Olympia auf dem Rücken der Arbeiter
27. Januar 2014Das Spektakel kann kommen: Für die Olympischen Winterspiele in Sotschi (7. bis 23. Februar) laufen in diesen Tagen die letzten Vorbereitungen. Aus Großbaustellen sind mittlerweile olympische Milliardenbauten geworden. Stahl und Glas glänzen in der Sonne des Kurorts am Schwarzen Meer. Arbeiter trifft man hier kaum noch. Sie sind mittlerweile wieder in ihre Heimatländer in Zentralasien zurückgekehrt. Und nachdem sie monatelang hart für ein Gelingen der Olympischen Spiele gearbeitet haben, warten die meisten von ihnen immer noch auf ihren Lohn.
Angst zu sprechen
In einem armen Wohnviertel von Sotschi hat die Menschenrechtsorganisation Memorial ein Büro, der Hauptsitz der Organisation ist Moskau. Seit Juli 2012 hat Semjon Simonow etwa 1.500 Arbeitern in Sotschi bei ihren Problemen geholfen. Keiner kennt sich besser mit ihrem Schicksal aus als er. "90 Prozent aller Arbeiter der Olympiabauten von Sotschi haben entweder ihren Lohn gar nicht bekommen oder nur in Teilen", sagt er. "Mit ihrer Arbeit wurde Olympia erst möglich, aber bezahlt wurden sie dafür nicht. Man hat ihnen nicht einmal offizielle Arbeitsdokumente gegeben, und am Ende wurden viele von ihnen mit Gewalt ausgewiesen."
Bisher hat das Schicksal der Arbeiter von Sotschi niemanden interessiert. Auch weil ein Großteil der über 100.000 Arbeiter aus Zentralasien kam und schon längst mehr nicht mehr da ist. Viele von ihnen leben mittlerweile wieder in Tadschikistan. Das Nachbarland von China und Afghanistan ist arm, der Monatsverdienst beträgt dort oft keine 200 Euro. Das halbe Land lebt laut Weltbank von den Devisen, die tadschikische Arbeiter im Ausland verdienen. Auf einem Markt östlich der Hauptstadt Duschanbe erzählen viele, sie hätten in Sotschi gearbeitet, aber keinen Lohn bekommen. Offen will das erstmal keiner sagen.
"Moderne Sklaverei"
Zwei Autostunden südlich der Hauptstadt, traut sich schließlich doch einer der Betroffenen zu sprechen. Golip Yunusov ist 62 Jahre alt, ein herzlicher, aufgeweckter Mann mit grauen Haaren. Monatelang hat er als Vorarbeiter einer Gruppe von 23 Arbeitern auf der Baustelle der Unterkünfte für die freiwilligen Helfer gearbeitet. 455.000 Rubel, etwa 10.000 Euro, stünden ihm und seinen Kollegen eigentlich zu, allerdings hätten sie das Geld nie bekommen, sagt er. Moderne Sklaverei sei das gewesen. "Wir hatten keinen Tag frei, haben zu acht auf 18 Quadratmetern gewohnt, wenn du krank warst, dein Problem. Ausbeutung war das."
Viele, mit denen man in Tadschikistan spricht, sagen, sie hätten überhaupt kein Geld bekommen, seien nach Monaten der Arbeit einfach abgeschoben worden, auch weil sie von den Unternehmen keine Arbeitspapiere bekommen hatten. Golip nimmt uns mit zu Sobir, auch er war Vorarbeiter in Sotschi. Erst will auch er nichts sagen. Er arbeitet gerade mit Bekannten an seinem eigenen einfachen Haus. Fast alle die hier mithelfen, waren auch in Sotschi.
Dann sagt Sobir: "Die haben uns ausgenutzt wie Strafgefangene. 350.000 Rubel, über 7.000 Euro schulden die uns noch." Ein anderer kommt dazu: "Mein Bruder und ich haben einen Kredit bei der Bank für den Flug nach Sotschi aufgenommen, für nichts. Jetzt haben wir statt dem Lohn Schulden."
"Es sieht nach System aus"
In Sotschi bringt Semjon Simonow von der Menschenrechtsorganisation Memorial seine Erfahrungen auf den Punkt. "Es sieht ganz klar nach einem System aus, erst werden die Arbeiter nicht bezahlt, und dann einfach aus dem Land geschmissen."
Und selbst russische Arbeiter sind betroffen. Auch sie hätten nicht ihren vollen Lohn bekommen, erzählen viele. Das Organisationskomitee der Spiele von Sotschi will der ARD dazu kein Interview geben. Der deutsche Präsident des Internationalen Olympischen Komitees, Thomas Bach, ist ebenfalls zu beschäftigt. Nur schriftlich teilt das IOC mit: Knapp sechs Millionen Euro an unbezahlten Löhnen seien nun bezahlt worden.
Doch wie soll das möglich sein, wenn kaum ein Arbeiter von den Unternehmen registriert wurde, geschweige denn ein Bankkonto besitzt und jetzt in Zentralasien auf sein Geld wartet?