'Geht auf meine Kappe'
29. März 2007Der frühere Bundesinnenminister Otto Schily hat für den Fall des langjährigen Guantanamo-Häftlings Murat Kurnaz "die politische Verantwortung" übernommen. Schily sagte am Donnerstag vor dem BND-Untersuchungsausschuss des Bundestags, es bestehe auch kein Zweifel, dass das Innenministerium - und nicht das Kanzleramt oder das Außenministerium - die "Kernverantwortung für die Bewertung von Sicherheitsgefahren" habe. "Das nehme ich auf meine Kappe", sagte der 74-Jährige.
Schily: Kritik ist "beschämend"
Der SPD-Politiker verbürgte sich für alle Handlungen seines Ministeriums, auch wenn er selbst nie unmittelbar mit dem Fall Kurnaz beschäftigt gewesen sei. An der so genannten Präsidentenrunde Ende Oktober 2002 habe er nicht teilgenommen. Bei dem Treffen hatten sich die Chefs der Sicherheitsbehörden darauf geeinigt, eine Wiedereinreise von Kurnaz nach Deutschland abzulehnen.
Es sei die Pflicht der politisch Verantwortlichen gewesen, terroristische Gefahren abzuwehren und terroristischen Planungen zuvorzukommen, sagte Schily. Er finde es absurd, auf der einen Seite den Bremer Türken zu verharmlosen und gleichzeitig den Sicherheitsbehörden zu misstrauen. "Es ist beschämend, die erfolgreiche Terrorbekämpfung in Misskredit zu bringen." Seiner Ansicht nach habe die Abwehr terroristischer Gefahren im Fall Kurnaz nie im Widerspruch zu den humanitären und rechtsstaatlichen Grundsätzen gestanden.
Steinmeiers Aussage
Eine Kehrtwende in der US-Politik zu dem umstrittenen Lager Guantanamo war nach Angaben von Außenminister Frank-Walter Steinmeier ausschlaggebend für die Freilassung von Kurnaz. In seiner mit Spannung erwarteten Aussage sagte der SPD-Politiker, angesichts massiver innenpolitischer Kritik in den USA selbst sei in der zweiten Hälfte 2005 die Entscheidung gefallen, die Zahl der Gefangenen drastisch zu beschränken. Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte sich Anfang 2006 bei ihrem Besuch in den USA gegenüber US-Präsident George W. Bush für die Freilassung von Kurnaz eingesetzt. Bisher galt die Intervention Merkels in Washington als ursächlich für die Freilassung.
Steinmeier sagte, die Kanzlerin sei vor ihrem USA-Besuch angesichts der Signale aus Washington offenkundig beraten worden, dieses Thema zur Sprache zu bringen. In der deutschen Diplomatie sei angesichts der Entwicklung in den USA und wachsender Kritik am Irak-Krieg von einer «180-Grad-Kehrtwendung» die Rede gewesen. Die neue Ausrichtung Washingtons sei der Grund dafür gewesen, dass die neue Bundesregierung unter Führung Merkels Erfolg haben konnte, der der alten noch versagt bleiben musste.Bis 2006 habe es weder offiziell noch inoffiziell ein US-Angebot zur Freilassung von Kurnaz gegeben. Signale aus den USA hätten sich auf mögliche Freilassungen von Gefangenengruppen bezogen, die jedoch keine Folgen gehabt hätten. Lediglich im September 2002 hätten deutsche Sicherheitsbeamte, die Kurnaz in Guantanamo vernommen hätten, das Gerücht mitgebracht, dass Kurnaz möglicherweise zu einer Gruppe gehören könne, die zur Freilassung anstehe. Aber auch dies sei nicht umgesetzt worden.
Steinmeier bedauerte ausdrücklich das Schicksal von Kurnaz. Es sei weder seine noch die Absicht aller anderen Beteiligten gewesen, dass Kurnaz vier Jahre in Guantanamo gewesen sei. Es habe auch keinen Zweifel daran gegeben, dass die Türkei Kurnaz aufgenommen hätte, wenn er freigekommen wäre.
Kurnaz war Ende 2001 in Pakistan unter Terrorverdacht festgenommen und dann Anfang 2002 über Afghanistan in das US-Gefangenenlager auf Kuba gebracht worden. Eine Straftat wurde ihm nie nachgewiesen. Die US-Justiz stufte seine Haft 2005 als illegal ein. Erst im Sommer 2006 kam Kurnaz durch die Bemühungen von Bundeskanzlerin Angela Merkel frei.
AI sieht rot-grüne Verantwortung
Nach Einschätzung der Menschenrechtsorganisation Amnesty International (AI) trägt die frühere rot-grüne Regierung eine "klare Mitverantwortung" für die lange Internierung von Kurnaz. "Die damalige Regierung hat sich nicht dafür eingesetzt, dass der erwiesenermaßen unschuldige Kurnaz früher aus der fast fünfjährigen, menschenrechtswidrigen Haft entlassen wurde", sagte die Generalsekretärin von AI Deutschland, Barbara Lochbihler.
Der UN-Sonderberichterstatter zum Thema Folter, Manfred Nowak, forderte Deutschland auf, Kurnaz Schmerzensgeld zu zahlen. In einem Radiointerview zog er einen Vergleich zu einem ähnlichen Fall in Kanada: Dem unschuldig nach Syrien verschleppten und dort unter Folter gefangen gehaltenen syrisch-stämmigen Kanadier Maher Arar habe Kanada 10,5 Millionen kanadische Dollar als Schmerzensgeld gezahlt. (vem/sams)