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Parlamentswahl in Kriegszeiten

Roman Goncharenko25. Oktober 2014

Während in der Ostukraine trotz formeller Waffenruhe geschossen wird, wählt das Land ein neues Parlament. Der durch Proteste erzwungene Machtwechsel steht vor dem Abschluss. Der Sieger steht schon jetzt fest.

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Wahllokal in der Ukraine (Foto: DW)
Bild: DW/G. Stadnyk

Sie schießen, töten und sterben. Wählen werden sie nicht. Rund 25.000 Soldaten, die in der Ostukraine im Einsatz sind, können an der Parlamentswahl am Sonntag aus formellen Gründen nicht teilnehmen. Das Parlament in Kiew konnte kein Gesetz verabschieden, das für sie eine Abstimmung fern der Wohnorte ermöglichen würde. Der Verteidigungsminister sagte im ukrainischen Fernsehen, seine Soldaten und er selbst seien empört.

Auch die Menschen auf der von Russland annektierten Halbinsel Krim werden nicht wählen können. Ähnlich sieht es in den von Separatisten teilweise kontrollierten ostukrainischen Gebieten Donezk und Luhansk aus. Dort wird es in mindestens 13 von 32 Bezirken keine Wahl geben, schätzt die Wahlleitung in Kiew. Deshalb werden im neuen Parlament nicht wie bisher 450, sondern 420 Abgeordnete sitzen.

Präsident auf Überholspur

Insgesamt treten 29 Parteien an. Gewählt wird je zur Hälfte über Parteilisten und Direktmandate. Der Sieger steht seit Monaten fest: Petro Poroschenko. Das Bündnis des Präsidenten, "Poroschenkos Block", liegt in Umfragen vorn. Es dürfte zwischen 20 und 30 Prozent der Stimmen bekommen. Dabei wurde es erst Ende August 2014 auf der Basis der Poroschenko-Partei "Solidarität" gegründet. Die Partei des Milliardärs existierte bis dahin nur auf dem Papier und war nicht im Parlament vertreten.

Für Poroschenko als Präsidenten scheint diese Wahl besonders wichtig. Laut Verfassung haben das Parlament und die Regierung mehr Macht als der Staatschef. Poroschenkos Ziel sei daher eine Parlamentsmehrheit, die hinter ihm steht, sagen Beobachter. Diese könnte mit Direktmandaten und Koalitionspartnern erreicht werden.

Rückkehr der Generation Juschtschenko

Petro Poroschenko und Vitali Klitschko (Foto: REUTERS/Gleb Garanich)
Petro Poroschenko und Vitali Klitschko verbündeten sich vor der Präsidentenwahl im MaiBild: Reuters

Der Präsident hatte sich bemüht, Premierminister Arsenij Jazenjuk für sein Bündnis zu gewinnen. Doch sie konnten sich nicht einigen. Statt Jazenjuk führt der Kiewer Bürgermeister und frühere Boxweltmeister Vitali Klitschko "Poroschenkos Block" an. Die bereits im Parlament vertretene Klitschko-Partei UDAR (Schlag) ist zu einer tragenden Säule des Blocks geworden. Ob Klitschko als Spitzenkandidat oder der ehemalige Innenminister Juri Luzenko als Parteichef - Poroschenkos Bündnis besteht teilweise aus Politikern aus der Zeit des prowestlichen Präsidenten Viktor Juschtschenko. Damit kehrt eine Generation zurück, die bis 2010 an der Macht war.

Die vergleichsweise hohen Umfragewerte des "Poroschenko-Blocks" seien das Ergebnis mehrerer Faktoren, meint Viktor Samjatin vom Kiewer Rasumkow-Zentrum für wirtschaftliche und politische Studien. "In erster Linie verbinden viele Wähler mit Poroschenko eine friedliche Lösung des Konflikts in der Ostukraine." Auch dessen Reformprogramm "Strategie 2020" komme offenbar gut an. Darin verspricht der Präsident, die Ukraine in die EU zu führen.

Der Mann mit der Mistgabel

Oleh Ljashko zeigt sich gerne mit einer Mistgabel (Foto: ITAR-TASS / Maxim Nikitin)
Oleh Ljaschko könnte mit seiner Partei zweitstärkste Kraft im Parlament werdenBild: picture-alliance/dpa

Doch Poroschenkos Entscheidung, den Separatisten in der Ostukraine große Autonomie einzuräumen, wird auch kritisiert. Von einer "Kapitulation" spricht zum Beispiel Oleh Ljaschko, Rechtspopulist und Anführer der "Radikalen Partei". In Umfragen liegt sie auf Platz zwei oder drei und könnte zehn Prozent bekommen. Ljaschko stellt sich gerne als kompromisslosen Patrioten dar. Er lässt sich mal mit einer Mistgabel, dem Symbol der Bauernaufstände, mal mit einer Kalaschnikow fotografieren.

"Die heutigen Wähler von Ljaschko haben 2012 die nationalistische Partei 'Swoboda' (Freiheit) gewählt", sagt der Experte Samjatin. "Swoboda" dagegen müsse heute um den Wiedereinzug ins Parlament bangen. Auch der "Rechte Sektor", eine 2014 gegründete rechtsnationale Partei, dürfte die Fünf-Prozent-Hürde kaum überwinden. Während "Swoboda" und der "Rechte Sektor" auch starke rechtsextreme Flügel und eine ideologische Basis haben, gilt das für Ljaschkos Partei nicht. "Er ist ein Populist", meint Samjatin.

Bleibt Timoschenko draußen?

Julia Timoschenko und Arsenij Jazenjuk (Foto: REUTERS/Maks Levin)
Ende Februar traf Julia Timoschenko unmittelbar nach ihrer Freilassung Arsenij JazenjukBild: Reuters

Als Poroschenkos Gegnerin positioniert sich auch Ex-Premierministerin Julia Timoschenko mit ihrer Partei "Batkiwschtschina" (Vaterland). Sie dürfte deutlich weniger Stimmen bekommen als 2012. Damals saß Timoschenko nach einem international kritisierten Prozess im Gefängnis. Ihre Partei wurde vom heutigen Regierungschef Jazenjuk angeführt. Diesmal gehen sie getrennte Wege. Jazenjuk führt sein eigenes Wahlbündnis, die "Volksfront", an. Mehrere Politiker aus dem Timoschenko-Lager haben sich ihm angeschlossen. Laut Umfragen könnte Timoschenko an der Fünf-Prozent-Hürde knapp scheitern.

Als große Verlierer bei dieser Wahl gelten Anhänger des nach Russland geflüchteten Präsidenten Viktor Janukowitsch. Viele haben sich in einem "Oppositionellen Block" vereint. Ob sie den Einzug ins Parlament schaffen, ist fraglich. Ihre Stammwähler leben auf der Krim und in der Ostukraine - also in Gebieten, in denen nicht gewählt wird. Das Gleiche gilt für die Kommunisten.

Junge Politiker streben ins Parlament

Vor diesem Hintergrund steht fest: Im neuen Parlament dürfte es zum ersten Mal eine breite prowestliche Mehrheit geben. Getrübt werden die Hoffnungen auf einen Neuanfang dennoch. "Es gab bei dieser Wahl leider noch keinen richtigen Wettbewerb der Ideen und Programme", meint der Experte Samjatin.

Kritiker monieren außerdem, dass über Direktmandate erneut korrupte Politiker ins Parlament einziehen könnten. Neue kleine Parteien wie "Samopomitsch" (Selbsthilfe) des Bürgermeisters Andrij Sadowy aus dem westukrainischen Lwiw, dem ehemaligen Lemberg, dürften es dagegen schwer haben. Dabei sind es genau diese Kräfte, die den Machtwechsel vorangetrieben haben.