Polen entschärft Holocaust-Gesetz
27. Juni 2018Der seit Monaten schwelende Streit hat eine unerwartete Wende genommen: Der Sejm, das Unterhaus des polnischen Parlaments, stimmte am Mittwoch mit parteiübergreifender Einhelligkeit dafür, die bisher vorgesehenen Strafmaßnahmen von bis zu drei Jahren Haft aus dem Gesetz zu streichen.
Polens Namen verteidigen
Das im Januar verabschiedete Gesetz sollte dazu dienen, "den Namen Polens zu verteidigen". Insbesondere geht es dabei um angebliche Falschdarstellungen von NS-Verbrechen. So sah das Gesetz Geld- und Haftstrafen für diejenigen vor, die dem polnischen Staat oder Volk "öffentlich und entgegen den Fakten" eine Verantwortung oder Mitverantwortung für Verbrechen des Nazi-Regimes zuschreiben. Polens Regierung wollte damit unter anderem historisch falsche Ausdrücke wie "polnische Todeslager" unterbinden.
Doch die internationale Debatte um das Gesetz hat die Aufmerksamkeit in erster Linie auf die aktuelle Geschichtspolitik Warschaus gelenkt. Kritiker warfen der Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) vor, von Polen begangene Verbrechen an Juden vertuschen zu wollen.
Vorwurf: Geschichtsfälschung
Eine Folge des Gesetzes, das am 1. März in Kraft getreten war, ist ein diplomatischer Streit zwischen Polen und Israel sowie Kritik aus Washington. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu sprach von Versuchen, die Geschichte zu ändern. Das US-Außenministerium forderte Polen dazu auf, das Gesetz zu überarbeiten, da es die Meinungsfreiheit und die akademische Auseinandersetzung mit diesem "schmerzvollen und komplexen" Kapitel der Geschichte gefährde.
Die israelische Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem warnte, das Gesetz verharmlose den Anteil der Komplizenschaft von Teilen der polnischen Bevölkerung bei Verbrechen gegen Juden. Wissenschaftler, Künstler und Journalisten befürchten, die Vorschriften könnten Holocaust-Überlebende und Forscher daran hindern, an die Beteiligung von Polen an deutschen Verbrechen gegen die Juden zu erinnern.
Am vergangenen Dienstag hatte die Internationale Vereinigung jüdischer Anwälte und Richter das polnische Verfassungsgericht dazu aufgefordert, das Gesetz niederzuschlagen. Polens Präsident Andrzej Duda hatte das Gesetz bereits bei seiner Unterzeichnung im Februar dem Verfassungsgericht vorgelegt, damit es prüfe, ob die Vorschriften die Freiheit der Meinungsäußerung verletzen könnten.
Polen lenkt ein
An diesem Mittwoch erklärte Polens Premierminister Mateusz Morawiecki, das Ziel des Gesetzes sei nicht erreicht und legte dem Parlament die Gesetzesänderungen zur Abstimmung vor.
Nachdem das Unterhaus des Parlaments die Sache im Dringlichkeitsverfahren durchgewunken hatte, setzte Senatspräsident Stanislaw Karczewski die Debatte noch am selben Tag auf die Tagesordnung der zweiten Parlamentskammer, die die Änderung ebenfalls annahm. "Man muss zugeben, die Wirklichkeit hat uns überrascht", kommentiert Karczewski den Vorgang. "Keiner von uns, die über das Gesetz abgestimmt haben, hat die Folgen vorausgesehen."
Warschau will die Kriegsgeschichte erzählen
Michal Dworczyk, Bürochef von Ministerpräsident Mateusz Morawiecki, begründete die Änderung damit, dass die betroffenen Teile des Gesetzes von der eigentlichen Intention der Regierung abgelenkt hätten.
Premier Morawiecki betonte während der schnell organisierten Parlamentsdebatte am Mittwochvormittag: "Das Ziel ist und bleibt der Kampf um die Wahrheit in der Zeit des Zweiten Weltkrieges und der Nachkriegszeit." Er sprach aber auch von der internationalen Lage, auf die man Rücksicht nehmen müsse. "Die Weisheit besteht darin, die internationalen Gegebenheiten zu verstehen. Zusammen mit unseren amerikanischen und europäischen Verbündeten bauen wir das echte polnische Narrativ", sagte Morawiecki, der sich vor dem Sejm von der Richtigkeit seiner Geschichtspolitik überzeugt gab: "In der nahen Zukunft werdet ihr sehen, dass es eine Politik ist, die sich für uns sehr lohnt."