Pakistan: Auf Verhaftung folgt Gewalt
10. Mai 2023Die Festnahme des beliebten Ex-Premiers Imran Khan löst in Pakistan Gewaltszenen aus. Am Mittwoch (10.05.23) wurden in drei von vier Provinzen Ausnahmezustand und Versammlungsverbot verhängt. Zuvor hatten sich Khans Anhänger gewalttätige Auseinandersetzungen mit der Polizei geliefert und Autobahnen blockiert. Aus mehreren Städten wurde gemeldet, dass Polizeifahrzeuge in Brand gesetzt worden seien. Unbestätigten Berichten zufolge soll ein Mensch in der südwestlichen Stadt Quetta getötet worden sein. Landesweit meldete die Polizei über 1000 Festnahmen.
Anhänger von Imran Khan waren in der Nacht zum Mittwoch in das Hauptquartier des Militärs in der nordöstlichen Metropole Rawalpindi eingedrungen. Wütende Demonstranten schlugen Fenster ein, setzten Möbel in Brand und riefen in einem Video in den sozialen Medien: "Wir haben euch gewarnt, Imran Khan in Ruhe zu lassen." Inzwischen meldeten die Sicherheitskräfte, das Gebäude wieder unter Kontrolle zu haben.
"Wir werden vor dem Obersten Gerichtshof Einspruch gegen Khans Verhaftung einlegen", kündigte Asad Umar im Gespräch mit der DW an. Er ist Generalsekretär der Partei "Pakistanische Bewegung für Gerechtigkeit" (Pakistan Tehreek-e-Insaf , kurz PTI). Khan gründete 1996 die PTI. Seitdem ist er der Vorsitzende der nationalistischen Partei.
"Unser Parteivorsitzender Khan wurde verhaftet, ohne dass ein Haftbefehl oder eine Vorankündigung vorlag. Wir protestieren gegen die Verhaftung. Das ist unser gutes Recht gemäß Verfassung. Diejenigen Gewalttäter, die zum Beispiel Brandstiftung betrieben haben, sind nicht Mitglieder unserer Partei", so Umar weiter.
Nahm Khan Bestechungsgelder an?
Nach Angaben der Polizei ist der populäre Oppositionsführer wegen Korruptionsvorwürfen verhaftet worden. Gegen ihn wurde bereits wegen Vorwürfen in Zusammenhang mit Staatsgeschenken Anklage erhoben. Khan habe auf nicht schuldig plädiert, sagte sein Anwalt zu Journalisten vor Ort.
Die Haftbefehle waren laut Polizei von der pakistanischen Antikorruptionsbehörde (NAB) ausgestellt worden. Die NAB hatte den Vorwurf erhoben, Khan und seine Frau Bushra Watto seien in einen dubiosen Immobiliendeal verwickelt, bei dem dem Staat ein Verlust in Höhe von einem dreistelligen Millionenbetrag entstanden sein soll.
Khan und seine Frau gründeten 2018 die gemeinnützige Stiftung "Al-Qadir-Trust", die Bildungsprogramme finanziert. Das Paar soll alleiniger Treuhänder sein. Khan war seinerzeit amtierender Ministerpräsident Pakistans. Über diese Stiftung, so die Anklage, soll Khan ein Grundstück vom Milliardär und Immobilienentwickler Malik Riaz Hussain als Bestechung erhalten haben. Er und seine Frau bestritten diese Vorwürfe.
Die Juristen sind der Ansicht, dass die Gründung einer Stiftung während seiner Amtszeit als Premier an sich nicht zu beanstanden sei, da die Stiftung gemeinnützig ist. "Ein großes Grundstück als Spende von einem Immobilienentwickler zu erhalten und dann angeblich Millionen von Pfund, die die Regierung erhalten hat, an denselben Grundbesitzer zu überweisen, ist zumindest augenscheinlich der erste Anhaltspunkt für einen Interessenkonflikt", sagte Osama Malik, leitender Staatsanwalt der DW.
Politisch motivierte Verhaftung?
"Khan wurde zu einem Zeitpunkt verhaftet, zu dem sich der Konflikt zwischen ihm und dem Militär aufgrund seiner scharfen Rhetorik gegen das politische Establishment verschärft. Noch vor zwei Tagen beschuldigte Khan einen hohen Beamten des Militärgeheimdienstes, hinter dem Attentat auf ihn zu stecken", sagte Raza Rumi, ein politischer Analyst, gegenüber der DW.
Nach der Amtsenthebung rief Khan zu flächendeckenden Straßenprotesten in Pakistan auf, um so Neuwahlen zu erzwingen. Auf einer Wahlkampfveranstaltung im November 2022 wurde er bei einem Anschlag angeschossen und am Bein verletzt. Später behauptete er öffentlich, dass die Regierung und der Militärgeheimdienst den Anschlag geplant hätten.
Analysten gehen davon aus, dass Khans Verwicklung in die Korruptionsaffäre nur der Vorwand für seine Verhaftung sei. Seine scharfe Kritik am mächtigen Militär dürfte der wahre Grund sein. "Dass ihn Sicherheitskräfte festnahmen und wie er festgenommen wurde, nämlich von Dutzenden Einsatzkräften in Schutzkleidung, hat nichts mit dem Korruptionsvorwurf zu tun", sagt Madiha Afzal, Politologin der US-Denkfabrik Brookings Institution, gegenüber der DW. "In den Augen der Militärs hatten Khans Äußerungen die rote Linie überschritten."
Khans Anhänger wiederum erklärten schon im letzten Sommer die mögliche Verhaftung Khans zu ihrer roten Linie. "Jetzt hat sich das Establishment in der Politik und beim Militär durchgesetzt. Nun ist es schwer vorstellbar, dass es einen Rückzieher macht. Es ist schwer vorstellbar, die Situation zu deeskalieren. Dies ist eine sehr gefährliche Entwicklung", sagte Afzal.