Parlamentssitzung in Athen hat begonnen
15. Juli 2015Die Abgeordneten sind unter anderem aufgefordert, einer Anhebung des Rentenalters, Steuererhöhungen und Privatisierungen zuzustimmen. Außerdem muss das Parlament den beim Euro-Krisengipfel am Montag gefundenen Gesamtkompromiss billigen. Dies haben die Euro-Staaten zur Voraussetzung für die Aufnahme von Verhandlungen über das neue Hilfspaket mit einem Kreditvolumen von bis zu 86 Milliarden Euro gemacht. Griechenland ist akut von der Pleite bedroht, die Banken sind seit zweieinhalb Wochen geschlossen.
Die Abstimmung hat am Abend begonnen, erster Sprecher war Finanzminister Euklidis Tsakalotos. Eine Mehrheit für die einschneidenden Reformen gilt als sicher, denn die Oppositionsparteien unterstützen die Vereinbarung von Brüssel. Für das Regierungslager dürfte die Abstimmung aber zur Zerreißprobe werden.
Regierungschef Alexis Tsipras muss mit zahlreichen Nein-Stimmen aus seiner linken Syriza-Partei und von Abgeordneten des rechtspopulistischen Koalitionspartners Anel rechnen. Bei einer Sitzung seiner Fraktion soll Tsipras mit einem Rücktritt gedroht haben für den Fall, dass sie ihm die Gefolgschaft verweigern.
Vize-Ministerin tritt zurück
Wenige Stunden vor Beginn der Parlamentssitzung erklärte Vize-Finanzministerin Nadia Valavani unter Protest ihren Rücktritt. "Ich werde diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen, und ich denke, man kann nicht in der Regierung bleiben, wenn man dagegen stimmt", sagte Valavani vor Journalisten in Athen.
Die Auflagen, in die Tsipras in den Brüsseler Marathonverhandlungen eingewilligt hatte, seien weitgehender als diejenigen, welche die Bevölkerung kurz zuvor in einem von der Regierung angesetzten Referendum klar abgelehnt habe, so Valavani.
Syriza hatte die Parlamentswahl im Januar mit dem Versprechen gewonnen, nach fünf Jahren Rezession Schluss mit Sparprogrammen und sozialen Einschnitten zu machen. Unter dem Druck der akuten Finanznot und der sich verschärfenden Wirtschaftskrise war Tsipras beim Brüsseler Gipfel von diesem Kurs abgerückt. Der Ministerpräsident versuchte in einem TV-Interview einen politischen Spagat mit dem Satz, er habe in Brüssel einen Text unterschrieben, "an den ich nicht glaube, den ich aber verpflichtet bin umzusetzen".
Bis zu 40 Abweichler erwartet
Beobachter rechnen damit, dass 30 bis 40 Syriza-Abgeordnete des linksradikalen Flügels dem Regierungschef die Gefolgschaft verweigern werden. Im 300 Sitze umfassenden Parlament kommt die Syriza derzeit auf 149 Mandate. Der nationalistische Koalitionspartner stellt 13 Abgeordnete. Er hat angekündigt, nur einen Teil der Gesetze mitzutragen.
Bei Protesten von Gegnern des Sparprogramms ist es in der Nähe des Parlamentsgebäudes zu Ausschreitungen gekommen. Demonstranten warfen Brandsätze, die Polizei setzte Tränengas ein. Am späten Abend hatte sich die Situation dann wieder beruhigt, nur noch wenige Demonstranten harrten vor dem Parlament aus.
Neuwahlen im Herbst?
Nachrichtenagenturen melden unter Berufung auf "Insider", Tsipras wolle abwarten, wie viele Abgeordnete tatsächlich von seinem Kurs abweichen. Dann wolle er die Konsequenzen ziehen, eine Regierungsumbildung vornehmen und mit einer Minderheitsregierung versuchen, das Hilfsprogramm mit den Gläubigern unter Dach und Fach zu bringen. Wenn das Land und seine Finanzierun wieder auf Kurs sei, könnte er vorgezogene Wahlen im September oder Oktober ausrufen.
wl/ww (dpa, afp, rtr)