Diskussionsstoff
12. Dezember 2006Israels Premier Ehud Olmert hat sein Land erstmals in eine Reihe mit Atommächten gestellt. Er brach damit ein Tabu der israelischen Politik, Atomwaffenbesitz nicht offiziell zu bestätigen. "Würden Sie sagen, dass das Niveau der Bedrohung gleich ist, wenn sie (die Iraner) Atomwaffen haben wollen wie Frankreich, die Amerikaner, die Russen und Israel?", fragte Olmert in einem Interview mit dem deutschen Fernsehsender Sat1. Gleichzeitig wies Olmert aber Aussagen des designierten US-Verteidigungsministers Robert Gates zurück, wonach Israel Atomwaffen besitzt. Israel habe immer gesagt, dass es nicht als erstes Land in der Region die Atomwaffe einführen würde.
"Zweifel an seiner Regierungsfähigkeit"
In Israel lösten Olmerts Äußerungen Empörung aus. Der Abgeordnete der oppositionellen konservativen Likud-Partei, Juval Steinitz, forderte den Rücktritt des Ministerpräsidenten und sprach von einem "unverantwortlichen Lapsus", der "die Politik von fast einem halben Jahrhundert in Frage stellt". Der linke Oppositionsabgeordnete Jossi Beilin kritisierte die "verblüffenden Äußerungen von Ehud Olmert, die nur die Zweifel an seiner Regierungsfähigkeit vergrößern". Die israelische Regierung hat bislang nicht öffentlich den Besitz von Atomwaffen eingeräumt, es aber auch nicht bestritten.
Auf einem informellen Treffen sprach Olmert am Montagabend mehrere Stunden mit Bundeskanzlerin Angela Merkel. Ursprünglich wollte er schon im Juli erstmals nach Deutschland reisen. Kurz nach der Fußball-Weltmeisterschaft wollte Merkel mit ihm in Berlin über alle Themen des Nahost-Konflikts sprechen. Doch wie so oft im Nahen Osten, hatte sich die Lage in der Krisenregion über Nacht völlig verändert. Israels Armee rückte in den Gaza-Streifen ein und die Luftwaffe begann mit den Bombardements auf Ziele im Libanon. Olmert war in Jerusalem unabkömmlich.
Wiederbelebung des Nahost-Quartetts?
Die Lage im Nahen Osten ist trotz des Endes der Kampfhandlungen in Gaza und im Libanon aber keinesfalls einfacher geworden. Die Bundesregierung beharrt auf der Wiederbelebung des so genannten Nahost-Quartetts als einem der wichtigsten Instrumente im Friedensprozess für die Region. Der stellvertretende Regierungssprecher Thomas Steg sagte am Montag in Berlin ungeachtet skeptischer Beurteilungen, eine Lösung der Nahostkrise sei ohne die vier Akteure EU, Vereinte Nationen, USA und Russland in dem Verhandlungsgremium nicht vorstellbar.
Steg verwies auch auf den vergangene Woche in den USA veröffentlichten Baker-Report zum Irak, in dem ebenfalls die Wiederbelebung des Quartetts gefordert wird. Der Sprecher sagte, die Bundesregierung habe diese Forderung schon lange davor erhoben. Es gehe darum, den politischen Prozess wieder in Gang zu setzen. Die Bundesrepublik wolle die EU-Präsidentschaft im kommenden Jahr dazu nutzen, dem Quartett mehr Bedeutung zu verleihen. Auch der designierte UN-Generalsekretär Ban Ki Moon vertrete die Stärkung des Quartetts.
Angst vor Bürgerkrieg im Libanon
Merkel hatte am Wochenende erklärt: "Vor allen Dingen glauben wir, dass das Nahost-Quartett wieder belebt werden sollte, und hier hat die Europäische Union eine aktive Rolle." Zu hoch will Merkel, die sich auf die Präsidentschaften in der EU und bei den G8-Staaten vorbereitet, die Erwartungen nicht schrauben. Ähnlich wie in Deutschland möchte sie im Nahen Osten eine "Politik der kleinen Schritte" beginnen. "Wir müssen, glaube ich, viele kleine Schritte machen, um zu einem Ergebnis zu kommen", kündigte sie nach dem Treffen mit Ägyptens Staatspräsident Husni Mubarak am Sonntag an.
Um Erfolg zu haben, muss aber auch Israel mitspielen. Das beginnt beim Libanon. Merkel wird an Olmert appellieren, alles zu unterlassen, was die Regierung des frei gewählten Ministerpräsidenten Fuad Siniora noch mehr destabilisieren könnte. Die Deutschen blicken derzeit mit größter Sorge nach Beirut, wo die Hisbollah und damit indirekt Syrien Siniora mit Massenprotesten so unter Druck setzt, dass die Angst vor einem neuen Bürgerkrieg täglich wächst.
"Testfall für das deutsch-israelische Verhältnis"
Auf der anderen Seite warnt Olmert vor Syrien. In einem am Montag ausgestrahlten Interview des Nachrichtensenders N24 rügte Olmert den Besuch von Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier in Syrien am Montag vergangener Woche. "Ich denke, es war ein Fehler", sagte Olmert. Er warf Syrien unter anderem vor, in Terrorakte gegen die libanesische Regierung verwickelt zu sein, Extremisten und Terroristen zu unterstützen. "Ist das eine gute Basis für den Besuch eines deutschen Außenministers? Habe ich irgendeine Kritik über das Verhalten Syriens von Herrn Steinmeier gehört?" fragte Olmert.
Spezielle Beziehungen
Libanon und Syrien sind aber nur zwei von vielen Nahost-Themen. Merkel wird Olmert auch drängen, im israelisch-palästinensischen Konflikt wieder an den Verhandlungstisch zurückzukehren.
Wichtigster Punkt auf Olmerts Gesprächsliste ist hingegen der Atomkonflikt mit dem Iran. Dies werde zum Testfall für die deutsch-israelischen Beziehungen werden, sagte Olmert in dem Interview. Er warnte mit Blick auf eine mögliche UN-Resolution davor, die deutschen Geschäftsinteressen im Iran über die "noch viel tieferen und fundamentaleren moralischen Verpflichtungen" zu stellen. "Ich möchte den Deutschen vorschlagen: Nutzen Sie dieses Argument nie mehr, wenn es um das Leben des jüdischen Volkes geht." Er wisse jedoch, wie die Bundeskanzlerin darüber denke. "Ich habe enormen Respekt für ihre Sensibilität und die moralische Kraft, die sie für viele Deutsche darstellt." Sie sei eine "sehr beeindruckende Dame".
Besuch am Gleis 17
Zum deutsch-israelischen Verhältnis sagte Olmert weiter: "Die Beziehungen sind speziell, sie können nur speziell sein." Er glaube nicht, "dass sich das in den nächsten 100 oder 200 Jahren ändert". Die "gesamte menschliche Perspektive des jüdischen Volkes in der Welt" habe sich durch den Zweiten Weltkrieg und das, "was hauptsächlich Deutsche getan haben", verschoben.
Olmert hat zudem davor gewarnt, die Drohungen Teherans gegen sein Land auf die leichte Schulter zu nehmen. Er nannte es eine Lehre des Holocausts, dass Schwachen und Wehrlosen der Untergang drohe. Olmert sprach bei einer Kranzniederlegung an der Gedenkstätte Gleis 17 des Bahnhofs Berlin-Grunewald. Von dem Bahnhof waren zwischen 1941 und 1945 rund 55.000 Juden in Vernichtungslager deportiert worden. Olmert sagte: "Wehe dem, der den Drohungen keinen Glauben schenkt. Wehe dem Gleichgültigen, der sich nicht darauf vorbereitet, den Gefahren zu trotzen". Er warnte auch davor, sich sich zum eigenen Schutz auf die Wohltätigkeit Fremder zu verlassen und sich falschen Hoffnungen hinzugeben. (kas)