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Ohne Deutsch kein Herz

Michael Hartlep20. Dezember 2013

Weil er kein Deutsch spricht, wollte eine Klinik einen Patienten nicht auf die Warteliste für ein Spenderherz setzen. Jetzt sollen neue Richtlinien für mehr Klarheit bei der Organvergabe sorgen.

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Plakat zum Thema Organspende
Bild: picture-alliance/dpa

Hassan Rashow-Hussein ist schwer krank. Sein Herz pumpt nicht mehr genügend Blut durch den Körper. Eigentlich bräuchte der 61-jährige Kurde aus dem Irak dringend ein neues Spenderherz. Aber das Herz- und Diabeteszentrum Nordrhein-Westfalen in Bad Oeynhausen wollte ihn nicht auf die Warteliste setzen. Die Begründung: Der Patient könne nicht genug Deutsch, um die komplexen Anweisungen der Ärzte für die Zeit nach der Operation zu verstehen.

Cahit Tolan hat diese Geschichte schon oft erzählt in den letzten Monaten. Er ist der Rechtsanwalt von Rashow Hussein. Seit er für seinen Mandanten bis vor das Bundesverfassungsgericht gezogen ist, stapeln sich die Presseanfragen auf seinem Schreibtisch. "Jeder Mensch hat den Anspruch auf eine Transplantation, wenn es medizinisch notwendig ist", sagt Tolan. "Und da sollte soziale Herkunft, Sprache oder eine Behinderung nicht ausschlaggebend sein."

Klinik sieht sich im Recht

In der Klinik in Bad Oeynhausen versteht man die Aufregung nicht. Die Ablehnung sei gedeckt von den Richtlinien der Bundesärztekammer, sagt Jan Gummert, Leiter der Klinik. Die Richtlinien regeln in Deutschland, wer auf die Warteliste für Spenderorgane kommt. Darin steht, dass sprachliche Schwierigkeiten die Mitarbeit des Patienten beeinflussen können. Denn nach einer Transplantation müssen Patienten Medikamente einnehmen und die Anweisungen der Ärzte genau befolgen. Ansonsten drohen schlimme Nebenwirkungen und sogar der Tod. "Davor wollen wir unsere Patienten schützen", sagt Gummert.

Doch die Richtlinie ist offenbar Auslegungssache. Denn nach der Ablehnung wandte sich Rashow-Hussein an ein anderes Krankenhaus. Das Universitätsklinikum Münster setzte ihn auf die Warteliste für eine Herztransplantation. Bedenken wegen der sprachlichen Hürden hatten die Ärzte hier nicht. Für wichtige Gespräche stellt die Klinik ihren Patienten einen Dolmetscher zur Verfügung. Und zu Routineuntersuchungen begleiten Rashow-Hussein seine Verwandten, die Deutsch können.

Prof. Gummert von der Herzklinik in Bad Oeynhausen
Prof. Gummert leitet die Herzklinik in Bad Oeynhausen.Bild: DW

Klage gegen die Klinik

Handelt es sich in dem Fall also um Diskriminierung? "Wenn mangelnde Mitarbeit auf sprachliche Schwierigkeiten zurückgeführt wird, ist das meiner Meinung nach ein Verstoß gegen den Gleichheits- und Gerechtigkeitsgrundsatz in der Verfassung", sagt Rechtsanwalt Tolan. Er zog vor die Gerichte: 10.000 Euro Schmerzensgeld soll die Klinik bezahlen, wegen Diskriminierung. Doch zu einer Verhandlung kam es gar nicht erst.

Denn das zuständige Landgericht lehnte Rashow-Husseins Antrag auf Prozesskostenhilfe ab, auf die er als Arbeitsloser angewiesen war. Doch Anwalt Cahit Tolan bleib hartnäckig, kämpfte sich durch alle Instanzen bis zum Bundesverfassungsgericht. Das entschied: Rashow-Hussein bekommt Prozesskostenhilfe und das zuständige Gericht muss über ein Schmerzensgeld entscheiden. Heute (20.12.2013) begann der Prozess, der bereits am ersten Tag mit einem Vergleich endete: Die Klinik zahlt dem 62-jährigen Flüchtling 5000 Euro. Im Gegenzug verzichtet Rashow-Hussein auf die ursprünglich geforderten 10.000 Euro Schmerzensgeld.

Drei Richter vom Bundesverfassungsgericht in roten Roben.
Ohne Deutschkenntnisse keine Transplantation? Die Richter müssen entscheidenBild: picture-alliance/dpa

Vergaberichtlinien als Auslegungssache

Durch den Vergleich musste sich das Gericht allerdings nicht zu den Richtlinien der Bundesärztekammer äußern. Dort heißt es, dass auch sprachliche Schwierigkeiten die notwendige Mitwirkung des Patienten etwa an der Nachbehandlung infrage stellen können. Diese Richtlinien kritisiert Eugen Brysch seit langem. Brysch vertritt als Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz die Interessen von Schwerkranken und Pflegebedürftigen.

Er vertritt klare Regeln für die Aufnahme auf die Warteliste, damit Willkür wie in diesem Fall ein Riegel vorgeschoben werde. Es dürfe keine Auslegungssache sein, ob ein Patient Chancen auf ein Spenderorgan habe.

Die Bundesärztekammer ist sich der Probleme bewusst. Es sei schwierig, die Kriterien wie die Mitarbeit des Patienten definitiv festzulegen, sagt Ruth Rissing-van Saan, die die Vertrauensstelle Transplantationsmedizin bei der Bundesärztekammer leitet. "In den Richtlinien steht, dass es auf die besonderen Umstände ankommt, wie den Zustand des Patienten, seine psychologische Situation oder eben seine Sprachkenntnisse." Und die können sich ändern. Für schwer kranke Patienten wie Hassan Rashow-Hussein entscheidet die Auslegung dieser Frage aber über Leben und Tod.

Ärzte in grünen Kittel bei einer Transplantation.
Nur eine Herztransplantation kann Rashow-Hussein helfen.Bild: picture-alliance/dpa

Damit zukünftig solche Fälle ausgeschlossen sind, plant die Bundesärztekammer deshalb, die Richtlinien zu konkretisieren. Hassan Rashow-Hussein kann hoffen, dass er das noch erlebt. Über drei Jahre ziehen sich die Gerichtsprozesse nun schon hin. Ein Spenderherz hat der neunfache Familienvater zwar noch nicht, aber dank der Klinik in Münster hat er jetzt zumindest die gleichen Chancen, wie Menschen, die Deutsch sprechen.