"Paula" - Kinofilm über das Leben der berühmten Malerin
15. Dezember 2016Gekleidet in ein langes Rüschenkleid, einen Strohhut auf der wild zusammengesteckten Lockenpracht, marschiert eine schöne junge Frau durch die lichtdurchflutete Landschaft. Filmbilder wie Malerei; Farben, die die Kamera wie bei einem impressionistischen Gemälde zu einer romantischen Grundstimmung verdichtet - und das alles im cineastischen Breitwandformat.
Mit Riesenschritten ist die junge Frau unterwegs in ihr neues Leben. Die Staffelei im schwerem Gepäck strebt Paula, gespielt von der Schweizer Schauspielerin Carla Juri, zu Fuß dem Künstlerdorf Worpswede zu. Mit wachem Blick saugt sie neugierig die Eindrücke auf, die ihr unterwegs begegnen: Tagelöhner, Bauersfrauen, schmutzige ärmliche Kinder, die die feine junge Dame aus der Stadt unverhohlen anstarren. Alles wird später in ihren Bildern auftauchen.
Paula will malen lernen. Der Vater glaubt nicht an ihr Talent, aber sie setzt ihren Kopf durch - eigensinnig und mutig - und meldet sich an einer privaten Malschule an. In Worpswede, einem kleinen norddeutschen Dorf in der Nähe von Bremen, begegnet Paula dem elf Jahre älteren Otto Modersohn, der als Maler in Norddeutschland zu den etablierten Künstlern gehört. Ein schicksalhaftes Zusammentreffen zweier grundlegend verschiedener Künstlerseelen, auf das Regisseur Christian Schwochow in seinem neusten Kinofilm "Paula" den Fokus der Geschichte gelegt hat.
Treffpunkt für Kunstfreunde
Worpswede ist zu dieser Zeit der Treffpunkt der künstlerischen Avantgarde. Kunstinteressierte und angehende Künstlerinnen pilgern dorthin. "Diese Maler, die zwar sehr konservativ waren, waren trotzdem hippe, angesagte Typen in der Kunstwelt", erzählt Schwochow im DW-Interview. "Das darf man nicht nur aus unserer heutigen Sicht beschreiben. Selbst mit ihren krassen, auch frauenfeindlichen Haltungen waren die damals coole Leute."
Der Film lebt von seinen starken Schauspielern. Albert Abraham Schuch (Jg. 1985) gibt dem viel älteren Modersohn mit seiner gehemmten Körpersprache eine unterdrückte Jugendlichkeit. "Die Verhältnisse waren davon gekennzeichnet, dass Emotionen eigentlich abwesend waren, das sie keinen Raum hatten", sagt er. "Die Männer haben sich in eine Maskerade begeben, den 'Vatermörder', Gehrock und Hut wie ein Soldatenkostüm übergezogen und sind preußisch daher gekommen. Und Paula kommt als Mensch dorthin, als junge unbekümmerte Frau."
"Paula war radikal, kämpfte für ihren Weg als Frau und Künstlerin, ohne sich ideologisch oder feministisch zu empfinden", ordnet Christian Schwochow die Malerin ein. Er selbst hatte vor, Malerei zu studieren, entschied sich aber doch für die Filmhochschule. Für diesen historischen Film hat er viel über die Zeit um 1900, die Künstler dieser Zeit nachgelesen und recherchiert. "Paula malte nicht dekorativ, sie wollte den Menschen in die Seele schauen. Das Unperfekte hat sie fasziniert."
Aufbruch in die Moderne
Die begabte junge Malerin befindet sich schnell in Opposition zu den etablierten Malern der berühmten deutschen Künstlerkolonie Worpswede. Im Nachklang zum damals populären Jugendstil bevorzugen "die Herren Maler" das Dekorative. Das verkauft sich gut. Worpsweder Kunst, gediegene Stillleben und Landschaften aus dem Teufelsmoor, hängen sich damals nicht nur gut betuchte Bremer Bürger in die "gute Stube", sondern auch Touristen aus aller Welt.
Auch Paulas Freundin Clara Westhoff, als Bildhauerin mäßig erfolgreich, hat es schwer ihren künstlerischen Weg zu gehen, sagt Schauspielerin Roxane Duran. "Anfang des 20. Jahrhunderts war es toleriert, dass Künstlerinnen einen Pinsel in der Hand halten und kreativ sein durften, aber Clara Westhoff hat entschieden, Bildhauerin zu werden. Das war vollkommen absurd und unmöglich für die damalige Zeit. Und ich glaube, sie brauchte enorm viel Kraft, Selbstbewusstsein und Mut, um aufzustehen und zu sagen: ja, wir wollen unsere weibliche Kreativität zu entfalten."
Malerische Kamerafahrten
Schwochow war 1990 das erste Mal in Worpswede. "Das einzigartige Licht, dieses Bild der Moorlandschaft bei grauem Wetter, hat sich mir stark eingeprägt", berichtet er von seinen ersten Eindrücken. Und genau diese Bilder schwebten ihm vor, als er mit seinem langjährigen Kameramann Frank Lamme die Farbwelt für seinen Kinofilm "Paula" entwarf. Die beiden kennen sich von der Filmhochschule, haben beide ähnliche cineastische Visionen. Ein glückliches Zusammentreffen.
Die starken Winterbilder haben sie in Finnland gedreht, damit Paula wild entschlossen durch tiefen, verharschten Schnee in ihre Freiheit stapfen kann. "Was ich immer sehr sympathisch fand an ihr, war, wie sie läuft", erzählt Carla Juri im DW-Gespräch. "Dass sie diesen ganz speziellen Gang hatte. Da musste ich immer schmunzeln, dass sie so große Schritte gemacht hat." Carla Juri war vorher noch nie in Finnland gewesen. "Man hatte das Gefühl, wir sind am Ende der Welt. Das habe ich extrem geschätzt: so eine Weite und so viel unberührte Natur um mich herum."
Shooting Star: Carla Juri
Für das Casting seiner Hauptfigur Paula hat sich Regisseur Christian Schwochow viel Zeit genommen. "Ich wollte jemand, der Verständnis hat für diesen unbedingten Willen einer Künstlerin, sich in Bildern ausdrücken zu müssen", erklärt er seine Wahl. "Und kompromisslos in der Kunst zu sein, auch wenn es damals keiner kauft." Ganz gegen seine Prinzipien ist er nach London gefahren, um die Schauspielerin Carla Juri für seine "Paula" zu gewinnen.
Für die Rolle der eigensinnigen Malerin bringe die begabte Carla Juri (Jg. 1985), die als großes Nachwuchstalent gilt, etwas Wichtiges mit, sagt Schwochow. "Carla hat ein Verständnis dafür, weil sie auch so ein unangepasstes Wesen ist und auch Rebellion kennt. Sie hat eine große Sensibilität und trotzdem so eine Kraft, ihr Ding zu machen, auch wenn sie damit aneckt."
Das Drama der begabten Frau
Kunst studieren dürfen Frauen um die Jahrhundertwende in Deutschland nicht. Aber Paula Modersohn-Becker hat durch ihre Heirat mit Otto Modersohn zumindest finanzielle Sicherheit. Er unterstützt sie, soweit er kann. Sie bekommt sogar ein eigenes Atelier, wandert zum Malen in die umliegenden Dörfer und ins Moor, um "Seelenlandschaften zu ergründen", wie sie ihrem Tagebuch anvertraut. Die Farbwelten des Films spiegeln das in wunderbar cineastischen Stillleben und malerischen Landschaftsaufnahmen wider.
Aber in der etablierten Künstlerkolonie erfährt Paula als Frau keine wirkliche Anerkennung; das erzählt der Film auch. Sie bricht aus dem Korsett ihrer Zeit aus, wirft ihre bürgerliche Sicherheit über Bord und geht - nach Paris. In die Stadt der schönen Künste und der Liebe. Die Weltsicht der Worpsweder Künstlerkolonie sei ihr einfach zu eng geworden, so Christian Schwochow.
Stadt der Liebe und der Kunst
In Paris wohnt die junge Malerin anfangs bei ihrer Künstlerfreundin Clara Westhoff. Deren kurze Ehe mit dem Dichter Rainer Maria Rilke ist kläglich in die Brüche gegangen. Clara muss ihr Kind allein großziehen, ihre Träume von einer Künstlerkarriere sind längst zerstoben. Für Lohn und Brot arbeitet sie in der Bildhauerwerkstatt des berühmten Auguste Rodin.
Doch ihre Freundin Paula lässt sich nicht beirren: Sie geht ihren Weg als eigenständige Malerin. Sie hat kaum Geld, lernt Französisch, nimmt Unterricht an einer Akademie, malt in ihrer beengten Pariser Kammer ihre wichtigsten Bilder - und lernt in Paris das Leben und die Leidenschaft der Liebe kennen. Mehrfach reist Paula zurück nach Worpswede, zu Otto, zur ihrer kleinen Stieftochter, um doch immer wieder in die Metropole Paris und in ihre Unabhängigkeit zurückzukehren.
Kein übliches Biopic
Carla Juri geht in den dramatischen Szenen des Films bis an die Grenzen ihrer körperlichen Ausdruckskraft. In solch intensiven Momenten spielt sie ohne jede Eitelkeit, berichtet Christian Schwochow von den Dreharbeiten. "Wenn sie geheult hat, dann kommt eben auch der Rotz aus der Nase. Das ist Carla alles egal. In dem Moment gibt sie das ab, vertraut dem Regisseur voll und ganz und hat überhaupt keine Angst vor Hässlichkeit." Die 31-Jährige liebt diese extreme schauspielerische Hingabe: "Wenn man in so eine Selbstvergessenheit gerät, dann passieren die besten Dinge - auch zwischen Männern und Frauen", sagt sie im DW-Interview.
Ihr Kollege Albrecht Abraham Schucht sieht Carlas Art zu spielen mit Bewunderung. "Ich hoffe, dass es heutzutage bald normal ist, dass genauso viel Frauen wie Männer Regisseure sind, Schauspieler, Produzenten, Politiker, was auch immer", sagt er der DW im Gespräch. "Das macht doch den Reichtum aus, dass Frauen und Männer natürlich andere Perspektiven auf die Welt haben. Und warum nicht soviel wie möglich von diesem Reichtum nutzen."
Informationen zu Carla Juri ("Paula"):
International bekannt geworden ist die 31-jährige Schauspielerin mit ihrer Rolle in dem Skandalfilm "Feuchtgebiete". 2013 gewinnt sie auf der Berlinale den "Shooting Star Award", 2014 wird sie als "Beste Schauspielerin" für den Deutschen Filmpreis nominiert. Inzwischen dreht sie mit Hollywoodstars wie Harrison Ford, ihr nächster Film "Blade Runner 2" kommt 2017 ins Kino.