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Peter Materna über die Magie im Jazz

Rick Fulker21. April 2016

Das Jazzfest Bonn hat ein ungewöhnliches Format und eine auffallend internationale Aufstellung der Künstler. Zum Auftakt des zweiwöchigen Festivals erklärt sein künstlerischer Leiter, was das Genre so besonders macht.

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Peter Materna im Porträt (Foto: Lutz Voigtländer)
Bild: Lutz Voigtländer

Deutsche Welle: Wir alle waren vom frühen Tod des Jazz-Sängers Roger Cicero Mitte März schockiert. Haben Sie ihn persönlich gekannt?

Peter Materna: Ich kannte ihn aus meiner Zeit mit dem Bundesjazzorchester. In der Community waren wir alle sehr betroffen, dass ein so junger Mensch so plötzlich stirbt. Ein schlimmes Ereignis! Viele Jazzmusiker verausgaben sich sehr, nehmen wenig Rücksicht auf ihre Gesundheit. Andere lernen, die Belastung zu regulieren. Was sie aber gemeinsam haben, ist, dass sie viel reisen müssen.

Die "Roger Cicero Jazz Experience" sollte das diesjährige Jazzfest Bonn eröffnen. Nach seinem Tod ist Ihnen dann ein Coup gelungen: Thomas Quasthoff kommt. Nun: Die Welt kennt ihn in erster Linie als Sänger des deutschen Kunstliedes. Ich kann mir aber kaum ein Genre vorstellen, das vom Jazz - mit all' seinen Freiheiten - weiter entfernt ist. Wie gelingt ihm dieser Sprung?

Es ist erstens faszinierend, wie technisch brillant und klanglich ausgereift er singt. Bei Jazz ist oft viel "Dreck" in der Stimme und große Sänger kratzen oft fein an der Intonationsschwelle vorbei. Quasthoff ist aber extrem souverän und kann bei Jazz-Arrangements aber auch seiner Stimme freien Lauf lassen. Im Thomas Quasthoff Quartett spielen Frank Chastenier am Klavier, Dieter Ilg am Kontrabass und Wolfgang Haffner am Schlagzeug. Es wird ein Gipfeltreffen sein.

Dann können wir ja nun ein Vorurteil ausräumen: Jazz ist sehr wohl schön. Und mit den richtigen Tönen zu singen, ist also nicht falsch!

Auch bei Roger Cicero war das so: perfekt und nuanciert.

Sie sind selbst Musiker. Hilft Ihnen das bei den Verhandlungen mit den Künstlern?

Dass ich die Lebenssituation verstehe, ist von immensen Vorteil. Weil wir größtenteils von Sponsorengeldern abhängig sind und wenig öffentliche Mittel bekommen, müssen wir einerseits klug haushalten. Andererseits verstehe ich dieses Festival auch als eine Fördereinrichtung für freiberufliche Jazzmusiker. Wir geben ihnen eine Plattform - und durch unsere Medienpartnerschaften bekommen sie dann ein viel größeres Publikum. Das hilft ihnen ungemein.

Peter Materna (Foto: Peter Materna)
Peter Materna ist auch SaxofonistBild: Peter Materna

Wie grenzen Sie sich beim Jazzfest Bonn von anderen Festivals ab?

Was bei uns anders ist: Jeden Abend gibt es ein Doppelprogramm, das Publikum geht gleich in zwei Konzerte. Viele finden die Doppelpackung spannend, gehen dann nach Hause und fragen sich: "Was hat mir besser gefallen?"

Ich finde es angenehm, dass die einzelnen Acts dann kurz sind. Nach 60 Minuten hat man oft geistig oder seelisch genug und verlangt nach Abwechslung…

Manchmal kommt das auch den Künstlern entgegen. Nach zwanzig Minuten haben sie sich meist warmgelaufen, haben dann nach einer Stunde mehr oder weniger alles gesagt. Es sind viele schöne Augenblicke dabei.

Wie gehen Sie bei der Auswahl der Künstler vor?

Ich schaue zum Beispiel ältere Projekte an und frage den Künstler dann: "Hast du etwas Neues vor?" Nicht, um in das, was sie machen, einzugreifen. Ich möchte ihnen damit die Hand reichen. Dann muss ich schauen: Was passt an einem bestimmten Ort und an einem bestimmten Tag in die Dramaturgie? Die Programmplanung dauert mindestens ein halbes Jahr. Ich hantiere wochenlang mit meinen Zetteln an einem Brett, schaue zum Beispiel nach, was in der Bundeskunsthalle oder im Haus der Geschichte ausgestellt wird und versuche, eine thematische Verbindung dazu zu finden.

Und sitzen dann eingefleischte Jazzliebhaber im Publikum?

Nicht nur. In einer Umfrage stellte sich heraus, dass 50 Prozent der Besucher, die sie beantwortet haben, zum ersten Mal in einem Jazzkonzert waren.

Bonn muss ja eine ungewöhnliche Stadt sein!

Im Vergleich mit allen deutschen Städte hat Bonn mit rund 25 Prozent den höchsten Prozentsatz an Akademikern. Es ist ein sehr kulturaffines Publikum. Manche lieben die Klassik und lernen durch uns dann, den Jazz zu entdecken.

Welche Acts würden Sie unserem Publikum im Ausland besonders ans Herz legen?

Wir sind aber jetzt schon ausverkauft!

Gut, unsere User werden nicht mehr zu den Konzerten kommen können, aber welche Künstler sind international besonders interessant?

Ich finde das Programm mit dem Bundesjazzorchester, das Kompositionen von seinen Mitgliedern vorstellt, sehr spannend. Sie waren vor zwei Jahren hier und ich saß da wie hypnotisiert. Lisa Bassenge hat sicher eine große Zukunft vor sich. Sidsel Endresen aus Norwegen ist eine sehr vielschichte Persönlichkeit, kann mit ihrer Stimme eine einmalige Atmosphäre erzeugen. Dann gibt es die südamerikanische Formation fats0, die erstaunlich zwischen Jazz, Blues und Soul hin und her wechseln kann. Oder Matt Herskowitz: Dieser Pianist kommt von der Klassik, aber als ich ihn gehört habe, wusste ich: "An dem kommt man gar nicht vorbei!" Ach, eigentlich sind alle sehr interessant!

Sidsel Endresen & Stian Westerhus (Foto: CF-Wesenberg/kolonihaven.no)
Sidsel Endresen & Stian WesterhusBild: CF-Wesenberg/kolonihaven.no

Ist es normal, dass das Jazzfest ausverkauft ist?

Immer! Für einige Veranstaltungen sind die Karten nach zwei, drei Tagen alle weg. Zwei, drei Monate nach Verkaufsbeginn im Dezember ist das Festival meistens ausverkauft.

Versetzen Sie sich bitte einmal in die Lage eines internationalen Senders, der in Deutschland sitzt, sein Zielpublikum in Kasachstan, Nairobi oder auf den Philippinen hat und exklusive Mitschnitte vom Jazzfest Bonn anbietet. Warum sollte die DW das machen?

Das sollte sie unbedingt machen, weil diese Musik Grenzen aufhebt. Jazz fußt zwar auf der eher elitären, europäischen, klassischen Tradition. Das ist ein Teil unserer Identität, viele Jazzer haben Klassik studiert. Andere machen zunächst Jazz, besinnen sich dann auf ihre musikalischen Wurzeln und üben zum Beispiel Bach. Die Szene ist aber wirklich multikulturell, alle beeinflussen sich gegenseitig. In einer Zeit, wo - auch mit der Flüchtlingsproblematik - die Menschen hin- und herwandern, kann man sich die Hände mit Jazzmusik reichen. Wo findet man mehr Internationalität als bei dieser Kunstform?

Auf ihrem Programmhelft steht: "Die Magie des Jazz". Worin besteht diese Magie?

Im Überraschungsmoment! Man weiß nicht, was passieren wird. Jeder Auftritt ist einmalig und findet in einem Raum statt, wo auch die Musiker nicht genau planen können. In einem Klassik-Konzert hört man ein Stück vielleicht zum 20., 30. oder zum 40. Mal. Man kann dann abtauchen und einzelne Linien und Nuancen besonders wahrnehmen. Aber beim Jazz gibt es oft die kalte Dusche. Man fragt sich dann: "Was war denn das!?!" Wenn ein Gemälde von Rembrandt an der Wand hängt, nimmt man je nach Lichteinfall eine Farbe etwas anders wahr. Beim Jazz ist es aber nicht gelb, sondern grün oder blau. Natürlich geht es bei uns auch nicht ohne Tradition, die darf man nicht vernachlässigen. Aber die Akzeptanz ist bei Jazz-Fans meist größer.

Man sagt jedoch, dass das Ohr gern vertraute Klänge hört. Sind Jazzfans denn besonders offene Menschen?

Ich denke, das ist ein Missverständnis. Unser Ohr ist ständig auf der Suche nach neuen Klängen. Wir sind als Lebewesen prädestiniert, sensibler mit dem Ohr wahrzunehmen. In unserer Geschichte haben wir immer wieder die klassischen Kulturbereiche ausgegraben und sie gepflegt. Das ist auch richtig so. Im Zuge dessen hat man aber manchmal die zeitgenössischen Ströme vergessen. Das versuchen wir jetzt nachzuholen.

Das Gespräch führte Rick Fulker

Die DW ist Medienpartner des Jazzfest Bonn, das vom 22. April bis zum 7. Mai 2016 an verschiedenen Orten in Bonn stattfindet.