Islamisten vermisst?
31. August 2012"Vermisst" - das Wort prangt in großen Lettern über dem Portrait eines jungen Mannes mit dunklem Haar. Darunter heißt es: "Das ist unser Sohn Ahmad. Wir vermissen ihn, denn wir erkennen ihn nicht mehr. Er zieht sich immer mehr zurück und wird jeden Tag radikaler. Wir haben Angst, ihn ganz zu verlieren - an religiöse Fanatiker und Terrorgruppen." Darunter steht der Aufruf, sich an die "Beratungsstelle Radikalisierung" zu wenden.
Die Beratungsstelle wurde Anfang 2012 gegründet und ist Teil der "Initiative Sicherheitspartnerschaft - Gemeinsam mit Muslimen für Sicherheit", die Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) angestoßen hat, "um der islamistischen Radikalisierung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen entgegenzuwirken". Aus dem Innenministerium kamen auch die Pläne, eine umfangreiche Werbeaktion für die Arbeit der Beratungsstelle zu starten.
Appell an Emotionen
Dazu gehören Plakate, Postkarten und Anzeigen im Stil einer Vermisstenanzeige. Es gibt vier unterschiedliche Motive: drei junge Männer und eine junge Frau mit Kopftuch.
Aus dem Ministerium heißt es optimistisch: "Durch die emotionale Darstellung wird das Grundanliegen der Sicherheitspartnerschaft, einer Radikalisierung entgegenzuwirken und Betroffene zu unterstützen, deutlich." Vor allem in Berlin, Hamburg und Bonn will die Behörde die Plakate in deutscher, arabischer und türkischer Sprache aufhängen lassen. Besonders in Stadtteilen, in denen viele Migranten wohnen.
"Erniedrigung der Muslime in Deutschland"
Bei der Zielgruppe kommt dieser Vorstoß aber nicht besonders gut an. Bekir Yilmaz, Präsident der Türkischen Gemeinde in Berlin, zeigt sich im Gespräch mit der Deutschen Welle schockiert: "Das ist eine Pauschalisierung. Das ist die Annahme, dass alle Muslime irgendwie radikalisiert sein könnten. Das ist meiner Meinung nach eine Erniedrigung der Muslime, die in Berlin und Deutschland leben."
Ganz ähnlich sieht es Birol Kocaman, Redakteur des Online-Magazins MiGAZIN - Migration in Germany. Der studierte Jurist warnt: "Gefährlich an der Plakataktion ist, dass die abgebildeten Personen der Arbeitskollege, der Kumpel vom Sportverein oder die Nachbarin sein könnten - mithin jeder muslimisch aussehende Bürger. Sie alle werden unter den Generalverdacht gestellt, gefährlich zu sein."
Kritik an Pauschal-Verdacht
Bekir Yilmaz führt ein weiteres Argument an: Muslime aus der Türkei seien schon lange in der Mitte der Gesellschaft angekommen, von ihnen drohe keine Gefahr - ihnen selber dagegen schon: "Türkischstämmige Menschen sind Opfer von Attentaten geworden - in Mölln, in Solingen und durch die rechtsextremen NSU-Morde der vergangenen Jahre. Da sollte man sich doch die Frage stellen, in welche Richtung man so einen Steckbrief eigentlich ausstellen müsste."
Die MiGAZIN-Redaktion hat mit einem satirischen Gegenentwurf reagiert. Er zeigt den Innenminister und den Hinweis: "Das ist unser Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich. Wir vermissen ihn nicht, denn wir erkennen ihn nicht mehr wieder. Er zieht sich immer mehr zurück und wird jeden Tag radikaler. Wir haben Angst, dass er ganz abrutscht - in die Hände rechter Fanatiker und Terrorgruppen."
Doch nicht alle Muslime werden mit Humor auf die Plakate reagieren, schätzt Bekir Yilmaz von der Türkischen Gemeinde Berlin: "Es kann gut möglich sein, dass solche Aktionen dazu führen, dass Menschen einfach die Schnauze davon voll haben, dass sie jeden Tag aufs neue beweisen müssen, dass sie dem Rechtsstaat in Deutschland treu sind."