Datenverlust bei der Bundeswehr
26. Juni 2007Bei der Bundeswehr sind einem Zeitungsbericht zufolge auch Berichte über die Teilnahme deutscher Offiziere an Verhören in einem US-Geheimgefängnis verschwunden. Die Berichte habe das Zentrum für Nachrichtenwesen der Bundeswehr aus einem Geheimgefängnis im bosnischen Tuzla erhalten, berichtet die "Berliner Zeitung" am Dienstag (26.06.). In Tuzla sollen die USA vor und nach dem 11. September 2001 Terrorverdächtige festgehalten und zum Teil misshandelt haben. Wie die Zeitung unter Berufung auf einen BND-Bericht weiter schreibt, waren an Verhören in Tuzla zumindest im Jahr 2001 auch Offiziere des Militärischen Abschirmdienstes (MAD) beteiligt.
Das Blatt zitierte einen Sicherheitsexperten, dem zufolge mit Hilfe der verschwundenen Daten aufgeklärt werden könnte, welche Offiziere illegalerweise an solchen Verhören teilgenommen hätten. Nach einem ARD-Bericht sind unter anderem auch Unterlagen aus dem Jahr 2002 verschwunden, die der Verteidigungsausschuss des Bundestags in der Affäre um die angebliche Misshandlung des Deutsch-Türken Murat Kurnaz durch KSK-Soldaten angefordert habe.
"Schlamperei"
Politiker und Fachleute bezweifeln Angaben des Verteidigungsministeriums, wonach Geheimdaten über Auslandseinsätze der Bundeswehr wegen einer technischen Panne verloren gegangen sind. Die stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Birgit Homburger forderte am Dienstag in Berlin von der Regierung eine lückenlose Aufklärung über die verschwundenen Daten. "Eine solche Schlamperei ist nicht hinnehmbar." Es mache nachdenklich, dass ausgerechnet von solchen Daten keine zweite Sicherungsdatei angefertigt wurde.
Grünen-Fraktionsvize Hans-Christian Ströbele sagte der "Neuen Presse", noch im vorigen November habe Verteidigungs- Staatssekretär Peter Wichert schriftlich Informationen über KSK- Einsätze angekündigt und darin nichts von verlorenen Daten erwähnt. "Deshalb zweifle ich, ob das alles so richtig ist."
Kaputte Kassetten entsorgt
Wichert teilte dem Verteidigungsausschuss des Bundestags am 12. Juni mit, dass ein Datensicherungsroboter einen technischen Defekt erlitten und Ende 2004 habe ausgetauscht werden müssen. Dabei sei festgestellt worden, dass ein Teil der Bandkassetten nicht mehr lesbar gewesen sei. Der Versuch der Wiederherstellung der Daten sei gescheitert. Die nicht mehr lesbaren Kassetten seien 2005 vernichtet worden. Es handele sich um Material aus den Jahren 1999 bis 2003.
Der Verteidigungsausschuss hatte sich zur Aufklärung der Vorwürfe von Kurnaz im vorigen Jahr zu einem Untersuchungsausschuss gewandelt. Die Staatsanwaltschaft Tübingen hatte ihre Ermittlungen gegen die beiden Soldaten Ende Mai aus Mangel an Beweisen eingestellt. Kurnaz' Anwalt Bernhard Docke will eine Fortsetzung des Verfahrens erzwingen. Er vermute, dass die Bundeswehr belastendes Beweismaterial vernichtet haben könnte, sagte er. Die beschuldigten Soldaten bestreiten die Vorwürfe.
"Herr Wichert hätte die Bänder auch aufessen können"
Der Geheimdienstexperte Erich Schmidt-Eenboom sagte der "Berliner Zeitung", das Bundeskriminalamt und hoch spezialisierte Firmen seien seit langem in der Lage, beschädigte Datenträger zu retten und zu rekonstruieren. Es sei seltsam, dass keine technische Hilfe in Anspruch genommen wurde. "Das riecht nach Vorsatz."
Das ARD-Magazin "Report Mainz" zitierte den Leiter der Datensicherung im Hochschulrechenzentrum der Freien Universität Berlin, Bernd Melchers, mit den Worten: "Selbst wenn Herr Wichert die Bänder aufgegessen hätte, würden professionelle Datenrettungsunternehmen nach der Verdauung den Inhalt wieder herstellen können." Was fehlerfrei auf Bandkassetten geschrieben wurde, könne man innerhalb von 20 Jahren auch wieder "auslesen". (ina)