Peruanischer Kleinbauer gegen RWE
16. März 2015"Man hört es die ganze Zeit knistern", erinnert sich Christoph Bals, politischer Geschäftsführer von Germanwatch. Saúl Luciano Lliuya hatte Bals und seine Delegation der Nichtregierungsorganisation zum Besuch des Gletschersees Palcacocha eingeladen - im Anschluss an den Weltklimagipfel in Lima im Dezember. Saúl muss mit dem bedrohlichen Knacken und Knistern leben. Die Schneeschmelze in den zwei großen Gletschermassiven direkt über der Lagune löst die ächzenden Geräusche aus. Und der Gletschersee hat sich dadurch seit 2003 auf das Vierfache vergrößert. Saúl, Kleinbauer und Bergführer, befürchtet eine Katastrophe, sollten sich weitere große Gletscherblöcke aus dem gar nicht mehr ewigen Eis lösen.
Das Modell einer US-Universität veranschaulicht, wie hoch die Welle im Ernstfall werden kann. "25, ja 50 Meter", sagt Christoph Bals, "und sie würde weit über den natürlichen Damm des Sees hinausschappen, das darunter liegende Tal fluten - mitsamt der Stadt Huaraz und ihren 55.000 Einwohnern." Mehr als 30.000 Menschen in der Hochrisikozone müssten bei einer Flutwelle von zehn Metern schon um ihr Leben fürchten, hat Bals erfahren. Mehrmals riefen Behörden in jüngster Zeit den Notstand aus, obwohl der Wasserstand im See durch Abpumpungen immer wieder reduziert wurde.
Das Frühwarnsystem existiert nach dem Ausfall der Funkanlage nicht mehr. Und die Arbeiter, die von oben hätten Alarm melden sollen, stellten ihre Arbeit ein, da sie seit Juni 2014 keinen Lohn erhalten hatten.
RWE laut Studie 2013 Europas größter CO2-Emittent
Saúl Luciano Lliuya aber lebt in und von den Bergen und ist außerordentlich besorgt, dass sein Haus und seine Existenz von den drohenden Fluten weggerissen werden könnten. Saúl musste auch erkennen, dass man in seinem Land mit der Situation überfordert ist. So hofft er, die Verursacher von der Finanzierung von Schutzmaßnahmen überzeugen zu können.
Der Mann stützt sich auf den jüngsten Bericht des Weltklimarats IPCC, der die massive Gletscherschmelze in den Anden untersuchte und eindeutig auf den Klimawandel zurückführt. Und da hatte Saúl die Idee, einen der größten Emittenten zur Verantwortung zu ziehen: den deutschen Energiekonzern RWE. Mit der Verstromung von Braunkohle setzt RWE wie kein zweites Unternehmen in Europa klimaschädliche Treibhausgase frei. Seit Beginn der Industrialisierung soll das Unternehmen mit Stammsitz in Essen für 0,5 Prozent aller Emissionen verantwortlich sein. Und weil die sich, unabhängig vom Ort der Freisetzung, in der gesamten Erdatmosphäre verteilen, sind die Folgen auch in Peru spürbar.
Saúl will am prominenten Umweltsünder RWE ein Exempel statuieren. Der Peruaner wird dabei von einer in Klimaschadensangelegenheiten erfahrenen Hamburger Kanzlei vertreten. "Sein Ziel ist es, dass RWE dieses halbe Prozent, das der Konzern verursacht hat, in Schutzmaßnahmen investiert", sagt Bals von Germanwatch. Die Organistion unterstützt den Peruaner in der Auseinandersetzung. Die Rechtsabteilung von RWE prüft derzeit die Sachlage.
Konkret geht es um Kosten von etwa 20.000 Euro zum Bau eines Entwässerungssystems und neuer Dämme. Die Hoffnung, so Bals, sei es nicht nur, dass es mit RWE zu einer Einigung komme - auch ohne eine Klage vor Gericht. Bals hofft auch, dass andere Verantwortliche der Erderwärmung ihren Anteil an der Wiedergutmachung aufbringen, "und zwar überall, wo Menschen durch den Klimawandel geschädigt werden, obwohl sie gar nicht dazu beigetragen haben", fordert Bals.
Saúl sei klar, dass sein Vorhaben ein juristischer Marathonlauf werde und er mit seiner Klage in der ersten Instanz unterliegen könne, sagt Bals, aber es bestehe durchaus eine Chance, die großen Hürden vor den Gerichten zu überwinden. Bals nennt die ersten Klagen gegen die Tabakkonzerne als Beispiel: "Deren Aktienkurse sind danach tief gefallen, und sie haben sich nie wieder erholt. Danach gab es in fast allen Teilen der Welt Gesetzesänderungen, wodurch die gesundheitlichen Belästigungen des Rauchens massiv eingedämmt wurden", argumentiert der Germanwatch-Geschäftsführer.
Bals erhofft sich von einer möglichen Klage eine weitreichende Wirkung: "Noch nie seit Beginn der Industrialisierung wurde die klimaschädliche Kohleverstromung derart negativ bewertet." Insofern könne man mit einer Klage einen weiteren wichtigen Nadelstich setzen, der zur Abkehr von der klimaschädlichen Kohleverstromung führen könnte, so Bals: "Die Akzeptanz für Kohle und die ökonomischen Bedingungen müssen sich ändern. Die Energiekonzerne haben schon begonnen, über neue Geschäftsmodelle nachzudenken, so dass dadurch die Energiewende fortschreitet."