OECD: Corona bremst Migration
19. Oktober 2020Die Pandemie und ihre Folgen hat das Leben von Menschen rund um die Welt verändert. Doch Migranten sind deutlich mehr betroffen als andere Bevölkerungsgruppen. Das hat die OECD herausgefunden, die Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, in der sich die westlichen Industrieländer zusammengeschlossen haben.
Migranten hätten dafür gesorgt, dass wesentliche Teile der Daseinsvorsorge wie Gesundheitsdienste, Einzelhandel und Lieferdienste auch unter den Beschränkungen aufrechterhalten blieben. Selbst auf dem Höhepunkt der Anti-Corona-Maßnahmen mit ihren Grenzschließungen haben Regierungen zum Beispiel Ausnahmen bei der Einreise ausländischer Erntehelfer gemacht, auch die Bundesregierung in Berlin.
Migranten stehen im OECD-Durchschnitt zum Beispiel für 24 Prozent der Ärzte und 16 Prozent der Krankenschwestern und -pfleger und damit an vorderster Front im Kampf gegen das Virus. Wegen mehr direkter Kundenkontakte, aber auch wegen oftmals beengter Wohnverhältnisse hat sich auch ein überproportional hoher Anteil von Migranten mit Covid-19 angesteckt.
Untersuchungen in einer Reihe von OECD-Ländern haben gezeigt, dass das Ansteckungsrisiko unter Migranten mindestens doppelt so hoch ist wie das unter der alteingesessenen Bevölkerung.
Migranten sind die ersten, die arbeitslos werden
Gleichzeitig sind Migranten mehr als andere von den wirtschaftlichen Folgen der Pandemie betroffen. Viele von ihnen arbeiten in der Gastronomie, im Hotelgewerbe, im Tourismus - also in genau den Bereichen, die jetzt am meisten ums Überleben kämpfen. Im Gastgewerbe in der EU insgesamt stammt ein Viertel der Beschäftigten aus Drittstaaten, doppelt so viele wie in der gesamten Volkswirtschaft. Die Arbeitsverträge in diesen Branchen sind meist sehr kurzfristig. Migranten sind deshalb oft die ersten, die arbeitslos werden. Noch liegen nicht genügend Daten vor, aber schon jetzt ist klar, dass es Migranten besonders hart in den südeuropäischen Ländern, in Irland, Schweden, Norwegen und den USA trifft.
Einen wichtigen Aspekt stellen die Schulschließungen dar. Migrantenkinder waren und sind besonders negativ betroffen, wenn Schüler online von zuhause aus lernen. Die Eltern haben durchschnittlich weniger Mittel, zum Beispiel für einen Computer, weniger Platz zuhause und können ihren Kindern wegen sprachlicher Schwierigkeiten auch meist weniger gut bei den Hausaufgaben helfen. Home-schooling benachteiligt damit tendenziell Migrantenkinder.
Mobiles Arbeiten braucht weniger Mobilität von Menschen
Die Pandemie hat die Migration in die OECD-Länder drastisch verringert, nach vorläufigen Schätzungen der Organisation hat sie sich im ersten Halbjahr 2020 glatt halbiert. Grenzschließungen, Reisebeschränkungen, ausgesetzte Flugverbindungen haben zu diesem Rückgang geführt. Und die OECD glaubt auch nicht, dass sich das so bald ändern wird, selbst wenn die Wirtschaft wieder anspringt. Ein Grund dafür sei, dass im Laufe der Pandemie viele Präsenzarbeitsplätze durch mobile Arbeitsplätze ersetzt worden sind und auch Studenten online lernen, dass also nicht mehr so viel Mobilität von Menschen nötig sei wie früher.
Deutliche Auswirkungen von Covid-19 dürfte es aber auch in den und für die Herkunftsländer geben. Die Geldüberweisungen von Ausgewanderten in ihre Heimatländer dürften zurückgehen, Arbeitsmöglichkeiten wegen der Pandemie zuhause schlechter werden. Und da die traditionellen Zielländer der Migranten heute stärker gegen illegale Einreisen vorgehen und die legalen Möglichkeiten der Einwanderung geringer werden, könnte das in den Herkunftsländern Frust auslösen, glaubt die OECD.
OECD: Corona lehrt, dass wir "den anderen" brauchen
Die OECD sieht wegen wachsender Arbeitslosigkeit in ihren Mitgliedsstaaten auch die Gefahr, dass die Fremdenfeindlichkeit zunimmt, weil Migranten als Konkurrenten wahrgenommen werden. In einigen Ländern gibt es Aufklärungskampagnen, um falsche Bilder von Migranten als Konkurrenten und Virusverbreiter richtigzustellen.
Die OECD sieht Migration grundsätzlich positiv als "integralen Teil unseres Lebens" und als etwas, "das uns verbindet". Gerade die Pandemie mit ihrer Isolation und den Einschränkungen habe uns gelehrt, so Stefano Scarpetta, Direktor für Beschäftigung und Soziales bei der OECD, "wie sehr wir 'den anderen' brauchen". Die Gefahr bestehe, dass durch die Pandemie und ihre Folgen ein Teil der Fortschritte bei Migration und Integration zunichte gemacht würden. Die Regierungen sollten dagegen die Integration von Migranten als langfristige Investition begreifen, die allen nütze.