhin darauf konzentrieren, "dass die USA und die Europäer einig in ihrer Haltung gegenüber der russischen Agression bleiben", so Karen Donfried vom German Marshall Fund. Einigkeit sei absolut wichtig, pflichtet Michael Werz bei "Dieser Konflikt hat bisher die Nato gestärkt und einen hohen Erfolg für transatlantische Kooperation produziert". Er habe gleichzeitig das Potential, das Bündnis auseinanderzudividieren." Das muss man auf jeden Fall verhindern."