Pekings Kontaktpflege mit den Taliban
20. August 2021Nach der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan haben auch Japan und Südkorea ihre Botschaften in Kabul geschlossen und Diplomaten und Entwicklungshelfer aus der afghanischen Hauptstadt ausgeflogen. Die beiden asiatischen Länder haben in den beiden vergangenen Jahrzehnten in erheblichem Umfang Hilfe bei der Entwicklung der Infrastruktur geleistet.
Seit 2001 hat Japan rund 6,8 Milliarden US-Dollar für den Wiederaufbau der Infrastruktur in Afghanistan bereitgestellt. Zwischen 2021 und 2024 sollten weitere Hilfsgelder in Höhe von 720 Millionen Dollar fließen, die nun aber wahrscheinlich eingefroren werden.
Südkorea hat allein im Jahr 2018 2,2 Millionen Dollar für die Unterstützung von Kindern und Frauen in gefährdeten Situationen in Afghanistan bereitgestellt. Ein großer Teil der Hilfe wird über christliche Kirchen und ihnen nahestehende Organisationen abgewickelt.
Sowohl Japan als auch Südkorea beobachten genau, wie die chinesische Regierung mit den neuen Machthabern in Kabul umgeht. Denn während Tokio und Seoul die Entwicklungszusammenarbeit nach Medienberichten vorerst aussetzen wollen, erkannte Peking bereits am Montag den Umsturz durch die Taliban an.
Peking zeigt Präsenz
Ein chinesischer Regierungsvertreter äußerte die Hoffnung, dass die Taliban eine politische Struktur aufbauen würden, die zu einem dauerhaften Frieden in Afghanistan beiträgt. Peking halte "den Kontakt und die Kommunikation mit den Taliban aufrecht" und beabsichtige, "eine konstruktive Rolle beim Frieden und Wiederaufbau Afghanistans zu spielen".
Eine große Frage ist, ob Peking seinen geopolitischen Einflussbereich durch die Bereitstellung finanzieller Hilfe weiter ausbauen will. China hat bereits enge Beziehungen zu Pakistan geknüpft, da es einen Zugang zum Indischen Ozean sucht. Afghanistan könnte sich als weiterer wichtiger strategischer Verbündeter in Zentralasien erweisen.
China ist mit Afghanistan durch eine 76 Kilometer lange, abgelegene Berggrenze verbunden. Experten vermuten, dass Peking versuchen könnte, das sich abzeichnende Vakuum im Bereich der internationalen Entwicklungszusammenarbeit in Afghanistan für sich zu nutzen.
"Die schnelle Anerkennung der Taliban-Regierung war ein mutiger Schritt Chinas und wird von der internationalen Gemeinschaft als Herausforderung angesehen", sagt Hiromi Murakami, Professorin für Politikwissenschaft an der Temple University in Tokio, im DW-Gespräch.
Peking habe in den vergangenen Jahren in Asien und im Pazifikraum politisch, militärisch und durch seine Hilfsprogramme an Boden gewonnen. "Es ist wahrscheinlich, dass es die gleiche Taktik in Afghanistan anwenden wird."
Kritik aus Tokio und Seoul
Im Gegensatz zu Pekings Kurs haben sich sowohl Japan als auch Südkorea durch ihre bisherige Kritik an den Taliban bei dem neuen Regime in Kabul nicht gerade beliebt gemacht. Erst im Mai hatte das japanische Außenministerium einen "terroristischen Anschlag" auf eine Schule in Kabul verurteilt, bei dem mehrere Mädchen getötet wurden.
"Tokio wird abwarten, wie andere Regierungen mit der neuen Taliban-Regierung zusammenarbeiten", meint die Expertin. Denn Japans Entwicklungshilfe sei im Gegensatz zu China nicht an strategische Ziele geknüpft.
Es sei schwer vorstellbar, so Murakami, wie zahlreiche Projekte im Bereich Landwirtschaft und Infrastruktur nach dem Abzug des Botschaftspersonals und der Hilfsorganisationen weitergeführt werden könnten.
Auch Stephen Nagy, außerordentlicher Professor für internationale Beziehungen an der Internationalen Christlichen Universität in Tokio, ist skeptisch. Wenn die Taliban Frauen und Mädchen Bildungschancen verweigerten und Freiheiten einschränkten, "werden Japan und Südkorea sich zurückziehen und ihre Hilfe woanders hinlenken".
Besonders deutlich wurde Anfang August das südkoreanische Außenministerium. In einem Statement heißt es, dass der Angriff auf ein UN-Gelände in Herat und "auch die gewalttätigen Vorfälle danach als mögliche Kriegsverbrechen untersucht werden sollten".
"Die Taliban müssen aufhören, ihre Beteiligung an Menschenrechtsverletzungen abzustreiten. Sie müssen internationales Recht anerkennen, und diejenigen in ihren Reihen zur Verantwortung ziehen, die für Menschenrechtsverletzungen verantwortlich sind", heißt es in dem Statement des südkoreanischen Außenministeriums.
Für die Helfer vor Ort kann der Einsatz in Afghanistan lebensgefährlich sein. So wurde 2019 der Leiter der "Peace Japan Medical Services", Tetsu Nakamura, in der Nähe von Dschalalabad erschossen. Er hatte eine Reihe von Bewässerungsprojekten zur Unterstützung der lokalen Bevölkerung geleitet. Der Mord wurde den Taliban angelastet.
Der Artikel wurde aus dem Englischen adaptiert von Astrid Prange de Oliveira.