Organhandel in China: Hinrichtung auf Bestellung?
21. April 2006"Organspender können sofort gefunden werden!", verspricht die Website. "Bitte kontaktieren Sie uns, bevor sich Ihr Zustand verschlechtert." Ein weiterer Klick führt direkt zur Preisliste des chinesischen Transplantationszentrums, das in fünf Sprachen im Internet für sich wirbt: 62.000 Dollar für eine Niere, 160.000 Dollar für eine Lunge.
In China, wo mehr Todesurteile vollstreckt werden als in allen übrigen Ländern zusammen, folgt dem Henker oft der Chirurg, um die frischen Organe zu entnehmen. Die Staatsführung behauptet, dies geschehe nur "in einigen wenigen Fällen" und nur mit Einwilligung der Betroffenen. Internationale Beobachter schenken den Beteuerungen jedoch keinen Glauben. Der Britischen Transplantations-Gesellschaft (BTS) zufolge gibt es immer mehr Hinweise, dass die Organe ohne Einwilligung der Gefangenen oder der Familie entnommen würden. Noch schwerer wiegt ein weiterer Vorwurf: Die Geschwindigkeit, mit der passende Organe bereitgestellt würden, deute auf eine entsprechende Selektion der Gefangenen hin, so die BTS.
Grauzonen
Wie viele Menschen in China hingerichtet werden, ist ein Staatsgeheimnis. Amnesty International beziffert die vollstreckten Todesurteile im Jahr 2005 auf 1770, im Vorjahr zählte die Menschenrechtsorganisation 3400. Chinesische Rechtsexperten gehen von rund 8000 Hinrichtungen im Jahr aus. "Dass in China Organe von Hingerichteten entnommen werden, ist hinlänglich bekannt", sagt Günter Kirste, medizinischer Vorstand der Deutschen Stiftung Organtransplantation. Unklar sei dagegen, unter welchen Voraussetzungen solche Entnahmen stattfänden. Zu rechtfertigen seien derartige Transplantationen jedoch unter keinen Umständen, da sie die Todesstrafe zur Voraussetzung hätten.
Bereits seit 1984 gebe es eine Verordnung, nach der Familienangehörige einer Organentnahme zuvor zustimmen müssen, erklärt Katrin Willmann vom Institut für Asien-Kunde in Hamburg. Ende März kündigte das Gesundheitsministerium zudem an, dass ab Juli jede Form von Organhandel verboten werde und nur noch kontrollierte Kliniken Transplantationen vornehmen dürften. "Es gibt jedoch Grauzonen", sagt die China-Expertin Willmann. "Zum Teil mangelt es auf der lokalen Ebene an der Umsetzung der nationalen Gesetze."
Tod in der Klinik
In Japan, wo in den vergangenen neun Jahren lediglich 40 Organe gespendet wurden, wenden sich inzwischen viele Patienten an Vermittler, die ihre Dienste im Internet anbieten. Nicht immer geht dies gut aus: Japanische Behörden gehen Hinweisen nach, denen zufolge sieben Japaner nach Verpflanzungen in China gestorben sein sollen. Chinesischen Medien zufolge kamen in den vergangen drei Jahren allein aus Südkorea 3000 Patienten.
Auch in Ländern, in denen die Bereitschaft, Organe zu spenden, vergleichsweise groß ist, übersteigt der Bedarf das Angebot bei weitem: In Deutschland etwa würde dreifache Menge benötigt. Der Organhandel ist dort durch das Transplantationsgesetz von 1997 verboten. Wer sich in einem anderen Land Organe einsetzen lasse, könne dies nach seiner Rückkehr wegen der notwendigen Nachsorge nicht verheimlichen und riskiere eine Strafverfolgung, erklärt Fuat Oduncu, Experte für Transplantationen und Bioethik am Universitätsklinikum München. "Ich habe von keinem einzigen Fall dieser Art in Deutschland gehört", sagt er. "Das Gesetz hat sich bisher bewährt." In anderen europäischen Staaten gebe es vergleichbare Regelungen. Doch der Britischen Transplantationsgesellschaft zufolge lassen sich auch Bürger aus Großbritannien und anderen westlichen Staaten Organe in China einsetzen.
Näher an den Kliniken
Von dem chinesischen Transplantations-Boom profitieren auch westliche Unternehmen: Der Schweizer Pharma-Konzern Roche weihte im November eine Fabrik in Schanghai ein, die unter anderem das Mittel Cellcept produziert, das die Abstoßung nach Organtransplantationen hemmt. "Wir produzieren Cellcept in China, damit wir den Weg zu den Spitälern verkürzen können", sagt der Unternehmenssprecher Daniel Piller. Auf dem chinesischen Markt, wo Roche 2005 einen Umsatz von rund 115 Millionen Euro erzielte, ist Cellcept das drittwichtigste Produkt des Konzerns. "Ich möchte in diesem Zusammenhang betonen, dass wir die Organentnahme bei Hingerichteten schärfstens kritisieren", sagt Piller.
Diese Praxis sei Folge der Nachfrage aus dem Ausland, glaubt Günter Kirste von der Stiftung Organtransplantation. "Wenn es keinen Bedarf gäbe, würde das Problem verschwinden. Jeder der sagt, das ist ethisch nicht vertretbar, muss deshalb im Umkehrschluss sagen: Ich bin bereit, Organe zu spenden."