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Vom Opfer zum Killer

Simone Schlindwein10. März 2014

Sie selbst sehen sich als Verteidiger ihrer Heimat gegen muslimische Rebellen. Beobachter machen die Anti-Balaka-Miliz jedoch für grausame Massaker verantwortlich und fürchten, die Miliz könne einen Völkermord begehen.

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Anti-Balaka mit Fetisch (Foto: DW)
Bild: DW/S. Schlindwein

Borab ist ein geschäftiges Stadtviertel in Bangui, der Hauptstadt der Zentralafrikanischen Republik. Frauen verkaufen am Straßenrand Obst und Gemüse, Männer sitzen in Kneipen und trinken Bier. Ein friedlicher Ort, so scheint es. Wenn nur nicht die vielen Jugendlichen mit ihren Macheten und Maschinengewehren hier herumlungerten. Borab gilt als Hochburg der Anti-Balaka-Jugendmiliz. Der Gruppe werden Morde, Plünderungen und andere Gewalttaten vorgeworfen. Hier hat sie ihr Hauptquartier.

Früher war Borab der Wahlbezirk des ehemaligen Präsidenten François Bozizé. Ein Christ, wie die Mehrheit der Zentralafrikaner. Im März 2013 wurde er von den muslimischen Rebellen der Séléka aus dem Amt gejagt. Im Stadtteil Borab leben zahlreiche von Bozizés Leibwächtern, Angehörige seiner Armee und seiner Regierung, sowie politische Verbündete.

"Gegen die Kugeln der AK47"

Nach ihrem Putsch wüteten die Séléka-Rebellen in Borab besonders schlimm: Sie plünderten Häuser, erschossen unzählige Menschen, vergewaltigten Frauen. Hier habe sich dann der Widerstand formiert, sagt Anti-Balaka-Sprecher Emotion Gomez. Er zeigt auf allerlei Fetische, die in einem Riemen um seinen Oberkörper hängen: Gewehrkugeln, ein Metalldöschen, ein Vorhängeschloss. Das schütze ihn vor Gewehrkugeln, davon ist Gomez überzeugt.

Der Name der Bewegung leite sich von "Anti-Balle-AK47" ab, was soviel heißt wie "Gegen die Kugeln der AK47". Die Bewegung habe sich bereits vor der Herrschaft von Ex-Präsident Bozizé formiert, um Banditen zu bekämpfen. "Doch nachdem Michel Djotodia durch die Séléka-Rebellion die Macht ergriffen und die Séléka angefangen hat, uns zu erschießen und zu malträtieren, haben wir entschieden, uns neu zu organisieren, um diese Rebellen zu bekämpfen", sagt Gomez.

Fast alle Muslime sind weg

Was nach dieser Darstellung als Widerstand begann, weitete sich zu einem Blutrausch aus. Alle Muslime wurden pauschal verdächtigt, die Séléka zu unterstützen. Im Herbst 2013 eskalierte die Gewalt im ganzen Land so weit, dass die UN auf den Plan gerufen wurden. Im Dezember entsandte Frankreich im Auftrag des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen 2000 Soldaten in die Zentralafrikanische Republik. Als die begannen, zunächst die Séléka in Bangui zu entwaffnen, nutzte die Anti-Balaka die Gelegenheit, um über die muslimische Bevölkerung der Stadt herzufallen.

Verlässliche Opferzahlen zu den Übergriffen gibt es nicht. Doch heute leben nach Angaben der UN von den ehemals mehr als 100.000 Muslimen in Bangui nur noch weniger als 1000 hier. Wer konnte, ist geflohen. Wenn die internationale Gemeinschaft nicht schnell massiver in den Konflikt eingreife, so warnte der UN-Beauftragte für die Verhinderung von Völkermorden, Adama Dien, rechne er damit, dass sich die Verbrechen der Anti-Balaka zu einem Völkermord ausweiten werden.

Ihre Kämpfer: Traumatisierte Jugendliche oder Kannibalen?

Die meisten Anti-Balaka-Kämpfer sind Jugendliche ohne Schulbildung, einige sogar Kinder unter zehn Jahren. Was sie antreibt, ist häufig Rache. Ein junger Kämpfer erzählt, die Séléka-Rebellen hätten seinen Vater getötet, nachdem sie an die Macht gekommen seien. Zwei Monate später seien sie erneut zu ihm nach Hause gekommen. Sie hätten behauptet, der Vater habe Waffen dort versteckt: "Meine Mutter und Schwester waren da. Sie sagten, es gebe keine Waffen im Haus. Doch die Séléka hat sie beide erschossen. Ich war zum Glück woanders. Doch als ich nach Hause kam, habe ich sie tot vorgefunden."

Anti Balaka Sprecher Emotion Gomez (Foto: DW)
Anti-Balaka-Sprecher Emotion Gomez hat seinen Fetisch-Gurt für das Foto abgelegt: "Sonst verliert er seine Wirkung."Bild: DW/S. Schlindwein

Die Masse schwer traumatisierter Waisenkinder war für die Anführer der Anti-Balaka leicht zu manipulieren. Sie rekrutierten zehntausende junge Männer und sogar Mädchen und rüsteten sie mit Macheten und Messern aus. Mithilfe von Drogen gelang es den Anti-Bakaka-Anführern, die Jugendlichen davon zu überzeugen, sie seien durch die umgehängten Fetische gegen die Kugeln der Séléka geschützt.

Ihre Rachsucht, gepaart mit den Drogen, versetzte die jungen Leute in einen schieren Blutrausch. Nur so lassen sich die extremen Gewaltakte bis hin zum Kannibalismus erklären, die die Anti-Balaka nicht nur an den muslimischen Séléka-Rebellen, sondern auch an muslimischen Zivilisten begangen haben: Sie hackten Muslime in Stücke, verbrannten sie bei lebendigem Leib, aßen ihr Fleisch.

Von politischen Führern mobilisiert und manipuliert

Zu Beginn des Aufstandes der Anti-Balaka gegen das Séléka-Regime hieß es, die Jugendlichen gehörten lokalen Banden an, die sich spontan zusammengeschlossen hätten, um ihre Dörfer zu verteidigen. Mittlerweile hat sich das geändert. Es gibt eine zentrale Führung und eine Hierarchie, an deren Spitze Kommandeure der ehemaligen Armee stehen und ehemalige Politiker der alten Regierung von François Bozizé, den die Séléka aus dem Amt geputscht hatte.

Ein Anti-Balaka-Kämpfer auf einem Grundstück (Foto: DW)
Die Anti-Balaka kontrollieren viele Städte und DörferBild: DW/S. Schlindwein

Politischer Führer der Anti-Balaka ist Bozizés ehemaliger Jugendminister und Chef des nationalen Fußballverbandes, Patrice Ngaissona. In seinem Haus in Borab hat die Anti-Balaka ihr Hauptquartier. Von hier aus kommandiert Colonel 12 Puissance, übersetzt "Oberst 12 Volt", seine Einheiten. Mit Gräueltaten gegen Zivilisten will er allerdings nichts zu tun haben. Nicht alle, die sich Anti-Balaka nennen, gehörten tatsächlich zur Bewegung, behauptet er. Es gebe viele Kriminelle, die sich als Mitglieder seiner Miliz ausgeben.

Zum Beweis präsentiert Ngaissona einen Kriegsgefangenen, der übel geschunden aussieht, anscheinend wurde er gefoltert. Mit aggressiver Stimme erklärt der "Oberst 12 Volt": "Nachdem wir am 5. Dezember in Bangui angekommen waren, um die Rebellen von Präsident Djotodia zu vertreiben, haben wir nach einigen Wochen festgestellt, dass es Kriminelle und Banditen gibt, die schlimme Gewalttaten begehen und sich als Anti-Balaka ausgeben." Es seien auch viele ehemalige Soldaten und Offiziere der Armee darunter. Der vorgeführte Kriegsgefangene sei Kompaniechef und befehlige 300 Mann. "Er will uns diese Taten in die Schuhe schieben, damit wir vor der Justiz dafür verantwortlich gemacht werden", sagt Ngaissona.

Überall im Land und vor allem in Bangui mehrten sich zuletzt solche Zwischenfälle. Verschiedene Fraktionen der Anti-Balaka bekämpfen sich immer öfter auch untereinander. Ein Zeichen, dass sich ein Machtkampf in der Jugendmiliz abspielt. Ein gefährliches Spiel, denn es kann leicht zu einem Krieg zwischen den Fraktionen führen - und zu noch mehr Toten und Vertriebenen.