Pipeline für den Export
11. September 2022In sieben Regionen der Ukraine hat gerade erstmals seit Beginn von Russlands Invasion die Aussaat von Winterweizen, Roggen, Gerste und Raps begonnen. Das Ministerium für Agrarpolitik und Ernährung rechnet jedoch damit, dass die Landwirte in diesem Herbst die Getreideanbaufläche um 25 bis 35 Prozent reduzieren werden. "Beim Roggen ist keine Verringerung der Fläche zu erwarten, weil der Anbau auf den heimischen ukrainischen Markt ausgerichtet ist. Anders sieht es aber bei Winterweizen und Gerste aus. Wegen der Blockade der Häfen sind noch Bestände aus den letzten Jahren übrig und in diesem Jahr fällt die Ernte groß aus", sagt der stellvertretende Agrarminister Taras Wysozkyj im Gespräch mit der DW.
Ihm zufolge funktioniert zwar das "Getreideabkommen" und die Ukraine konnte im August vier Millionen Tonnen exportieren, weitere fünf Millionen sollen im September folgen. Doch die Landwirte sorgen sich um die Zukunft. Es ist unklar, was nach Ablauf des im Juli unter Vermittlung der Vereinten Nationen und der Türkei ausgehandelten Abkommens passiert. Das Abkommen hatte Getreideexporte aus der Ukraine nach monatelanger Blockade durch russische Kriegsschiffe wieder ermöglicht. Moskau ist mit dem Abkommen unzufrieden und schließt nach Angaben von UN-Botschafter Wassilij Nebensja nicht aus, die Vereinbarung im November nicht zu verlängern.
Daher entscheiden sich ukrainische Landwirte für Ölpflanzen als Alternative zum Getreide. Wysozkyj stellt fest, dass vermehrt Raps gepflanzt wird, der wie Sonnenblumen und Sojabohnen - die im Frühjahr gesät werden, zu den Ölpflanzen gehört. "In diesem Jahr könnte eine Million Hektar Raps ausgesät werden. Eine Fläche, die trotz der Besetzung eines Teils des Landes, in etwa der des vergangenen Jahres entsprechen wird. Auf 70 Prozent der Fläche ist schon Raps gesät, was zeigt, dass Landwirte generell auf Ölsaaten setzen", so Wasozkyj.
Mehr Geld für Pflanzenöl und weniger für Getreide
Die Neuausrichtung der Landwirte sei vor allem auf die Produktionskosten zurückzuführen, sagt Switlana Lytwyn vom Verband Ukrainian Agribusiness Club (UCAB). Der Getreideanbau sei zunehmend unrentabel, weil kein freier Export auf dem Seeweg möglich sei. Zudem seien Treibstoffe und Düngemittel teurer geworden. "Der Verkaufspreis von Getreide ist mittlerweile sehr niedrig. Er deckt kaum noch den Selbstkostenpreis. Außerdem gibt es in der Ukraine ein großes Angebot an Getreide, was den Preis drückt. Daher haben die Landwirte derzeit keine Mittel für eine vollwertige Aussaat und sie fürchten sich vor einer ungewissen Zukunft", erläutert Lytwyn.
Auf Handelsplattformen für Agrarprodukte in der Ukraine sind die Preise für Raps doppelt so hoch wie für Weizen. Dies bestätigen auch die Landwirte selbst. "Es gibt Probleme beim Verkauf von Weizen. Gewinne werden fast keine mehr gemacht, aber die Landwirte wollen zumindest ihre Investitionen wieder hereinholen", sagt Viktor Hontscharenko, Präsident des Verbandes der Landwirte und privaten Landbesitzer der Ukraine.
Können Ölpflanzen exportiert werden?
Switlana Lytwyn glaubt, der Getreidepreis zwinge die Landwirte dazu, mehr Ölpflanzen anzubauen, die einen höheren Mehrwert hätten. Sie versichert, die Ukraine habe genügend Kapazitäten, um Sonnenblumenkerne zu Öl zu verarbeiten, um es dann zu exportieren. Vor der russischen Invasion wurde es in 107 Länder exportiert. Der größte Teil davon nach Europa . "Vor dem Krieg stammte die Hälfte der weltweiten Exporte von Sonnenblumenöl aus der Ukraine. Jetzt erholen sich die Exporte wieder. Zu Beginn des Krieges wurden viele Sonnenblumenkerne verkauft, doch jetzt kehrt man wieder dazu zurück, weniger Samen und mehr Öl zu exportieren", so Lytwyn.
Was die Verarbeitung von Sojabohnen und Raps betrifft, so bestehen dafür in der Ukraine kaum Kapazitäten. Die Expertin geht davon aus, dass Investoren den Landwirten folgen werden und jetzt noch mehr in die Weiterverarbeitung von Ölpflanzen investieren werden. "Raps und Sojabohnen wurden als Rohstoff exportiert. Das ist jetzt schwierig, weshalb nach und nach Kapazitäten zur Verarbeitung dieser Ölsaaten entstehen werden, denn die Wertschöpfung ist sowohl für Landwirte als auch für Produzenten interessant. Ihr Blick richtet sich wegen der teuren Exportlogistik auf die Weiterverarbeitung", erklärt Lytwyn.
Pipeline soll den Export fördern
Angesichts der Neuausrichtung der Landwirte hat sich auch die ukrainische Regierung vorgenommen, den Export verarbeiteter Ölpflanzen zu steigern. Am 6. September unterzeichnete sie ein Abkommen mit der polnischen Regierung über den Bau einer einzigartigen Pipeline, durch die ukrainisches Pflanzenöl bis nach Danzig geleitet werden soll. "Dies ist ein langfristiges Projekt, das den Markt verändern wird. Die Idee ist, von polnischen Häfen aus Pflanzenöl in Drittländer zu exportieren. Geplant ist eine Kapazität von bis zu zwei Millionen Tonnen Öl pro Jahr", sagt Taras Wysozkyj.
Er betont, dass es noch nirgendwo auf der Welt eine solche Leitung gebe. "Der Krieg zwingt uns, nach alternativen und ungewöhnlichen Lösungen für den Export ukrainischer Agrarprodukte zu suchen. Die Pipeline wird auch nach dem Krieg gefragt sein, da die Ukraine beim Export von Pflanzenöl weltweit führend ist und bleiben wird", so der stellvertretende ukrainische Agrarminister. Er geht davon aus, dass die Ukraine schon die Ernte des kommenden Jahres über diese Leitung exportieren wird.
Adaption aus dem Ukrainischen: Markian Ostaptschuk